Artikel
Info
Zeit: 16.05.2004
Ort: Stuttgart
Interview: Face 2 Face
Stil: Post-Hardcore
Internet:
http://www.thebloodbrothers.com
Da schafft es eine Band mit ihrem dritten Album zum einen, einen stimmigen Nachfolger zu den beiden Erstlingswerken abzuliefern, gleichzeitig aber ein Album aus dem Ärmel zu schütteln, dem man in John Wayne-Manier locker mal volle Punktzahl aus der Hüfte heraus zusprechen kann, behält trotz Major-Label ihre Stärken bei und strotzt nur so vor Energie und Dynamik. Burn Piano Island, Burn ist ein wahrhaftiger Hammer und da steht auch schon der Nachfolger fertig aufgenommen in den Startlöchern, der frühestens September auf die Masse losgelassen wird. Wie die Blood Brothers live mit vielen neuen Songs unter Beweis stellen wird es einem erneut vor Hektik und Intensität die Ohren wegblasen während ebenso die Pianos und Keyboard stärker zum Einsatz kommen und ruhige Songs ankündigen. Beim Interview vor dem Stuttgarten Schocken stellt sich Gitarrist Cody Votolato einigen Fragen und zeigt sich als überaus netter, bescheidener, ruhiger, aber offener Gesprächspartner.
MAS:
Ihr seid ja nun mit den Liars auf Tour. Sie sind auch eine sehr intensive Band, wie läuft es für euch? Wie reagiert deren Publikum auf euch?
Cody:
Ja, die Liars klingen nicht wie wir, aber das passt beides einfach wahnsinnig gut zueinander. Wir mögen es nicht allzu sehr mit Bands zu spielen, die wie wir klingen. Anders ist eine Show eklektischer und einfach interessanter. Wir sind sehr froh darüber mit ihnen auf Tour zu sein. Wie ihr Publikum auf uns reagiert hat? Das war wirklich sehr cool. Die Liars haben ein eher älteres Publikum als wir, das ist sehr nett. Die Leute schauen es sich aufmerksamer an, was du da gerade machst. Es ist nicht unbedingt so, dass das Publikum da völlig durchdreht. Es ist interssant mit ihnen auf Tour zu sein. Wären wir jetzt zum Beispiel mit The Locust auf Tour würden wir die selben Leute ansprechen, da unsere Fans wohl so ziemlich die gleichen sind.
Was das Publikum angeht hat Cody in Bezug auf die Liars absolut recht. Die Leute schauen es sich an - und sie mögen es. Die Liars spielen mit vielen Sounds, bauen richtige Wände von Krach auf während das Schlagzeug alles am Boden hält und teils als einziges Instrument eine Hintertür als letzte Zugangsmöglichkeit zur Musik offenhält. Was die drei Jungs abliefern ist auf jeden Fall überwältigend, sind es die fast naiven Gesangsmelodien des Sängers, seine beinahe an Theaterkunst erinnernde Bühnenperformance, die völlig abgedrehten Sounds des Gitarristen und dessen elektronischen Spielereien oder was auch immer, es hat eine intensive Wirkung und entschuldigt durch Tiefe und Ideenreichtum die Kürze der Spielzeit.
Was das Publikum in Bezug auf die Blood Brothers angeht hat Cody für Stuttgart nicht recht. Während der extremen, energiegeladenen Show, die jeglichen gelobten Live-Ruf von den Jungs aus Seattle nur unterstreicht, dreht das Publikum sehr wohl durch. Das könnte aber vielleicht auch daran gelegen haben, dass die Blood Brothers an diesem Abend Headliner waren und nur weil ein anderweitig geplantes Konzert der Liars abgesagt wurde diese als Support hinzugestoßen sind.
MAS:
Eure Tour damals mit Glassjaw muss ziemlich katastrophal gewesen sein,
stimmt's?
Cody:
Oh ja, das war grausam, aber das witzige war, dass wir danach mir The Used getourt sind und das viel besser war. Das ist komisch. Vielleicht muss man sich auch erst an uns gewöhnen und vielleicht waren das teilweise dieselben Kids, die uns vor Glassjaw noch ausgebuht haben - keine Ahnung.
MAS:
Wer schreibt eure Texte?
Cody:
Das sind Johnny und Jordan, die beiden Sänger.
MAS:
Hat der Rest der Band keinen Einfluss darauf oder ist es mehr ihr Instrument?
Cody:
Ja, es ist mehr ihr Instrument. Vieles über das sie schreiben ist von der amerikanischen Pop-Kultur beeinflusst oder von Politik und der Regierung. Sie versuchen dann ihre Ideen in einer abstrakten, interessanten Art umzusetzen. Theatralische Storys.
