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1990 hieß “downloaden” noch “mitschneiden” und funktionierte ganz anders. Man saß gespannt am Radiogerät. Die Aufnahmetaste des Kassettenrecorders war gedrückt; die Pausentaste ebenso. Ein Finger lag auf der Pausentaste; ein anderer auf dem Regler für die Lautstärke der Aufnahme, der auf „Null“ stand.
Man wartete bis der Moderator ein erwünschtes Stück ansagte, löste sofort, wenn er ausgeredet hatte, die Pausentaste und blendete sich mit dem Aufnahmeregler sanft in das Stück ein. Und dann kam die eigentliche Kunst. Man entwickelte so etwas wie einen 7. Sinn dafür, wann der Moderator wieder zu reden begann, um das Stück so auszublenden, dass man gleichzeitig nichts von dem Gerede auf Band hatte und möglichst wenig Sekunden des Stücks verlor. Über 100 derart bespielte Cassetten sind noch heute Teil meiner Sammlung.
Das Reinquatschen in die Stücke hatte übrigens Methode und war von der Industrie erwünscht. Man sollte sich die „vollständigen“ Stücke schließlich kaufen und nicht kostenlos vom Radio aufnehmen. Es gab wenige Ausnahmen, wie z.B. Günther Fink, der die Titel im NDR-Wunschkonzert voll ausspielte – insbesondere wenn die “lange Rille“ dran war. Einmal in jeder Sendung wurde dann ein Stück von 8 oder mehr Minuten voll ausgespielt. Es war allein schon eine Seltenheit, dass in dem auf 3:30 gemünzten Radioprogramm solche Stücke überhaupt vorkamen.
Aber es gab eine weitere Quelle für gut ausgespielte Stücke – und die hieß DT-64 und war der Jugendsender des DDR-Radios. Hier herrschten andere Verhältnisse. Die DDR hatte nicht das Problem Käufer für ihre Schallplatten zu finden. Im Gegenteil: Oft waren Neuerscheinungen schon am Veröffentlichungstag vergriffen – insbesondere, wenn es sich um Lizenzpressungen westlicher Bands handelte. Um die nach Hörstoff gierende Jugend zu versorgen, wurde im Mangelstaat völlig anders gedacht. Jeden Tag wurden zwei komplette LP-Seiten (von unterschiedlichen Platten – in der Regel eine West- und eine Ost-Band) im Radio gespielt - ohne Zwischenansage zum bequemen mitschneiden. In der Folgewoche kam dann die zweite Seite der jeweiligen Scheibe dran. So landeten u.a. Scheiben von Europe, Ozzy Osbourne, Roxette, Mick Jagger und Elvis Costello in meiner Sammlung.
Wie man sieht, habe ich um Ost-Bands überwiegend einen Bogen gemacht. Aber irgendwann gab es dann „die anderen Bands“ – unangepasste Truppen, bunt, wie die Punkszene, aus der viele von ihnen stammten, die nicht bereit waren sich der staatlichen Gängelung zu beugen. In den Monaten vor der Wende gab es im Kulturbereich Lockerungen, die es Sendern wie DT-64 und Sputnik möglich machten, diesen Bands ein Forum zu bieten. Sie wurden unter anderem in der Sendung „Pa-Rock-ti-kum“ gespielt. Unter diesem Namen wurde dann sogar eine Compilation vom Staats-Label Amiga veröffentlicht, die ich bei einem Tagesbesuch in Ost-Berlin erstaunlicherweise erwerben konnte. Bereits etablierte Bands, wie Pankow und Silly, die sich auch außerhalb der Musik in den neuen politischen Bewegungen engagierten, bildeten so etwas wie Brückenköpfe im System, an die „die anderen“ anknüpfen konnten.
Zwei Bands waren es vor allem, die meine Aufmerksamkeit fesselten. Zum einen Die Anderen, die der neuen Bewegung den Namen gaben; zum andern die Skeptiker, von denen ich frühe selbstproduzierte Aufnahmen vom Radio mitgeschnitten habe und dann sofort zugegriffen habe, als im Westen(!) die CD Harte Zeiten erschien. Soweit ich weiß, gab es in der östlichen Heimat der Band zu diesem Zeitpunkt außer selbst vertriebenen MCs lediglich eine 4-Track Single.
Harte Zeiten ist die erste CD einer „Ost-Band“, die ihren Weg in meine Sammlung gefunden hat, und ich würde sie bis heute als eine der besten deutschsprachigen Rock-Scheiben aller Zeiten bezeichnen.
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