Musik an sich


Reviews
Talk Talk

Spirit of Eden


Info
Musikrichtung: Post Rock

VÖ: 1988

(Parlaphone / EMI)

Gesamtspielzeit: 41:05

Internet:

http://talkingspace.ta.funpic.de/
http://users.cybercity.dk/~bcc11425/



Gefühle gemalt in Noten

Für die Jubiläumsausgabe eine Scheibe aussuchen, die es zu bewerten gilt und die gleichzeitig etwas über den Menschen dieser Beschreibung aussagt, war für mich eben so schwierig wie einfach. Denn obwohl ich aus einer Fülle von Materialien wählen konnte, fiel meine Entscheidung sofort und deutlich. Und sie fiel nicht auf eine Scheibe von Pink Floyd (dort wäre es wohl „The Wall“ gewesen), die mich in sehr jungen Jahren am meisten geprägt hat. Sie viel auch nicht auf „Script of a Jesters Tear“ von Marillion, welches für mich das definitive Progrock Album mit dem größtmöglichen Gefühlsanteil ist, auch nicht auf eine Scheibe von The Cure oder von den Chameleons UK. Auch die sehr von mir verehrte Frau Kate Bush war nicht meine spontane Wahl. Nein, meine Wahl vfel sofort und ohne große Umschweife auf das Magnus Opus der den meisten nur als "Achtziger Jahre Chart Breaker" und Synthiepopper bekannten Talk Talk: Spirit of Eden.
Und dies ist wirklich auch heute noch, exakt zwanzig Jahre nach seiner Veröffentlichung, mein absolutes Lieblingsalbum. Als ich damals dieses Album, natürlich am Erscheinungstag und natürlich auf Vinyl, kaufte, erwartete ich natürlich auch wie viele andere ein Album wie den Vorgänger „The colour of Spring“ mit seinen Hits „Life is what you make it“, „I don´t belive in you“, Happiness is easy“ und „Give it up“. Dass dieses für die damalige Zeit äußerst ungewöhnliche „Hits“ waren, wurde vielen nie, oder erst viel später bewusst.
Mir persönlich, das will ich mal vorweg schicken, gefielen auch damals schon auch die für den Pophörer wohl eher unhörbaren Stücke „April the 5th.“ und „Chameleon Day“ sehr gut genauso wie ich bereits auf dem 84er Werk „It´s my Life“ öfter „Rennée“, „Call in the night boy“ und „Does Caroline Knows“ hörte als „Such a shame“. Dies schreibe ich, damit es verständlicher wird, warum ich damals wohl nicht so von Spirit of Eden geschockt war wie die Maxisinglekäufer von „Such a Shame“ und „Living in another World“.
Nun aber zu Spirit of Eden.
Schon das Cover hat mich seinerzeit mehr als fasziniert. Die Symbiose zwischen Musik und Artwork hat wohl kaum eine Band besser hinbekommen als Talk Talk, denn auf all Ihren Alben strahlen die unglaublich schönen Bilder des James March. Spirit of Eden ziert dieses Baumgeflecht. Der herbstliche Baum vor dem zwischen hellem und dunklem blau schimmernden Hintergrund. In dem Baum hängt neben einem Vogel Meeresgut. Muscheln und Schnecken. Auf mich wirkt dieses Bild ebenso beruhigend wie melancholisch. Der Baum erscheint tot, doch es hängt jede Menge, wenn auch nicht wirklich dazu passendes Leben in ihm.
Nachdem ich dann die Platte aus ihrer Cellophanhülle befreit hatte und auch aus der mit kaum lesbaren Texten bedruckten Innenhülle genommen hatte und auflegte, wartete ich gespannt auf das, was kommen sollte.
Es gab ja im Gegensatz zu den vorherigen Alben keine einzige Single, die vorab schon einmal auf das Album hätte schließen lassen können.
Und dann drang dieser lang gezogene, schwermütige Trompetenklang zuerst aus den Boxen. Über zwei Minuten tastet sich dieses Instrument mit minimaler Unterstützung anderer akustischer in das Album hinein, bevor der wohlbekannte, gequält wirkende und noch unverständlichere Gesang von Mark Hollis einsetzt „Summers blood of Eden….“ Wundervoll. Das als zersetzt zu bezeichnende, sparsame Jazzschlagzeug führt dann neben dem typischen, aber ebenso führenden wie spärlichen Bass den sich langsam aufbauenden Dreiteiler aus den ersten drei Songs „The Rainbow“, „Eden“ und „Desire“.
Ab und an kratzt sich ein arge Rockgitarre in das Soundbild, ansonsten führen leise akustische Saiteninstrumente, Trompeten und Hörner sowie getupftes Schlagzeug durch unendlich sanfte musikalische Gebiete, die aber unendlich viel Trauer, Angst, Verlorenheit und Gefühl vermitteln.Wenn bei 15:47 etwa diese sehnsüchtige Orgel auf die Oboensprengsel trifft, bevor eine etwas deutlichere E-Gitarre, aber auch sich aus einem Spurenelement schälend auf den Höhepunkt ab ca. 18:30 hinarbeitet, wo Tasten, die angesprochene Gitarre, aufwirbelnde Perkussionen, sehnsüchtige Bläser in einem Kosmos vermischt mit dieser Gitarre und dem schrägen Harmonium explodieren, dann wieder sich aufbauende Stille, Hollis haucht und der zweite Ausbruch deutet sich an. Perkussionen, Harmonium, die Gitarre sägt sich im Rausch der Perkussionen ein und dann explodiert dieser fantastische Song in geordneter Kakophonie!
Danach –getupfte Klänge, verhallende Klänge und – erhabene Stille!