MAS:
Mich interessiert ob die beiden auch andere Medien außer der Musik für ihre Texte verwenden. Ich halte das literarische Niveau für ziemlich hoch.
Cody:
Johnny hat einige Kurzgeschichten geschrieben und er wäre wohl auch Schriftsteller, wenn er nicht für Musik schreiben würde. Aber das ist alles nichts Festes, nichts wirklich Greifbares.
MAS:
Zum Beispiel "Ambulance vs. Ambulance" ist ja nichts anderes als eine Kurzgeschichte. Die Texte sind einfach der Wahnsinn, ich empfehle jedem sich damit auseinanderzusetzen. Was denkt ihr über Kunst im Allgemeinen, was bedeutet es für eure Musik?
Cody:
Zum Beispiel in unsere Cover-Artworks und die T-Shirts stecken wir viel Arbeit. Wir verstehen uns schon als Künstler und bemühen uns deshalb auch um eine visuelle Umsetzung unserer selbst. Kunst ist auf alle Fälle ein großer Teil der Band.
MAS:
Wie sieht's mit eurem neuen Album aus? Wie weit seid ihr da?
Cody:
Das ist schon aufgenommen, das heißt, die einzelnen Tracks davon. Es sind 17, wobei wir uns noch nicht sicher entschieden haben, welche wir auf das Album packen. Natürlich gibt es einige, bei denen es sehr offensichtlich ist, dass sie auf's Album kommen werden, aber auch einige, über die wir noch nachdenken. Wir spielen auch live zwei Drittel neue Songs, das ist ein ganz guter Test.
MAS:
Wann soll es denn erscheinen?
Cody:
Ich denke so an September, aber wenn es nicht September ist, kann es auch Januar sein (lacht).
MAS:
Mit wem habt ihr diesesmal aufgenommen? Wieder mit Ross Robinson?
Cody:
Nein, mit John Goodmanson.
MAS:
Warum habt ihr den Produzenten gewechselt?
Cody:
John mögen wir sehr und all seine Arbeit, die er bisher abgeliefert hat. Er so gute Platten aufgenommen und wir wollten einfach gerne mit ihm arbeiten. Platten, die wir lieben, von Bands, die wir lieben. Und außerdem nimmt Ross zur Zeit in England The Cure auf und wir wollten nicht warten.
MAS:
Siehst du darin, dass ihr "Burn Piano Island, Burn" mit Ross aufgenommen habt auch Nachteile? Jeder redet nur über den Produzenten...
Cody:
Ja, das war schon furchtbar. Jeder hat uns nach Ross gefragt, aber er hat doch unsere Songs nicht geschrieben, das waren wir. Und das wollte er auch nie, dass die Leute mehr über ihn reden. Er hat uns auf jeden Fall geholfen, das beste Album zu machen, das wir zu der Zeit machen konnten, deshalb ist das schon alles okay. Aber die ganzen Interviews handelten fast nur noch von ihm und es ging sogar sehr um seine Person, nicht mal speziell um seine Arbeit mit dem Album.
MAS:
Dann war es vielleicht gar nicht so schlecht den Produzenten zu wechseln?
Cody:
Wir haben da nicht strategisch darüber nachgedacht, weil wir nicht nach Ross gefragt werden wollten. Der Zeitplan war einfach nicht gut und wir wollten es mit John machen. Insgesamt habe wir circa anderthalb Monate mit ihm für das neue Album aufgenommen und sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
MAS:
Jetzt möchte ich dir die stereotypischste Frage stellen, die man von Interviewern nur hören kann und zwar die nach dem Bandnamen. Ich möchte das aus dem Zusammenhang heraus fragen, weil ich denke, dass die Assoziation, die man mit dem Bandnamen hat eine ganz andere ist als das, was eure Musik dann letztendlich ist. "The Blood Brothers" klingt erstmal nach Tough-Guy-Old-School-Hardcore während eure Musik serh intelligent ist und sogar mit Avant-Garde-Elementen spielt.
Cody:
Es hört sich schon nach Hardcore an. Wir haben mit der Band mit 15 anfangen und standen auf Bands wie die Deathwish Kids oder Born Against. Eben diese punkigen Namen und wir dachten, dass "Blood Brothers" doch total geil wäre. Später haben sich dann aber viele solche Tough-Guy-Bands entwickelt, die das Wort "Blood" in den Bandnamen gepackt haben. Ich verstehe deine Frage schon ganz gut. Wenn wir heute mit der Band anfangen würden, hießen wir schon anders. Wir haben auch schon darüber nachgedacht den Namen zu ändern, aber das war dann einfach zu spät. Wir haben schon Sachen veröffentlicht und "Blood Brothers" ist zumindest leicht zu merken. Sobald man die Musik einer Band dann gehört hat assoziiert man eh die Musik mit dem Bandnamen und die eigentliche Wortbedeutung rückt in den Hintergrund, also ist das nicht so schlimm. Manchmal denke ich schon, dass der Name dumm und blöd ist, aber manchmal denke ich auch, dass er gar nicht soo schlecht ist. Es ist halt ein Bandname...
