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Ballade für Edvard Grieg (DVD)
Info
Musikrichtung:
Romantik/Klaviermusik
VÖ: 08.11.2007 EMI Classics / EMI (DVD (AD: 2001-2007, z.T. live) / Best.nr. 50999 5 12128 9 6) Gesamtspielzeit: 140:00 Internet: Leif Ove Andsnes EMI Classics |
AUF DEM GIPFEL
Gerade noch rechtzeitig zum 100. Todestag des Komponisten erschien im November 2007 diese DVD-Produktion. In Planung und Ausführung ist sie bereits jetzt ein Relikt aus vergangenen, glanzvolleren EMI-Zeiten: So ließ man es sich nicht nehmen, für eine ca. einminütige Einstellung im Film und für das Cover-Foto einen Flügel per Helikopter auf die Felskante über einem norwegischen Fjord zu hieven und Leif Ove Andsnes dort ein paar Takte spielen zu lassen. Zudem wurde mit der Ballade g-moll ein zentrales, aber leider viel zu selten gehörtes und eingespieltes Stück Edvard Griegs (1843-1907) aufgezeichnet. Solche Spierenzchen dürften unter der Führung des seit August 2007 amtierenden EMI-Bosses Guy Hands nunmehr der Vergangenheit angehören. Hands, dem im Rock- und Pop-Bereich bereits in Scharen die Künstler davon laufen, hatte schon vor Jahren in Aussicht gestellt, im Falle einer Übernahme der EMI wolle er aus dieser eine "große Bibliothek für Musikstücke machen" und nicht versuchen, neue Künstler auf den Markt zu bringen - das lohne sich wirtschaftlich nicht.
Eine aufschlussreiche, allerdings auch äußerst dümmliche Perspektive, wie etwa das historische Beispiel Griegs zeigt. Als der Peters Verlag in Leipzig sich des jungen Künstlers annahm, war der kommerzielle Wert seiner Kompositionen noch höchst fraglich. Nur wenige Jahre später aber wurde jeder neu eingreichte Band der "Lyrischen Stücke" bei dem Musikverlag jubelnd willkommen geheißen, weil die Noten beim Publikum reißenden Absatz fanden. Was wäre wohl gewesen, wenn damals Leute wie Guy Hands Europas führende Musikverlage gesteuert hätten? Vielleicht würde die Musikgeschichte dann bis heute bei Bach enden, weil neue Künstler, neue Werke sich ja nun einmal nicht rechnen und Mendelssohn, Grieg, Brahms oder Bruckner niemals einen Verleger gefunden hätten.
Doch zurück zur DVD: Sie beginnt mit einem knapp einstündigen Dokumentarfilm, in welchem wir den norwegischen Pianisten Leif Ove Andsnes auf den Spuren seines Landsmannes Grieg begleiten. Angeblich, weil Andsnes dieses Nacherleben der fremden Biographie benötigt, um sich der von ihm erstmals öffentlich gespielten Balldade g-moll anzunähern. Ingesamt ist das Ganze aber nichts anderes als eine an Originalschauplätzen gedrehte, kurze biographische Skizze über Edvard Grieg. Diese ist unterhaltsam gemacht und wartet mit Details auf, die der Person Edvard Griegs manch spannende Facette abringen und ihr auch im historischen Kontext Kontur verleihen.
Anschließend erleben wir Andsnes dann live im Konzert mit der Ballade g-moll. Und allein dies ist den Erwerb der DVD (oder der CD mit dem musikalischen Teil des Programms, EMI, 2007) wert. Grieg schrieb die Ballade nachdem seine Eltern kurz hintereinander verstorben waren und er sich zudem in einer Schaffenskrise befand. Das Werk war ihm persönlich so nahe, dass er es selbst niemals öffentlich gespielt hat. Es ist ein düsteres, grüblerisch versunkenes Stück von zwanzigminütiger Dauer, das Grieg auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft zeigt. Aus einem schlichten, sehr kurzen Motiv lässt er innere Welten von großer Schönheit und Verschiedenartigkeit entstehen. Andsnes gestaltet mit einem impressionistischen Farbauftrag, nimmt sich viel Zeit und setzt zur rechten Zeit auch einmal klug dosiert kraftvolle Akzente.
Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Mitschnitts in der Bergener "Grieg Hall" wohl gerade in Norwegen Hustensaison herrschte, ist zwar etwas unglücklich, mindert den hohen Rang der Einspielung aber nicht.
Ebenfalls live mitgeschnitten, allerdings schon einige Jahre früher, wurde das Klavierkonzert a-moll. Andsnes hat es bereits zweimal auf CD eingespielt. Die frühe erste Aufnahme (ebenfalls mit dem Bergen Philharmonic Orchestra, Virgin, 1990) ist dank des jugendlichen Ungestüms des Interpreten mit seinem jetzt viel differenzierteren Zugriff nicht zu vergleichen. Die spätere Einspielung (mit den Berliner Philharmonikern, EMI, 2002) ist klanglich etwas ausgewogener und im Orchesterpart überzeugender gelungen als der Mitschnitt auf dieser DVD.
Die Lyrischen Stücke, gespielt auf Griegs Steinway-Flügel in seinem Haus auf Troldhaugen, waren zuvor bereits auf CD erhältlich (EMI, 2001). Sie ergänzen die filmische Biographie sinnvoll und lassen vor allem auch den besonderen Klang dieses alten Instruments entdecken, das Grieg so manche Inspiration verschafft haben dürfte.
Sven Kerkhoff
Trackliste
Ballade g-moll op. 24
Klavierkonzert a-moll
Lyrische Stücke op. 12 Nr. 1, 6 und 5
Lyrische Stücke op. 57 Nr. 6, op.68 Nr. 3, op. 65 Nr. 6
Besetzung
Bergen Philharmonic Orchestra
Ltg. Ole Kristian Ruud
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