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Info
Zeit: 23.07.2004
Interview: Telefon
Stil: Lo-Fi-Pop
Internet:
http://www.schtimm.com
Mein Gesprächspartner am Telefon ist Erling, Kopf der norwegischen LoFi-Pop-Band Schtimm. Er sitzt statt wie üblich in Trondheim gerade bei den Eltern seiner Freundin in Tromsø, der nördlichsten „Metropole“ Europas. Nachdem er den Tag über bei der Hausrenovierung geholfen hat sitzt er nun mit Blick auf einen stillen See draußen. An der anderen Seite der Leitung bin ich im verregneten Deutschland in einem Kellerzimmer mit dem Kopf voller Fragen, die mich bezüglich einer Band interessieren, die mir intensiven Pop in den CD-Player gezaubert haben wie es bisher kaum jemand geschafft hat.
MAS:
Als ich eine Review über euer Album „Featuring...“ geschrieben habe, habe ich die Stimmung der Musik mit der in Edvard Griegs Werken verglichen. Empfindest du das ähnlich?
Erling:
Das ist eine gute Frage. Es schwer wenn man ein Teil der Band ist so etwas zu beantworten. Wir sind Schtimm und hören eigentlich nicht so sehr darauf was andere Leute machen. Es ist schwer sich selbst zu definieren.
MAS:
Wie geht es dir, wenn du deine eigene Musik hörst? Hörst du nur die technischen Aspekte raus?
Erling:
Wir produzieren den größten Teil unserer Musik selbst, also muss man das auf jeden Fall unter dem technischen Gesichtspunkt hören, mit Produzenten-Ohren. Während wir Musik machen denken wir nicht an das Technische, beim Anhören kommt das aber unweigerlich.
MAS:
Hat eure Umgebung, z.B. die Natur einen Einfluss auf eure Musik? Du weist was ich meine, die Musik, die ihr macht könnte beispielsweise nie aus New York City kommen.
Erling:
Ja, ich denke alles im Alltagsleben, alles was man macht beeinflusst das. Der Ganze Prozess des Musikmachens ist etwas, das wir einfach machen, keine Ahnung....
MAS:
Ihr macht das alles also nicht unbedingt mit einer bewussten, verkopften Herangehensweise?
Erling:
Genau so ist es eigentlich. Wir haben keine Ziele oder so was wenn wir Musik machen, wir möchten nur einen Song machen. Irgendeinen... Wir denken nicht vorher wie der Song ungefähr klingen sollte, das ergibt sich einfach.
MAS:
Dann wird es wohl auch schwer sein über musikalische Einflüsse zu reden.
Erling:
Ja, das ist es. (lacht) Es gibt natürlich Künstler, die wir mögen und deren Musik wir oft anhören, aber es wäre so viel schwieriger einen Song zu schreiben, wenn man es versucht wie irgendetwas zu gestalten.
MAS:
Wir läuft das Songwriting dann? Bringt ihr fertige Songs mit oder macht ihr alles zusammen?
Erling:
Wir schreiben die Songs zusammen. Wir ändern die Songs ja auch nicht so wahnsinnig. Die Struktur ist sehr minimalistisch. Jeder bringt dann seine Persönlichkeit mit ein. Das ist alles eigentlich sehr einfach.
MAS:
Wo du gerade euren minimalistischen Stil ansprichst. Ist es manchmal schwer die Songs so minimalistisch und reduziert zu halten? Die meisten Musiker können sich nicht zurückhalten immer mehr in einen Song reinzupacken.
Erling:
Dieses Album ist schon komplexer. Also nicht unbedingt komplex in der Bedeutung des Wortes, aber relativ komplex für unsere Verhältnisse. Da finden sich schon mehr Elemente im Vergleich zum letzten Album. Jeder Songs trägt ein anderes Gewand als die anderen, aber eigentlich sind sie schon immer derselbe. Es war auch ein Grund das Album selbst zu produzieren, damit niemand da ist, der zu viel noch reinstecken will. Das Musiker-Gen bezüglich der Überladung der Songs muss uns wohl einfach fehlen. Uns geht es mehr um Songs als ums Instrumente spielen.
MAS:
Das ist eine sehr interessante Sache. Das kann eine gute Antwort dafür sein, warum die besten Musiker oft beschissene Musik machen.
Erling:
Wir wissen schon wie man unsere Instrumente spielt, aber wir werden eben nie den Jazz neu erfinden oder so.
MAS:
In einem älteren Interview, das ich gelesen habe, habt ihr viel über Russland gesprochen. Ihr wart alle nie dort. Was ist die symbolische Bedeutung für euch?
Erling:
Erst möchte ich noch kurz unterstreichen, dass es keine politische Bedeutung hat. Das wird immer gern interpretiert, stimmt aber gar nicht. Auch dass wir in unseren Art-Works gerne Sterne benutzen hat nichts damit zu tun. Sterne finden sich überall. Russland ist eher abstrakt für uns. Es kommen so viele tolle Sachen aus Russland, die alten Komponisten, Schriftsteller wie Dostojewski, usw. Es wir immer sehr negativ dargestellt, aber die Sachen über die man wenig oder gar nichts weiß könnten attraktiv sein. Die Sprache ist auch toll, ich verstehe kein Wort, aber der Klang ist wunderbar.