MAS:
Ich hab schon die Erfahrung gemacht, dass wenn eure CD bei mir im Auto rumliegt und Leute eine neue CD reinschieben bisher niemand die Blood Brothers reingeschoben hat, auch wenn sie eure Musik potentiell sehr interessieren würde oder die Leute euch sogar sehr mögen, wenn ich dann ein Album reinmache.
Cody:
Das ist interessant, das kann ich schon verstehen... aber machen können wir da wohl einfach nichts mehr.
MAS:
Zumindest habt ihr wirklich spannende Artworks, die keine Totenköpfe oder weiß ich was zeigen.
Cody:
Oder triefendes Blut und Schwerter (lacht)...
MAS:
Wie läuft das eigentlich bei euch mit dem Songwriting? Eure Musik klingt sehr spontan, ist ungeheuer intensiv, unberechenbar, hektisch, ... Wie kann bringt ihr da doch eine gewisse Grundordnung rein?
Cody:
Das läuft alles sehr intuitiv, wir spielen schon ewig zusammen und die Chemie stimmt einfach. Das meiste ergibt sich so beim Jammen. Es kam auch schon vor, dass ich das Tuning der Gitarre verändert habe und auf einmal jemand gerufen hat, was ich denn da machen würde, es würde geil klingen. Bei den Songs zu dem neuen Album war es zum ersten mal so, dass Johnny und Jordan die Melodien parallel zu der Entstehung des Songs geschrieben haben. Auf dem neuen Album wird auch mehr Piano und Wurlitzer-Zeug sein, so hat zum Beispiel Johnny dieses mal einen größeren Einfluss auf die Songentstehung gehabt. Es kommt auch schon vor, dass jemand eine Art Basis für einen Song mitbringt, aber das verändert sich alles dann so stark, dass nur noch Fragmente der Grundidee Bestand haben.
Diskografie
2001 - March On Electric Children
2000 - This Adultery Is Ripe
MAS:
Ändert ihr eure Songs auch nachdem ihr sie aufgenommen habt noch um sie für euch frisch zu halten?
Cody:
Oh ja, das ist ziemlich wichtig. Zum einen verändert sich während dem Aufnehmen noch mal ziemlich viel, aber auch danach passiert das ständig. Ansonsten wird die Live-Performance mechanisch und das wollen wir nicht.
MAS:
Seht ihr euch eigentlich an irgendeiner Grenze was eure Musik angeht, an einer technischen Grenze oder der Grenze was die Umsetzungsfähigkeit der Ideen anbelangt?
Cody:
Nicht so sehr, wir versuchen eher das ganze einfach zu stricken, es zu reduzieren. Technische, vom Metal inspirierte Sachen fallen immer mehr unter den Tisch. Die neuen Stücke sind offener. Ich will mit meiner Gitarre interessant sein und weird, aber dazu bedarf es keiner großen technischen Spielereien. Grenzen bauen sich bei uns schwer auf, da eben alles eher aus dem Bauch heraus kommt, sehr instiktiv, also eher das Gegenteil von verkopft. Daher ist es schwer Barrieren zu finden. Alle in der Band mögen übrigens Soul und spielen da viel rum.
MAS:
Was sind eure Einflüsse wenn man von ähnlichen Bands wie Botch, Locust usw. mal absieht? Die Idee zu "Guitarmy" erinnert mich zum Beispiel an Nation Of Ulysses.
Cody:
Ja, unbedingt. Wir lieben Bands wie Botch oder Locust, aber die sind kein echter Einfluss auf uns. Einflüsse sind eher Sachen, die man nicht erwarten würde. Unsere beiden Sänger haben gesangliche Einflüsse ganz stark von Nick Cave & The Bad Seeds. Wir hören gar nicht unbedingt diese harte Schrei-Musik als tägliche Basis. Eher krankes, weiches Zeug oder Pop. Unsere Einflüsse zu definieren ist schwer, da wir sehr eklektisch sind und aus sehr vielen Dingen etwas herausziehen. Wenn man als Vorbild nur The Locust nimmt oder so wird man nur eine indimensionale, billige Kopie sein und sich nicht weiterentwickeln. Man kann so nicht innovativ sein. Es ist viel besser aus allen Musikstilen etwas zusammenzulesen und zu dem eigenen Werk zusammenbauen. Die Chance ist dann viel größer intelligente und interessante Musik zu machen.
Kevin Kirchenbauer
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