Dies sind die unglaublichsten ca. 23 Minuten Musik, die ich bis dahin, und, ja auch und seitdem gehört habe. Nie zuvor hab ich so erhabene Stille neben grandios arrangierter Lautstärke gehört, so tiefes Gefühl geschrieben und gespielt in Noten
Auf der CD Version wurde nach diesem Track eine fast ein Minuten lange Pause eingefügt, was der Sache gerecht wird, denn man konnte auch im Vinylzeitalter diese Scheibe nicht einfach umdrehen, man musste verschnaufen.

Die auf der zweiten Seite vertretenen drei Stücke scheinen zunächst stark gegenüber dem Meisterwerk abzufallen, das stimmt aber nicht und liegt nur an der Ruhe und Sanftheit dieser Songs. Inheritance ist zart vorangetriebene Wehmut im großen Arrangement, I believe in you das zerbrechliche Gegenstück zu dem zwar ebenfalls melancholischen aber doch irgendwie wütendem I don´t belive in you vom Vorgänger Album und beim sehnsüchtigen und ausgefeilten, viel größer arrangierten als es zunächst klingen mag, Wealth blickt am Ende sogar etwas Sonne aus dem grau und mit dem Chor am Ende verklingt ein Meisterwerk sogar versöhnlich mit Mellotronklang.

Spirit of Eden ist ein Album, zu dem ich gelitten habe und zu dem ich geträumt habe. Und das funktioniert auch noch heute, über 21 Jahre nach seiner Veröffentlichung. Vielleicht gibt es ja bald, spätestens zum 25. Jubiläum dieses Albums mal eine wundervolle Edition dieses grandiosen Werkes, welches mir ganz nebenbei auch noch die Ohren für viele andere vorher nicht beachtete Musikrichtungen öffnete.



Wolfgang Kabsch



Trackliste
(Spirit of Eden) 22:50
1. The Rainbow (9:05)
2. Eden (6:37)
3. Desire (7:08)
4. Inheritance 5:16
5. I belive in you 6:24
6. Wealth 6:35
Besetzung

Lee Harris: drums
Paul Webb: electric bass
Tim Friese: Greene – harmonium, piano, organ, guitar
Mark Hollis: vocals, piano, organ, guitar
Martin Ditcham: percussion
Robbie McIntosh: dobro, 12 string guitar
Mark Feltham: harmonica
Simon Edwards: Mexican bass
Danny Thompson: double bass
Henry Lowther: trumpet
Nigel Kennedy: violin
Hugh Davies: shozygs
Andrew Stowell: bassoon
Michael Jeans: oboe
Andrew Marriner: clarinet
Christopher Hooker: cor anglais
Choir of Chelmsford Cathedral

Technical:
Phill Brown: engineering
Tim Friese-Greene: production
James Marsh: cover art


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