Artikel
Info
Zeit: 26.05.2012
Ort: Deutsche Oper am Rhein - Düsseldorf
Fotograf: Copyright: Deutsche Oper am Rhein
Internet:
http://www.rheinoper.de/de_DE/events/detail/9379276/calendar
In Benjamin Brittens Kammeroper The Turn of the Screw nach einer Spuknovelle von Henry James kann man sich vor den Lebenden - insbesondere vor den Erwachsenen - mehr fürchten als vor den Geistern. Wenn die von ihren Ängsten und Obsessionen getriebene Gouvernante in der Inszenierung von Immo Karaman mit einem viel zu großen Messer hantiert, um einen Apfel zu schälen, dann möchte man bei dieser Frau nicht darauf schwören, dass es nur beim Obst bleibt. An klassischer Suspense und diversen Thriller-Elementen hat diese Neuproduktion der Deutschen Oper am Rhein (in Kooperation mit dem Opernhaus in Leipzig) noch so Manches zu bieten. Das kinoverwöhnte Auge darf sich an lauter déjà-vu´s erfreuen, wobei die diskreten und stimmungsvollen Referenzen von „Nosferatu“ über „Psycho“, „The Others“ und „The Sixth Sense“ bis hin zu „The Ring“ reichen. Das alles findet seinen Platz in einem wunderbaren Gothic-Horror-Ambiente, in dem sich bei jedem Szenenwechsel die Schraube der Paranoia und Furcht tiefer in die Seele der Protagonisten gräbt.
Obschon der Bühnenraum in den Dimensionen recht monumental wirkt, gelingt es mit dem mobilen Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer, die zunehmend klaustrophobische und immer irrationalere Atmosphäre von Brittens Musik in packenden Bildern zu manifestieren. Schräge Winkel, enge Durchgänge, Schattenspiele und ein aus den Fugen geratenes Treppenhaus erzeugen mitunter eine Carceri-Stimmung à la Prianesi; tiefe Raumfluchten und szenische Spiegelungen lassen die Grenzen von Traum und Wirklichkeit verschwimmen und beschwören die Tiefen des Unterbewusstseins.
In so einem Setting erscheinen Geisterscheinungen gar nicht mehr unwahrscheinlich. Ob es sich aber um reale Erscheinungen oder um reine Einbildungen der Gouvernante handelt, bleibt bis zum Schluss offen und ist eigentlich auch nicht wirklich wichtig - spannend sind vielmehr die Reaktionen der Personen auf die Geschehnisse.
Karaman gelingt es überdies durch ständige szenische Variationen der Geisterescheinungen, die Spannungsschrauben anzuziehen und zugleich Mutmaßungen und Projektionen des Publikums viele Entfaltungsräume zu eröffnen, ohne das Stück auf eine Deutung festzulegen. In diesem Sinne sehr gelungen der Einfall, die Geister zunächst nur von Tänzerpantomimen darstellen zu lassen und die Stimmen aus dem Off zu projizieren. Später bekommt der Geist der alten Gouvernante Miss Jessel dann auch eine eigene Stimme, während der dämonisch-verführerische Geist des Peter Quint ein Phantom bleibt. Die bloßen Andeutungen über die angebliche Verdorbenheit der Kinder, insbesondere über den Jungen Miles und sein dubioses Verhältnis zu Quint, sind ebenfalls viel interessanter als die Erhellung der wahren Hintergründe. Brittens Oper ist eben auch ein Werk über die Projektionen des menschlichen Geistes, der sich seine eigene Wirklichkeit schafft, statt sich mit den unbewussten Kräften und Mächten in seinem Inneren auseinanderzusetzen.
In der Vorstellung vom 26. Mai 2012 verlieh Sylvia Hamvasi der Gouvernante von Anfang an mit reich nuancierter, bei aller Klarheit großer Stimme immer wieder etwas leicht Hysterisches. Karman steigert diesen Effekt noch dadurch, dass er Hamvasi manchmal etwas überzogen, wie in einem alten Stummfilm, agieren lässt. Die Haushälterin Mrs. Grose ist da zunächst viel gesetzter und vernünftiger, bekommt aber im Laufe des Stückes immer zweideutigere Züge. Marta Márquez verkörperte dieses Porträt sehr überzeugend mit einer Mischung aus etwas schlamperten Charme, Mütterlichkeit und Launenhaftigkeit. Der verführerische Tenor von Corby Welch vermittelte trotz einer kleinen Übertragungspanne aus dem Off den dämonischen Charme des Quint - ein Geist, dem sich nicht nur der Knabe Miles, sondern wohl auch die Gouvernante hingeben möchten. Miles hat in Kaison Raj einen vokal wie schauspielerisch hochbegabten und charismatischen Darsteller. Und auch die Flora profitierte sehr von dem natürlichen und spontanen Singen und Spielen ihrer ebenfalls sehr jungen Darstellerin Yolanda Shamash.
Schließlich glänzten die ausgewählten Mitglieder der Düsseldorfer Symphoniker unter der befeuernden Leitung von Wen Pien-Chien. Mustergültig und ergreifend, was Britten mit nur dreizehn Musikern an Musikalität, Farbigkeit und Gestaltreichtum zu erzeugen wusste. Ein starkes Stück in einer inspirierten Inszenierung!
Georg Henkel
Zurück zur Artikelübersicht |