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Die Werke für Kontrabass. Scelsi-Edition 7
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NACHTMUSIK
Giacinto Scelsis „Werke für Kontrabass“ sind wahre Nachtmusiken. Das liegt nicht nur an der naturgegebenen schwarzen Tiefe des Tonraums und klanglichen Dichte, über die das Instrument verfügt. In den sehr unterschiedlichen Kompositionen nutzt der Komponist außerdem exotische Spieltechniken, um dem Kontrabass unirdische Klangwirkungen abzugewinnen. Neben Umstimmungen einzelner Saiten fordert er auch Viertel- und sogar Achteltöne. Bei Ko-Tha liegt das Instrument auf dem Boden und wird wie eine überdimensionale Zither bearbeitet. In Okanagon muss es der Interpret mit seinen Händen abklopfen, wobei der Klang an einen Satz indische Tablas erinnert.
Diese Ähnlichkeit ist nicht zufällig. Scelsi, der eine klassische musikalische Ausbildung erhielt, wandte sich nach einer psychischen Krise Anfang der 50er Jahre von den europäischen Traditionen ab und entdeckte die Musik(philosophie) des Ostens. Außerdem begriff er einen Ton nicht mehr als „Punkt“, sondern als „Kugel“, also als Klangraum, und fand durch die klangmikroskopische Erkundung dieses Klangraumes zu seiner ungewöhnlichen Musik. Der Einzelton bekommt bei ihm haptische Qualitäten, beginnt zu vibrieren, zu pulsieren und sich innerlich in ein komplexes Gewebe aus Obertönen zu differenzieren.
Auf der vorliegenden Aufnahme ist das eröffnende Nuits mit seinen geräuschhaft-körperlichen Klangbändern ein Beispiel dafür. Ausgesprochen „indisch“ mutet dagegen zum Abschluss das undatierte Mantram mit seiner ragartigen Melodik an. Es ist sicherlich das sanglichste Stück auf dieser Platte. Die anderen Stücke verschmelzen die avancierten Spieltechniken westlicher Musik mit orientalischen Klangwirkungen. Dabei ist die Musik meist einstimmig, wird manchmal auch durch gleichzeitiges Spiel auf mehreren Saiten, einen zusätzlichen Kontabass, Cello, Harfe oder Schlagzeug heterophon erweitert. Auch unartikulierte Schreie des Spielers gehören in einem Fall dazu; sie verwandeln die hier eingespielte Version von Maknogon (für ein beliebiges tiefes Instrument) in ein unheimliches Beschwörungs-Ritual, bei dem man hofft, dass es sich nicht gegen den Hörer richten möge.
Robert Black erweist sich mit seinen Sekundanten als versierter Scelsi-Interpret. Sein Spiel ist technisch untadelig, hat eine starke atmosphärische, ja ekstatische Wirkung. Den Charakter von „erleuchteten Improvisationen“, als die viele von Scelsis Stücken ins Dasein fanden, bevor Assistenten des Komponisten sie ausnotierten, bleibt stets erhalten. Auch aufnahmetechnisch lässt die Produktion keine Wünsche offen.
Georg Henkel
Trackliste
03 Et Meintenant c’est à vous de jouer … (1974) 6:21
04-06 Ko-Tha. Drei Tänze Shivas (1967) 14:07
07 Dharana (1975) 8:49
08 Maknogon (1976) 4:29
09-11 Kshara (1975) 13:41
12 Okanagon (1968) 9:07
13 Mantram 4:47
Besetzung
mit
John Eckhard, Kontrabass
Felix Fan, Cello
Jun Han, Harfe
Tom Kolor, Tam-Tam
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |