Musik an sich


Reviews
Brahms, J. (Krämer)

Klaviersonaten Nr. 1 & 2 / Scherzo es-moll


Info
Musikrichtung: Romantik Klavier

VÖ: 01.10.2009

(Coviello Classics / Note 1 / CD / DDD / 2008 / Best. Nr. COV 50913)

Gesamtspielzeit: 72:09



KONTURIERT UND AUSDRUCKSSTARK

Johannes Brahms Bekenntnis zur Tradition verbindet sich in seiner Klaviersonate Nr. 1 mit einer Innovations- und Ausdruckskraft, die schon das damalige Publikum alle Klischees von einer etwas angestaubten Gattung leicht vergessen machte. Nicht nur der 1. Satz dieser ambitionierten Komposition gehört zu einer den schönsten Schöpfungen des damals gerade zwanzigjährigen Komponisten. Was verblüfft, ist die handwerkliche Meisterschaft, mit der, oft untergründig, motivische Bezüge auch über die Satzgrenzen hinaus hergestellt werden, ohne dass das die Musik dadurch irgendwie angestrengt konstruiert klingen würde. Die Themen sind griffig, gehen ob ihrer Eingängigkeit sofort ins Ohr. Unmittelbar kraftvoll und sanglich ist der Ausdruck, der Klang dazu stets richtig disponiert – man verschwendet keinen Gedanken an die kompositorische Arbeit, die darin steckt. Die Musik sei „von schöner Gewalt“, „unwiderstehlich“, formulierte es seinerzeit ein Konzertkritiker – dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.

Dass diese Musik auch heute packt und hinreißt, als sei sie gerade erst geschrieben worden, verdanken wir bei dieser Einspielung dem Pianisten Tilman Krämer, der auf dem großen Konzertflügel ein eindrucksvolles Zeugnis seiner Interpretationskunst ablegt. Ihm gelingt es, mit den Qualitäten des modernen Instruments die quasi-orchestrale Farbigkeit der Musik herauszuarbeiten und dabei den volumenstarken Klang immer geschmeidig und transparent zu halten.
Das ist insbesondere bei der Sonate Nr. 2 von Bedeutung. Die Vollgriffigkeit oder die virtuosen chromatischen Läufe können in den Ecksätzen bei zu opulentem Zugriff schnell behäbig und unscharf klingen. Krämer versteht es gleich im Kopfsatz, einer Art ausgedehnten Fantasie, das gleichermaßen virtuose wie dramatische Wechselspiel der Motive mit „cooler“ Verve auf Linie zu halten. Bei espressivo-Momenten hält er gebührend inne und kostet sie aus. Andere Herausforderungen stellen sich z. B. beim langsamen 2. Satz. Die labyrinthischen Umspielungen, die diese Liedvariation charakterisieren, klingen unter Krämers Händen trotz der Komplexität alles anderes als „sperrig“ und „widerborstig“ (so Brahms Zeitgenossen), sondern entfalten sich in spannungsvoller Musikalität.
Das abschließende Scherzo e-moll besticht gleich durch die Konturenschärfe, mit der Kremer die kurzen, grimmigen Eröffnungsfiguren ausspielt. Nach dieser Initialzündung kann sich die gleichsam kinetische Energie dieser Floskeln entfalten. Im Kontrast zu diesen stürmerisch-drängenden Abschnitten stehen die von Interpreten mit der gebotenen Besonnenheit dargeboten Trios. Die starken Kontraste, die das Stück kennzeichnen, lassen den Hörer so mit immer neuer Spannung lauschen.

Also: Diese wirklich schöne Platte kann ich empfehlen!



Georg Henkel



Trackliste
01-04 Sonate Nr. 1, op. 1
05-08 Sonate Nr. 2, op. 2
09 Scherzo es moll, op. 4
Besetzung

Tilman Krämer: Klavier


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