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Titel: Die Legenden der Böhsen Onkelz
Verlag: Riva Verlag, München 2015
ISBN: 978-3-86883-560-1
Preis: € 19,99
2ßß Seiten
Die Böhsen Onkelz sind zweifelslos ein Phänomen – und ebenso zweifellos ein deutsches Phänomen; verflochten mit der deutschen Geschichte und der deutschen Volksseele, wie kaum eine andere Band. Dazu, dass sie ein Phänomen geworden sind, haben sie einiges beigetragen. Dafür, dass sie ein deutsches Phänomen sind, ist eher der Volkskörper selber verantwortlich, bzw. dessen - zum großen Teil selbsternannten - Sprecher. Conrad Lerchenfeldt gelingt es relativ unaufgeregt, das frei zu legen, was wohl die Wahrheit über die Onkelz sein dürfte.
Er tut dies in drei Hauptkapiteln. Das erste beschreibt die Zeit, in der sich die Böhsen Onkelz weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit von Frankfurter Teenagern aus prekären Verhältnissen, die gerade mal in der Lage waren eine Gitarre richtig herum zu halten, zu einer kompetenten Streetrock-Band entwickelten.
In der zweiten Phase erleben wir die Band von ihrem Durchbruch bis hin zum Status einer der kommerziell erfolgreichsten Bands, die Deutschland ja hervor gebracht hat. Gleichzeitig sind und werden die Onkelz die umstrittenste Band, die es je in Deutschland gab. Kaum einer, der den Namen der angeblichen Nazi-Band nicht kennt. Viele Menschen, für die die Frankfurter zur Inkarnation des hässlichen Deutschen werden, haben nie etwas von den Onkelz gehört; nie einen Text von ihnen gelesen. Das gilt übrigens auch für eine ganze Reihe von Journalisten, gerade der Mainstreamblätter, die den zweifelhaften Ruhm der Onkelz in der Öffentlichkeit vervielfältigen.
Im dritten Kapitel steht neben der Wiedervereinigung der Band ihr Sänger Kevin Russell im Mittelpunkt, seine Drogensucht und der tragische von ihm verantwortungslos verursachte Unfall, der zwei junge Männer für ihr ganzes Leben gezeichnet hinterlässt.
Sind die Böhsen Onkelz eine Nazi-Band? Waren sie eine? Und wenn ja, haben sie sich davon gelöst? Mit diesen Fragen muss sich jeder beschäftigen, der das Thema Onkelz anpackt.
Ein persönlicher Exkurs
Ich muss zugeben, dass ich 1992 wohl auch zu der großen Mehrheit der Deutschen gehört habe, die sich mit der unappetitlichen Band von vorneherein nicht beschäftigt hätte. Das Thema erschien so verlockend, wie Toilette putzen. Selbst die Farbe passte. Aber dann passierte etwas, was mich zur Beschäftigung zwang. Anderthalb Jahre lang habe ich in einer Zehlendorfer Gemeinde eine Sozialpädagogin vertreten, die im Mutterschaftsurlaub war. Im offenen Jugendkeller hatten sich Jugendliche mit eindeutig rechten Tendenzen eingefunden. Damit musste ich umgehen. Und eine Frage, die für mich schnell relevant wurde, bezog sich auf die Frage, ob ich akzeptiere, was dort an Musik gespielt wurde. Mit dem Songwriter Frank Rennicke, der Oi!-Band Störkraft und den Elektrorockern Endstufe lief dort tatsächlich dicker brauner Mief, den ich sofort aus dem Verkehr gezogen habe, nachdem ich mir die Texte einmal angehört hatte.
Bei den Onkelz hatte ich ein Problem. Auf ihren Alben war rechtes Gedankengut nicht zu finden. Gespielt wurden damals die Heiligen Lieder und Wir haben noch lange nicht genug. Und in die dort enthaltenen Texte muss man das Rechte erst mit Gewalt hineinlesen, bevor man es finden kann. Gut, es gab Sauflieder und auch Texte, die ein fragwürdiges Verhältnis zur Gewalt erkennen ließen. Aber einen derart strengen Maßstab angelegt, hätte man auch Scheiben von Slime, den von mir sehr geschätzten Skeptikern und selbst den (damals noch nicht ganz so) Toten Hosen verbieten müssen.
