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Manchmal passen die Dinge einfach. Unsere August-Ausgabe wird weitgehend ohne Beiträge von mir auskommen müssen, da ich fast den kompletten Juli in den USA verbringe. Aber meine monatliche Kolumne wollte ich natürlich nicht ausfallen lassen. Also habe ich vor dem Abflug kurz nachgesehen, welche Alben ich mir vor 25 Jahren im August 1987 zugelegt habe. Und es war sofort klar, welche der drei Alternativen ich wählen muss.
Heinz Rudolf Kunzes Wunderkinder fielen sofort unter den Tisch. Sagas Images at Twilight wäre nicht nur aufgrund ihrer musikalischen Qualität eine gute Wahl gewesen, sondern auch weil es die 50. CD war, die ich mir gekauft habe. Dennoch war klar, dass die Nummer 48 an den Start kommen muss. Und ebenso klar war, wann ich die Kolumne schreiben würde. Und so sitze ich nun hier in der Southside of Chicago, im Hause eines schwarzen Pastors unserer Partnerkirche, der mich für ein paar Tage bei sich aufgenommen hat. Ich erinnere mich gleichzeitig an die Blues Brothers und habe meine erste Begegnung mit der „amerikanischten“ Stadt Amerikas.
Ein weiterer schöner Zufall: Es gibt wohl kaum eine jüngere Weltstadt, als Chicago, da der City-Bereich 1871 praktisch komplett abgebrannt ist. So stammen hier - bis auf ganz wenige Ausnahmen - alle Gebäude maximal vom Ende des 19. Jahrhunderts. Und nur etwas mehr als vier Wochen zuvor war ich (zum Teil mit denselben Schülern, die jetzt mit mir in den USA sind) in einer der ältesten Städte Europas - in Rom.
Und ja, ich habe einiges aus dem Film wieder gefunden. Zwar zeigt er nichts von der modernen Eleganz der Skyscraper Metropole und auch nichts von der pittoresken Old Town um die Goethe-, Wieland- und Schiller-Street herum.
Begebt Euch aber einmal zum „Loop“. So heißt der Innenstadtbereich, um den herum die Subway überirdisch auf Stelzen geführt wird. Wenn Ihr nur einmal unter dieser Subway entlang gegangen seid, habt bestimmt sofort einen kurzen Dialog aus den “Blues Brother“ wieder im Ohr: „Wie oft fährt die Bahn denn?“ „So oft, dass Du es gar nicht mehr merkst.“
Ein Höllenlärm!
Noch mehr hat mich aber etwas anderes überrascht - und das waren die afroamerikanischen Gottesdienste in der Trinity UCC in der Southside Chicagos. Ich liebe die Szene, in der James Brown einen Revival-Pastor mimt, vor dem sich eine schwarze Gemeinde in Ekstase tanzt. Natürlich völlig übertrieben - dachte ich bis jetzt. Und übertrieben ist es natürlich! Aber Völlig?
Eher wie ein Konzert aufgebaut, denn wie ein „klassischer“ Gottesdienst war die Predigt in Chicago der emotionale Höhepunkt am Ende des Gottesdienstes, so wie der Klassiker am Konzertende, mit dem eine Band mit fast garantierter Sicherheit die Aufforderung zur Zugabe einfährt. Die Prediger setzten ihre Begeisterung für ihren Glauben im Ganzkörpereinsatz um. Sie sprangen auf, schnellten zurück, steigerten die Stimme vom Flüstern zum donnernden Stakkato. Und die Gemeinde stand ihnen in keiner Weise nach. Da wo ihr der Prediger aus der Seele sprach, applaudiert und jubelte sie, sprang auf, klatschte und tanzte. Wäre der Prediger am Ende in das berühmte „Have you seen the light?“ James Browns eingestiegen, es hätte zu 100 Prozent gepasst.
PS: Als ich zur Review des Soundtracks die Blues Brothers-CD nach längerer Zeit mal wieder aus dem Regal zog, scheint sich ein lange angedrohtes, von mir aber noch nie beobachtetes Phänomen eingestellt zu haben: die Altersgrenze von CDs. Jedenfalls liefen die Blues Brothers in den letzten 25 Jahren immer problemlos; jetzt fängt der Sound ab „Think“ langsam und im wachsenden Maß massiv an zu „flattern“.
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