Reviews
32 Variationen über 'La Spagna'
Info
Musikrichtung:
Renaissance
VÖ: 20.10.2003 (Harmonia Mundi / Helikon) SACD hybrid DDD (AD 2002) / Best. Nr. HMC 801799 Gesamtspielzeit: 52:26 Internet: Harmonia Mundi |
KONTRAPUNKTISCHE KATHEDRALE
KONSTRUKTIONEN
Ein wahrhaft ambintioniertes Projekt, dem sich Constanzo Festa (ca. 1490-1545) da gewidmet hat: 125 kontrapunktische Variationen über den cantus firmus La Spagna. In jedem Takt muss wenigstens eine der 37 Noten vorkommen, der Rhythmus bleibt unverändert. Veränderungen gibt es lediglich in den kontrapunktischen Strukturen, die Festa um den tenoralen cantus firmus herumspinnt. Dabei klingen z. B. in herausgehobenen Motivzellen die Werke anderer Komponisten an, da wird das Thema mit sich selbst kombiniert oder die Stimmen werden imitatorisch weitergesponnen, Noten gedehnt, verkürzt und nach bestimmten Proportionen übereinandergeschichtet oder es wird mit ostinaten Bässen experimentiert. Kurz: "Was man schon immer über Kontrapunkt wissen wollte und bisher nicht zu fragen wagte ..." - hier wird es vor Ohren geführt.
Dabei ist der Zyklus musikalisch ebenso reizvoll wie esoterisch: Festa ist es gelungen, Materialstrenge mit kompositorischer Freiheit und Klangschönheit zu verbinden. Eine kontrapunktische Kathedrale ist da entstanden, die sich schon Zeitgenossen theoretisch für das Studium der Satztechnik und praktisch wegen der offenen Besetzung empfahl. Die Sammlung wurde aber nie gedruckt und überlebte in einem einzigen Manuskript.
Seltsam eigentlich, dass dieses streng konzipierte Werk nicht das Interesse zeitgenössischer Komponisten gefunden hat. Erneut erweist sich, dass die "Avantgarde" keine exklusive Kategorie der Moderne ist. Auch eine Bearbeitung für moderne Instrumente oder die konzertante Gegenüberstellung mit Werken der Neuen Musik wäre gewiss reizvoll.
EINBLICKE
Paul van Nevel und sein Hueglas Ensemble bieten hier eine Auswahl, gleichsam einen Einblick in einige besonders prunkvolle oder wenigstens repräsentative Gewölbe der Kathedrale, deren riesenhafte Gestalt so wenigstens zu erahnen ist. In Anlehnung an J. S. Bachs Goldbergvariationen haben sie 32 Contrapunti von drei bis elf Stimmen ausgewählt und instrumentiert. Grundsätzlich gibt es dafür zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt Instrumente aus einer Familie in unterschiedlicher Stimmlage, z. B. Flöten oder Dulziane (der Vorläufer des Fagott) oder Posaunen oder Gamben. Oder ... oder man bildet gemischte Besetzungen. Beide Varianten gibt es auf dieser Aufnahme zu hören, in einem Fall ergänzt durch Singstimmen (nur zwei der Kontrapunkte sind überhaupt textiert).
Das Ergebnis besticht durch die überzeugende Zusammenstellung, die meisterliche Beherrschung des Renaissance-Intrumentariums und den vollen, farbigen Klang der Instrumente mit seinen herrlichen 'Gold'- und 'Bronze'-Schattierungen. Liebhaber dürften hier auf ihre Kosten kommen.
HERAUSFORDERUNGEN
Man muss freilich auch Geduld und 'Einhörungsvermögen' mitbringen. Costas Musik ist ebenso komplex wie subtil. Überwiegend bewegen sich die meist kurzen Variationen im "Andante"- oder "Adagio"-Bereich. Da sticht ein Proportionskanon mit lebhaft bewegten Flöten-Oberstimmen schon heraus (Track 5). So 'nebenbei' gehört, wird man den Reichtum der Musik wohl nicht für sich entdecken: Den Eindruck, daß da vieles irgendwie gleich klingt oder lediglich große Gelehrsamkeit demonstriert wird, kann dann selbst die ausgefeilte Darbietung des Hueglas-Ensembles nicht verhindern. Vielleicht hätte es einer noch stärkeren Ausreizung des typischen Spalt-Klanges und einer lebhafteren Phrasierung bedurft, um die Variationen deutlicher voneinander abzusetzen.
Von daher führt der Vergleich mit Bachs Goldberg-Variationen auf eine falsche Spur: Bach schrieb seinen Musik für einen Virtuosen - es handelt sich trotz der unüberhörbaren 'musikalischen Wissenschaft' um Spielmusik. Bei Festa dominiert der intellektuelle Charakter. Die Kunst der Fuge - Bach überschrieb die einzelenen Sätze nicht umsonst mit "Contrapunctus" - würde sich hier eher als Vergleich empfehlen.
Georg Henkel
Trackliste
Besetzung
Ltg. Paul Van Nevel
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |