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Info
Zeit: 18.06.2014
Ort: Düsseldorf
Veranstalter: Deutsche Oper am Rhein
Fotograf: Hans Jörg Michel (www.foto-drama.com) / Deutsche Oper am Rhein
Internet:
http://operamrhein.de/
Mit seiner Inszenierung von Benjamin Brittens letzter Oper Death in Venice an der Rhein-Oper Düsseldorf setzt Regisseur Immo Karaman einen bemerkenswerten Schlusspunkt an das Ende seines Britten-Zyklus. Death in Venice bildet zusammen mit Peter Grimes, Billy Budd und Turn of the Screw ein Quartett von Literaturopern mit gleichsam tiefenpsychologisch aufbereiteten Plots. Im Fall von Death in Venice bestand die Herausforderung darin, Thomas Manns äußerlich handlungsarme, mehr atmosphärische Vorlage in musikalische Szenen und Aktionen zu übersetzen. Britten und seine Librettistin Myfanwy Piper haben sich in enger Anlehnung an die Vorlage für eine fast schon ritualartige Konstruktion entschieden: Achtmal begegnet der Protagonist Gustav von Aschenbach einer ominösen Trickster-Gestalt, die in immer neuen Inkarnationen erscheint und im Hintergrund die Fäden zieht – ist es am Ende Aschenbachs eigener unbewusster Schatten, der ihn nach Venedig lockt und dort festhält? Wir sehen die Welt bekanntlich nicht, wie sie ist, sondern wie wir sind. Die Gestalt des unheimlich schönen Knaben Tadzio wird für Aschenbach zum Auslöser einer finalen Kunst- und Lebenskrise, die den Schriftsteller schließlich vom Reich der Lebenden in das der Toten führt.
Das Ganze hat schon bei Thomas Mann Qualitäten eines Traumspiels und Britten und Piper spitzen diesen Moment des Unwirklichen durch die ständigen fließenden musikalischen Übergänge und szenischen Verwandlungen weiter zu. Für die Inszenierung ist die fast schon filmische Disposition eine besondere Herausforderung – das Düsseldorfer Team findet dafür sehr überzeugende Lösungen. Dass es sich um eine vor allem innere Reise handelt, wird von Karaman konsequent umgesetzt: Das Meer und der Strand, die in Brittens sinnlich-sprödem Spätwerk in immer neuen musikalischer Chiffrierung erscheinen, bleiben unsichtbar. Die Düsseldorfer Produktion ist ein Kammerspiel im wahrsten Sinne, das nur verschattete Innenräume kennt, hinter deren Wänden sich nach und nach weitere, leprös verfallene Räume auftun und das bisweilen eine zusätzliche klaustrophobische Engführung hin zu einer abgekapselten "Denkstube" Aschenbachs erfährt (Bühnenbild: Kaspar Zwimpfer). Mit seinem ständigem Halbschatten und Dämmerlicht (Licht: Franz-Xaver Schaffer) wirkt diese Version von Death in Venice wie eine Fortsetzung von Turn of the Screw. Oder Billy Budd. Brittens persönliche Obsessionen werden so als Muster erkennbar. Das panoptikumartig stilisierte Personal und die sartyrartigen Bediensteten des Hotels scheinen freudianischen oder gar poeschen (Alb)Traumwelten entsprungen, was den irrealen, psychologischen Charakter herausstreicht und erst gegen Ende z. B. in der zombiehaften Gestalt der Erbeerverkäuferin etwas überzogen wirkt. Irritierend, aber nach Karamans Deutung überaus stringent ist der Verzicht auf Tadzios erneutes Erscheinen in Aschenbachs letzten Augenblicken - hier stirbt der Dichter hoffnungslos allein, isoliert, ohne das lockende Winken eines Seelenführers (Psychagog) und der Zuschauer bleibt mit der Frage zurück, ob sich vielleicht das ganze Geschehen ohnehin nur vor dem inneren Auge des Protagonisten abgespielt hat. Eindrücklich zudem, wie die (homo)erotische Komponente inszeniert wurde. Die Ambivalenz von Eros und handfestem Sexus, von Begehren, Verlangen und ungehemmter Lust wurde in starken Bildern beschworen, ohne dass dabei die strenge Stilisierung durch plakativen Verismus aufgegeben würde.
Herausragend auch die musikalische Umsetzung: Brittens wunderbar transparenter, reich differenzierter Orchestersatz gewinnt unter der Leitung von Lukas Beikircher ein markantes Profil. Der von Christoph Kurig vorbereitete Chor glänzt durch vokale und szenische Präsenz, was auch für die vielen kleineren Nebenrollen gilt. Der spiel- und wandlungsfreudige Bariton Peter Savidge glänzte in immer neuer Gestalt als Aschenbachs sinisterer Schatten und Strippenzieher. Raymond Very schließlich interpretierte die große und fordernde Partie des Gustav von Aschenbach mit genau der richtigen Dosierung von lyrischem Gesang und sprachnaher Deklamation – eine großartige Leistung. Jarod Rödel, der in der besuchten Vorstellung den Tadzio tanzte (Choreographie: Fabian Posca), war mit seiner fragilen, durch Kostüm und Maske fast schon irrealen Erscheinung perfekt besetzt: Das Ätherische und Faszinierende knabenhafter Schönheit verkörperte er mit katzenhafter Geschmeidigkeit ebenso wie die Sehnsucht zum Tode.
Erstaunlich und bedauerlich, dass angesichts dieser Qualität die Reihen im Parkett sich nach der Pause unübersehbar gelichtet hatten.
Georg Henkel
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