Im Gegenteil: Die kraftvolle Musik der Frankfurter hatte mich schnell für sie eingenommen. Ich fing an den Backkatalog zu erwerben, was nicht ganz einfach war, weil die meisten Läden keine Onkelz-Scheiben im Angebot hatten. Und ich stellte fest, dass die Onkelz nicht nur nicht erkennbar rechts waren, sondern Texte schrieben, die ehrlicher und intelligenter waren, als die der meisten Konkurrenzbands. Vergleicht man zum Beispiel ihr „Alkohol“-Lied „Am Morgen danach“ mit dem fröhlichen Hosen-Gröhler „Korn, Bier, Schnaps und Wein“, dann ist schnell klar, wo die Jugendgefährdung sitzt.
Eigentlich ist mir im Deutsch-Rock-Bereich nur eine Band bekannt, die in ihren Texten derart authentisch und glaubwürdig rüberkam, wie die Frankfurter – und das sind BAP. Vielleicht ist es kein Zufall, dass aus dem Gros der Onkelz-Kritiker in der deutschen Musikszene Wolfgang Niedecken einer der ersten war, der zugab sich in der Einschätzung der Onkelz geirrt zu haben.
Als Mitarbeiter in der kirchlichen Jugendarbeit befand ich mich natürlich in einem politisch höchst korrektem Umfeld, so dass meine neue Sympathie für die Onkelz dazu führte, dass ich mir die Entwicklung und ihre Vergangenheit sehr genau anschaute, um nicht doch ohne es zu merken braunen Rattenfänger auf den Leim zu gehen – und um in der Lage zu sein, eventuellen Anfragen aus dem Umfeld begegnen zu können. Ich bin dabei im Wesentlichen zu derselben Einschätzung gekommen, die Lerchenfeldt in seinem ersten Kapitel vertritt.
Exkurs Ende
Nein, die Onkelz sind keine Nazi-Band; sind sie nie gewesen. Damit sei das erste Ergebnis vorweggenommen. Lerchenfeldt beginnt mit einer sehr detaillierten Beschreibung der sozialen und familiären Herkunft der Onkelz. Er beschreibt Jugendliche, denen der Weg des Loosers eigentlich vorgezeichnet ist und die sich ohne Plan und ohne Ahnung von irgendetwas entscheiden eine Band zu gründen. Auf der Straße mussten sie sich mehr oder weniger intensiv mit einer Türkengang herumschlagen. Das Stück „Türken raus“, dessen Text aus wenig mehr als diesen beiden Worten besteht, ist das Ergebnis dieser Situationsüberlagerung. Es ist übrigens nie in irgendeiner Form von den Onkelz veröffentlicht worden. Lerchenfeldt macht deutlich, dass diese „Komposition“ etwa so deutlich für eine Nazi-Band spricht, wie das Hakenkreuz, das ein 13-Jähriger in die Schulbank ritzt.
So einfach ist es natürlich nicht. Und Lerchenfeldt bleibt dabei auch nicht stehen. Zum einen macht dieser Titel und ein weiterer namens „Deutschland den Deutschen“ die Band für die rechte Szene interessant. Eine Zeit lang bleiben die Titel im Live-Programm der langsam zu einer wahren, wenn auch noch dilettantischen Band werdenden Onkelz. Die Folge davon: die Onkelz werden zu Konzerten in entsprechenden Kontexten eingeladen und stehen zum Teil gemeinsam mit sehr problematischen Bands auf einer Bühne.
Für die Frankfurter dürfte das nur ein geringes Problem gewesen sein. Auch um diese Wahrheit drückt sich Lerchenfeldt nicht herum. Er kann zwar mit Originalzitaten nachweisen, dass sich die Onkelz sehr deutlich von der Neo-Nazi Szene distanziert haben – und zwar lange bevor das irgendein politisch korrekter Gutmensch-Journalist eingefordert hat. Auf der anderen Seite wird genauso deutlich, dass die Musiker deutlich rechts von der Mitte standen. Ausländerfeindliche Parolen dürften das letzte gewesen sein, was sie davon abgehalten hätte, bei einem Konzert aufzutreten.
Schnitt! Lerchenfeldt leitet das zweite Kapitel mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung ein und stellt die in meinen Augen etwas gewagte These auf, „dass gerade in den neuen Bundesländern oder der ehemaligen DDR ein Publikum lebte, das im Grunde nur auf etwas wie die Böhsen Onkelz wartete.“ (S. 90) Aber in den neuen Bundeseländern lebte ein Publikum, das nie in selbstverantworteter pluraler, toleranter Demokratie erzogen wurde. Es lebte dort ein Publikum, das den von oben verordneten Antifaschismus abstreifte und die nach kurzer Euphorie schnell einsetzende Angst vor den dramatisch schnellen Veränderungen auf das übertrug, was fremd war. Mit rechten Sprüchen konnte man die Eliten Ost und West gleichzeitig provozieren und man hatte – wie schon so oft - einen Sündenbock als Ursache für das, was einem Angst machte, auf den man einprügeln konnte.