MAS:
Auf eurem Album arbeitet ihr mit ein Vielzahl unterschiedlicher Musiker zusammen. Mit Hank von Turbonegro, Jazz-Musikern oder Streichern vom Bodø Symphonie Orchester. War es schwer all das zu vereinen oder ist das in der norwegischen Musikszene üblicher als anderswo?
Erling:
Norwegen ist sehr klein und man kennt sich irgendwie hier. Die Musiker waren irgendwie so was wie Co-Schneider für die Kostüme der Songs. Sie machen alle ganz andere Sachen als das was wir machen, aber wir fühlten, dass es einfach richtig ist das zu tun. Das ist auch einer der großen Unterschiede zum letzten Album. Sie waren alle eine Bereicherung. Beim letzten Album haben wir gar keine Equalizer benutzt und haben nie mehr Instrumente eingespielt als wir es live können. Deshalb haben wir das meisten davon auch live aufgenommen. Da gab’s doch so etwas wie einen Plan. Bei „Featuring...“ gab’s das nicht.
MAS:
Hast du eine Erklärung dafür warum gerade so viele einzigartige, schwer vergleichbare Bands aus Norwegen kommen? Ich denke an Noxagt, Turbonegro, Kaizers Orchestra, Madrugada, Røyksopp, Motorpsycho, JR Ewing, ...
Erling:
Keine Ahnung. Es gibt nicht so viel zu tun in Norwegen... und es gibt nicht viel zu verlieren. Wenn man hier eine traditionelle Rockband gründet juckt das außerhalb Norwegens einfach keinen, da es da aus Amerika und Europa schon Tausende gibt. Das bringt einen also nicht weiter. Man muss dann dem eigenen Instinkt folgen und in Norwegen muss man auch nicht kommerziell denken. Norwegen ist ein sehr reiches Land. In den Zentren wie Oslo oder Bergen vermischen sich die Stile dann auch leichter, weil es eigentlich verhältnismäßig so wenige Musiker gibt als dass jeder seine eigene Subkultur um sich hätte. Wir hängen da nicht so sehr mit drin, da wir aus der absoluten Pampa kommen, aber in den großen Städten ist das schon so. Städte wie Bergen fördern ihre Bands auch sehr. Es gibt viele Labels und viele Sachen, die die Bands etwas rausbringen.
MAS:
Das ist mir auf einer Noxagt CD auch aufgefallen, dass da ein Dank für die Unterstützung der Gemeinde Stavanger draufstand. Das ist schon außergewöhnlich, das gibt’s in Deutschland nicht.
Erling:
Ja, Norwegen ist echt sehr reich. Da kann man irgendwie von überall her Geld bekommen. (lacht) Aber schlecht ist, dass man eben jemand kennen muss der Geld hat. Das kann das Ganze also genauso gut auch negativ beeinflussen. Wir kennen nicht viele solcher Leute, vielleicht irgendwann mal, aber man kann sich in Norwegen auch schneller erlauben Musik als Vollzeitjob zu betreiben.
MAS:
Machst du Schtimm hauptberuflich?
Erling:
Nein, nicht Vollzeit, aber wir können es uns zumindest leisten abseits von der Arbeit viel Zeit da rein zu stecken.
MAS:
Für norwegische Bands gibt es dagegen das Problem mit dem Touren, da alles so weit auseinander liegt und es sich ja außer in Oslo, Trondheim und Bergen nirgends so richtig lohnt zu spielen. Wie habt ihr das gelöst?
Erling:
Das ist schon ein Problem. Es ist echt schwer. Du kannst nirgends einen Gig montags spielen oder so. Aus dem Grund gibt’s dann auch wenige norwegische Musiker, die ihre Musik wirklich ganz Vollzeit machen um davon zu leben, aber man kann eben mit dem Lohn von wenig Arbeit leben und dann Musik machen.
MAS:
Das schafft einem dann auch die Freiheit in der Musik, dass es sich nicht unbedingt verkaufen muss.
Erling:
Ja, das ist eine tolle Sache. So denken wir auch. Wir haben nichts zu verlieren. Wir spüren keinen Druck. Wir können einfach die Alben machen, die wir wollen ohne an die Verkaufszahlen zu denken. Wir brauchen keinen Nummer-Eins-Radiohit oder so.
MAS:
Okay, ich bin mit meinen Fragen dann schon durch. Im Herbst werdet ihr ja hier für eine Tour nach Deutschland kommen. Da freue ich mich schon drauf.
Erling:
Wir freuen und auch schon sehr auf Deutschland, das ist ein tolles Land zum Touren. Dieses Mal werden wir auch nicht so lange Strecken zwischen den Konzerten haben wie München-Kiel auf der letzten Tour als wir nur für vier Konzerte da waren. Das Publikum ist auch sehr gut. In Norwegen geht’s mehr um lauten Rock zu dem man sich besaufen kann. Es spricht nichts dagegen zu Saufen, das ist toll, aber in Norwegen steht das Trinken doch oft vor der Musik.
Kevin Kirchenbauer
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