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Reggae ohne Marley - David Katz wirft seinen ganz eigenen Blick auf die Geschichte des Reggae

Info

Autor: David Katz

Titel: Solid Foundation - An oral History of Reggae (Revised and expanded Edition)

Verlag: Jawbone / Edition Olms

ISBN: 978-3-283-01220-5

Preis: € 19,99

429 Seiten

Mit dem Untertitel An oral History of Reggae greift David Katz auf eine ethnologische Terminologie zurück, die die vor allem in archaischen Kulturen dominierende Weitergabe von Geschichtswissen durch das gesprochene Wort bezeichnet. Für sein Buch bedeutet das, dass er seiner Darstellung im Wesentlichen das zugrunde legt, was er selber in Interviews von Musikern erfahren hat, die dabei waren.

Für faktenhungrige Erbsenzähler ist Solid Foundation eine echte Goldgrube. Fast jede einzelne Person, die Katz auf seinem Weg durch den Reggae und seine Vorgeschichte streift, wird zumindest kurz, oft auch länger, mit biographischen Abriss vorgestellt. Für den (nur) interessierten Leser bedeutet das aber auch, dass es schnell geschehen kann, sich in Details zu verstricken und den roten Faden des über 400-seitigen Werkes zu verlieren.

Es braucht etwas, bis wir in dem über 400-seitigen Wälzer überhaupt zum Reggae kommen. Katz gräbt erst einmal die Wurzeln im Ska, Rocksteady und Blue Beat aus. Und der frühe Reggae ist dann auch noch etwas ganz anderes, als das was die weite Welt nach dem Durchbruch von Bob Marley zur Kenntnis nahm. Hier liegen die Wurzeln dafür, dass sich die Reggae –Szene auch heute noch deutlich von anderen Musik-Szenen unterscheidet. In der „normalen“ Musik stehen der Künstler oder die Band im Mittelpunkt. Produzenten und Mixer veredeln deren Arbeit. Ihre Namen sind aber nur in Ausnahmefällen einer größeren Öffentlichkeit jenseits der Fans bekannt, die jedes Wort im Booklet ihrer Faves auswendig können. Und die Typen, die die Scheiben in der Disco auflegen, bleiben in der Regel Nobodies.

Anders beim Reggae. Hier sind – zum Teil bis heute – die Produzenten die eigentlichen Stars, die die Riddims bauen und dann eine ganze Reihe von Big Names darüber singen lassen. Das wäre etwa so, wie wenn ein Rock-Produzent ein Stück einspielen lassen würde und dann Mick Jagger, Bruce Springsteen, Bob Dylan, Kate Bush, Wolfgang Niedecken und Eric Clapton drüber singen lassen würde. Unvorstellbar!
Und im führenden deutschen Reggae Magazin „Riddim“ werden regelmäßig Mixtapes von Soundsystems vorgestellt und rezensiert. Auf die Rock-Szene umgebrochen, würde das bedeuten, ein Discjockey schneidet ein Tape mit Rock-Songs zusammen, das er abends in der Disco laufen lassen könnte, und das würde als eigenständige künstlerische Leistung besprochen. Strange!
Aber es entspricht der dominierenden Rolle, die Soundsystems und Produzenten in der Frühzeit des Reggae hatten und zum Teil bis heute haben. (siehe Titelbild des Buches; Red.)

Zurück zu Bob Marley. Denn der taucht in Solid Foundation nur in Nebensätzen auf. Eine biographische Skizze von ihm erscheint nicht einmal im Ansatz; eine Auseinandersetzung mit seinem Werk schon gar nicht. Auf Seite 298 gibt Katz einen Hinweis auf das Warum: „Es lohnt sich daran zu denken, das der Status vom Marley außerhalb Jamaikas unverhältnismäßig ist; Er ist sicherlich der international bekannteste Reggae Künstler, aber die Alben bei Island, mit denen er sich auswärts seinen Namen gemacht hat, fanden zuhause deutlich geringere Beachtung.“

Somit ist deutlich, die oral History of Reggae ist die Geschichte des Reggae in Jamaika. Dass Bob Marley dort aber so irrelevant gewesen sein soll, dass ihm nicht einmal eine kurze Skizze zugestanden werden muss, erscheint mir mehr als fraglich. Selbst in Katz‘ Werk gibt es Aussagen von jamaikanischen Künstlern, die da eine andere Einschätzung nahe legen.

Neben Jamaika kommt lediglich England gelegentlich in den Blick, wenn jamaikanische Künstler mehr oder weniger lange Zeit mit Erfolgen in England verbringen. Das ist eine legitime, aber im Jahre 2013 natürlich stark verengte Perspektive. Zumal mittlerweile Künstler wie Gentleman ihren Weg auch in Jamaika gefunden haben. Das könnte aber daran liegen, dass die „durchgesehene und erweiterte“ Ausgabe mit ihrer Darstellung nur sehr punktuell über das Jahr der Erstauflage (2003) hinaus greift. Wo hier substantiell erweitert wurde, wird nicht deutlich. Vielleicht wird das ersichtlich, wenn man die Originalausgabe daneben legt.

Norbert von Fransecky


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