Die „Gesellschaft“ dagegen suchte nach Rostock-Lichtenhagen, Mölln und und und nach Ursachen und Verursachern für die Wochen zuvor noch undenkbare brutale Gewalt gegen Fremde. Mit dem Rechts-Rock wurde schnell ein Sündenbock gefunden, und über den musste natürlich berichtet werden. Das führte zu dem Problem, wo der Journalist, der einen Nachmittag Zeit für die Recherche seines Enthüllungsartikels hat, die rechten Bands her nehmen sollte. Zum Glück gab es da die Böhsen Onkelz, die anders als alle wirklichen Rechts-Rock-Bands gerade in dieser Zeit einen kräftigen Schub nach oben bekamen und so von der Presse wahrgenommen wurden.
Wenige, aus dem Zusammenhang gerissenen Fakten wurden immer wieder voneinander abgeschrieben. Wirklich recherchiert wurde selten. Wie voreingenommen die Presse und das Fernsehen ihre Berichte lancierten, macht Lerchenfeldt an mehreren Beispielen deutlich.
Dass die Böhsen Onkelz trotz massivem Boykott von Medien und Handel hoch in die Charts schossen, lies das Phänomen Onkelz doppelt bedrohlich erscheinen. Aber Wellen, die die Presse schlägt, fallen auch bald wieder in sich zusammen. Und hier passierte etwas, was Lerchenfeldt nicht berücksichtigt. Die Onkelz waren an dem anhaltenden Pressewirbel um sie nicht ganz unschuldig. Irgendwann gab es natürlich auch eine Berichterstattung, die die Legenden hinterfragte. Das Metal-Magazin Rock Hard, obwohl tendenziell eher links ausgerichtet, tat sich da wohltuend hervor. Wirklich kritische Köpfe z. B., wie bereits erwähnt, Wolfgang Niedecken, bliesen Entwarnung.
Und was machten die Onkelz? Sie nahmen den – zwar auch nicht wirklich rechten – aber reichlich umstrittenen „Bomberpilot“ wieder ins Live-Programm auf. Die Folge: Die Medien schäumten, man habe es ja schon immer gewusst. Und die Onkelz sind ohne einen Pfenning Werbekosten zu bezahlen ganz oben in den Schlagzeilen. Wer die Intelligenz von Stephan Weidner kennt, vermag hier kaum an Zufall denken.
Kommen wir zum Schluss. Die Onkelz traten immer wie eine verschworene Einheit auf, zwischen die kein Keil zu treiben ist. Nach dem Split wurde mehr und mehr bekannt, wie gespannt das Verhältnis zwischen den vier Musketieren war. Zum Teil wurde nach dem Split jahrelang kein Wort miteinander gewechselt.
2009 gerieten die Onkelz durch Kevin Russell erneut in die Schlagzeilen. Zugedröhnt mit Drogen rast er mit weit überhöhter Geschwindigkeit auf der Autobahn in ein anderes Fahrzeug und begeht zu Fuß Unfallflucht. Die Insassen des anderen Fahrzeugs überleben nur, weil andere sie aus dem brennenden Wrack ihres Autos ziehen. So tief unten waren die Onkelz nie zuvor. Weidner distanziert sich öffentlich in aller Schärfe von seinem ehemaligen Freund.
Lerchenfeldt arbeitet das, was zwischen den Bandmitgliedern gelaufen ist, soweit er es wissen kann, akribisch auf.
Fünf Jahre später, fast zehn Jahre nach dem Split, die Sensation. Die Onkelz haben sich wieder zusammen gefunden. Die „ehrliche“ Band kündigt – entgegen der zehn Jahre alten Versicherung, die Trennung sei endgültig – neue Konzerte und Alben an.
Entrüstung und Kritik halten sich im Rahmen. Die Begeisterung siegt! Die Karten für die Reunion-Konzerte sind in Rekordzeit ausverkauft. Und – und das ist neu – Presseberichte, die vor der „rechten“ Band warnen, sind rar. Die Onkelz sind zum akzeptierten Mega-Act geworden. Man darf gespannt sein, ob sie unter diesen „normalen“ Bedingungen mit neuen Alben die Legende bleiben können, die sie bislang waren.
Die bisherige Legende ist von Conrad Lerchenfeldt so intensiv ausgeleuchtet worden, dass es wohl eine ganze Zeit dauern wird, bis dieses Werk getoppt wird.
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