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Lux aeterna u. a. – Im Gestein
Info
Musikrichtung:
Neue Musik Ensemble
VÖ: 14.11.2008 (Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD 2007 / Best. Nr. HMC 901985) Gesamtspielzeit: 64:31 |
FULMINANT
Die Sensation auf dieser auch programmatisch bestechenden Platte sind für mich nicht die fulminanten Wiedergaben der Chorwerke von György Ligeti und Robert Heppener, sondern die „Zwischenstücke“, die zusammen den Torso eines Hauptwerks ergeben: Susanne van Els spielt drei Sätze aus Ligetis sechsteiliger Sonate für Solo-Viola. Und zwar mit einem so gänsehauterzeugenden vollen, in den virtuell „mehrstimmigen“ Abschnitten herrlich fruchtigen Alt-Ton, dass diese Musik eine kaum noch abstrakt zu nennende romantische Aura gewinnt. Die aber ist nicht mit Gefühligkeit oder Pathos zu verwechseln, sondern meint wahrhaftigen Ausdruck und intensiv ausgekostete Farbigkeit! Die von Ligeti selbst - und zu Recht - vielgelobte Tabea Zimmermann klingt da viel analytischer, spröder (Sony/BMG). In dieser neuen Einspielung bin ich mit Stück zum ersten Mal richtig warm geworden und bedauere, dass es nicht alle sechs Sätze geworden sind. Ob Van Els noch eine Fortsetzung plant? Die Sonate ist wie ein Digest durch den Kosmos von Ligetis Musik, wobei vor allem die Einflüsse seiner mittleren und späten Schaffensphase, mittelalterliche Polyphonie sowie osteuropäische und lateinamerikanische Folklore, hörbar werden.
Den frühen Ligeti kann man in einem seiner schönsten Chorstücke hören, zugleich ein Meisterwerk des 20. Jahrhundert: Lux Aeterna (1968). Die Capella Amsterdam singt dieses eigentlich für 16 Solo-Stimmen gesetzte Wunderwerk kanonisch-harmonischer Klangfarbenmusik in normaler Chorstärke. Aber die Tongebung ist so atmosphärisch und luzide und die Tempi sind so „zeitlos“, dass die Intention des Komponisten voll aufgeht. Man hört (und sieht!) tatsächlich jenes ursprungslos-ewige Licht, von dem im Introitus zur Totenmesse die Rede ist.
An Suggestivität ebenfalls nicht zu überbieten ist die die Einspielung der drei Hölderlin-Phantasien, komponiert am Beginn der kreativ sehr bewegten 1980er Jahren. Ligetis Gespür für die Kombination rhythmisch, harmonisch und melodisch distinkterer Formen mit organisch flutenden Stimmgeweben à la „Lux aeterna“ habe ich ebenfalls noch nie so ergreifend und selbst noch in den dissonantesten Klangballungen bildmächtig gehört. Die komponierte akustische Blendung auf das Wort „Sonnenschein“ in der Hälfte des Lebens z. B. ist überwältigend. Diese Kompositionen sind also gleichfalls keine bloßen „Pflichtstücke“ nur für Fans und übertreffen noch die vom Komponisten betreute Referenz-Einspielung (London Sinfonietta Voices / Edwards / Sony/BMG).
Gänzlich unbekannt war mir bislang der niederländische Komponist Robert Heppner (geb. 1925). Als Zeitgenosse von Ligeti und anderen Avantgardisten geriet seine konventionellere Musik in den 1950er Jahren aus dem Fokus der Wahrnehmung, bis er im Zuge der postseriellen Entspannung wieder auf offenere Ohren stieß. Beim Label Donemus liegen immerhin auf drei CDs weitere Chor- und Orchesterwerke (u. a. mit den Interpreten dieser Aufnahme) vor. Wieder einmal bewahrheitet sich die These, dass man nur lange genug warten muss, bis man stilistisch wieder aktuell ist. Selbst der mittlere und späte Stockhausen knüpft hörbar an die Tradition an. Unabhängig von den Verfahren klingt da Vieles doch wieder sehr fasslich, ja eingängig.
Heppeners sechs Chorlieder auf Texte von Paul Celan Im Gestein arbeiten stellenweise mit ähnlichen mikropolyphonen Mitteln wie Ligeti, schlagen aber im Ausdruck aber direktere und emotionalere Saiten an, die sich in Nacht fast schon ins Pathetische steigern. Die ganz unmittelbare Schönheit des Chorklangs, der den Text zudem niemals in der Ligeti‘schen Manier überformt, wird zudem durch den delikaten Einsatz eines Streichquartetts und einer Schlagzeuggruppe überhöht bzw. kontrapunktiert. Randständig ist ein solches Werk allenfalls in einer auf Avantgarde-Positionen fixierten Rezeption, der Konstruktion alles, Assoziation und Empfindung nichts sind. Mit unvoreingenommenen Ohren gehört, demonstriert Heppeners Komposition, wie überholt, ja unangemessen solche Wertungsraster inzwischen sind.
Die CD unterstreicht einmal mehr den künstlerisch fast schon konkurrenzlosen Rang, den ein unabhängiges Label wie Harmonia Mundi France im 50. Jahr seines erfolgreichen Bestehens erreicht hat.
Georg Henkel
Trackliste
1 | Ligeti, Sonata for solo viola (1991-94): Hora lungǎ | 6:21 |
2 | Ligeti, Lux aeterna for sixteen-part mixed choir a cappella | 9:50 |
3 | Ligeti, Sonata for solo viola: Facsar (1992) | 5:52 |
4 | Ligeti, Drei Phantasien nach Friedrich Hölderlin: I. Hälfte des Lebens 3:43 Ligeti, Drei Phantasien nach Friedrich Hölderlin: II. Wenn aus der Ferne | 5:29 |
5 | Ligeti, Drei Phantasien nach Friedrich Hölderlin: III. Abendfantasie 3:34 Ligeti, Sonata for solo viola: 2. Loop (1991) | 2:31 |
6 | Heppener, Im Gestein(1992): I. Flügelnacht | 5:07 |
7 | Heppener, Im Gestein(1992): II. Die Halde | 2:26 |
8 | Heppener, Im Gestein(1992): III. Nacht | 5:00 |
9 | Heppener, Im Gestein(1992): IV. Zuversicht | 2:01 |
10 | Heppener, Im Gestein(1992): V. Schneebett | 3:03 |
11 | Heppener, Im Gestein(1992): VI. Flügelnacht II | 4:50 |
12 | Libera me, Domine (Gregorianer Gesang) | 4:35 |
Besetzung
Capella Amsterdam
musikFabrik
Daniel Reuss: Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |