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Die Orgelwerke
Info
Musikrichtung:
Neue Musik Orgel
VÖ: 19.05.2009 (Edition Zeitklang / Klassik Center Kassel / CD / DDD / 2007 / Best. Nr. ez-35033) Gesamtspielzeit: 66:45 |
ORGELEXTREME
Die Orgelwerke, die Bernhard Haas auf der Essener Domorgel (Firma Rieger 2004) eingespielt hat, nehmen sich wegen des speziellen Instruments wie Inseln im Oeuvre der ausgewählten Komponisten aus: Brian Ferneyhough, Morton Feldman, Giacinto Scelsi, Iannis Xenakis. Das sind zugleich Ikonen der Neuen Musik, die zum Teil einigen Kultstatus genießen: Scelsi wegen seiner meditativen Versenkung in den Mikrokosmos einzelner Töne bzw. Klänge, Xenakis für seine mathematisch begründeten Klangexzesse und -ekstasen, Feldman für die schier unendlichen Bewegungen reduzierter chromatischer Patterns, Ferneyhough für die extreme Komplexität seiner Musik.
Letzterer eröffnet mit Sieben Sterne (1970) das Programm: Musik, die den Interpreten und das Instrument mit hyperkomplexen Strukturen und nicht minder fordernden Improvisationen an ihre Grenzen führen. Bei so viel Tüfftelei im Kleinen fühlt man sich in die 1950er Jahre zurückversetzt. Und obwohl das Ergebnis im Detail durchaus klangsinnlich und voller verblüffender Effekte ist, wirkt es im Großen doch recht amorph. Trotzdem darf man sich an den geradezu akrobatischen Spiel- und Registrierungskünsten von Bernhard Haas und der Standfestigkeit der Essener Orgel erfreuen.
Feldmans Prinzipal Sound (1980) wirkt da wesentlich bündiger. Typisch sind die auf- und abtauchenden Akkordfelder und Muster. Aufgrund der zwei Schwellkästen erlaubt die Essener Rieger-Orgel eine differenzierte dynamische Gestaltung. Durch zusätzliche Farb-Mischungen und -Überblendungen verschwindet der typische Orgel-Ton zwar nicht, er wird aber gleichsam abstrahiert. Und an diesem „Klang an sich“ war der gerne im PPPP-Bereich arbeitende Feldman vor allem interessiert. Obwohl das Instrument nicht ganz die spieltechnischen Subtilitäten von Feldmans sonstigen kammermusikalischen Besetzungen ermöglicht, findet Haas für diese verhaltene Musik eine ebenso überzeugende Lösung wie für die Klangmobiles von Ferneyhough.
Bei Scelsis In nomine Lucis (1974) ist die Situation ähnlich und doch anders als bei Feldman: Das sehr reduzierte Ausgangsmaterial, der Ton Cis, zeigt durch mikroskopische Klangveränderungen immer neue „Gestalten“ oder „Dimensionen“. Die geforderten Mikrotöne erzeugt Haas durch den Einsatz von Tremulant bzw. Schwebungsregistern, die die Musik ähnlich diffus wie bei Feldman erscheinen lassen. Aber auch hier wird man das Gefühl nicht ganz los, dass der Komponist seine typischen Klangvorstellung für ein für ihn untypisches Instrument arrangiert hat.
Xenakis geht, wie so oft bei seiner Musik, in die Vollen. Alles ist genauesten ausgearbeitet, auch die höchst flexible Registrierung. Eine einfache Ausgangstimme verästelt sich in immer neue Tonknäuel. Glissandi - stufenlos gleitende Tonhöhen - stellen für den Spieler auf der eher starren Orgel eine besondere Herausforderung dar. Höchste Höhen und Tiefen werden erkundet, innerlich bewegte oder blockartige und statische Klangmassen produziert und in wechselnde Zustände überführt, bis sich das Stück zum Schluss in einem geradezu apokalyptischen Furor aus Cluster-Wellen auflöst. Im Ganzen wirkt das Stück organischer und klarer gegliedert als Ferneyhoughs Komposition, es gibt eine innere Dramatik. Haas‘ virtuose Handhabung seines Materials und die reichen Möglichkeiten der Essener Orgel kann man nur bewundern.
Georg Henkel
Trackliste
11 Feldman, Principal Sound 19:19
12 Scelsi, In nomine Lucis 9:31
13 Xenakis, Gmeeoorh 20:28
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |