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Reviews

Dream Theater

A Dramatic Tour Of Events – Select Board Mixes


Info

Musikrichtung: Progressive Metal

VÖ: 23.7.2021 (25.12.13)

(Inside Out / Sony)

Gesamtspielzeit: 120:42

Internet:

http://www.insideoutmusic.com
lostnotforgottenarchives.dreamtheater.net

Gegen Ende des ersten Jahrzehnts dieses Jahrtausends ereignete sich bei Dream Theater ein personelles Erdbeben, mit dem wohl kein Außenstehender gerechnet hätte: Drummer, Co-Gründer und Bandmotor Mike Portnoy verkündete nach den Touraktivitäten für das Black Clouds & Silver Linings-Album, er habe eine Pause nötig, während sich die anderen Bandmitglieder so fühlten, als schwömmen sie gerade auf einer Welle des Erfolgs, müßten daher das Momentum nutzen und gleich die nächste Platte angehen. Beide Sichtweisen ließen sich nicht vereinen, und so kam es tatsächlich zur Trennung: Das verbliebene Quartett verpflichtete Mike Mangini als neuen Schlagwerker, machte damit musikalisch einen exzellenten Fang und mußte sich noch nicht mal an einen neuen Vornamen gewöhnen. Das erste Album des neuen Quintetts wurde (auch wenn die Band das offiziell abstreitet) programmatisch A Dramatic Turn Of Events getauft, was zugleich nur eine leichte Abwandlung erforderte, und schon stand auch das Motto der folgenden Touraktivitäten fest: „A Dramatic Tour Of Events“. Im Zuge dieser Tour entstand in Argentinien an zwei Abenden das Livealbum Live At Luna Park, diesmal nicht mit einem komplett gecoverten Album am zweiten Abend, wie das im Jahrzehnt zuvor bei diversen Zwei-Abend-Strukturen geschehen war, aber dafür dem kompletten neuen Album im Set. Trotz gewohnt langer Spielzeit stellt der Gigmitschnitt allerdings nur eine Momentaufnahme und keine komplette Tourdokumentation dar – auch mit Mangini blieben Dream Theater der Praxis treu, ihre Setlisten recht variabel zu halten, wenngleich nicht so extrem variabel, daß quasi in jeder Stadt ein anderer Set zu hören war. Trotzdem blieben in der Rückschau 13 Songs, die irgendwann 2011 oder 2012 mal live gespielt wurden, aber in Buenos Aires nicht am Start waren. Diese 13 Songs nun faßten Dream Theater auf einer weiteren Doppel-CD zusammen, die unter dem Titel Happy Holidays die Fanclub-Weihnachtsgabe des Jahres 2013 darstellte, also in sehr begrenzter Auflage erschien und auch nur als Downloadversion erhältlich war. Ebenjene Doppel-CD wurde nunmehr unter dem Titel A Dramatic Tour Of Events – Select Board Mixes in die Lost Not Forgotten Archives-Serie integriert und ist damit jetzt allgemein erhältlich, wie üblich als Digipack mit einigen Fotos, aber ohne Booklet und informationsseitig eher basisch gehalten.

Der Untertitel legt bereits nahe, daß hier nicht mit einer wie auch immer gearteten Konzertdramaturgie zu rechnen ist, sondern wir einfach 13 einzelne Aufnahmen bekommen, die an beliebigen Stellen der jeweiligen Sets mitgeschnitten worden sind – am Ende des Openers von CD 1, „Under A Glass Moon“, wünscht James LaBrie den Zuhörern nämlich eine gute Nacht, so daß dieser Song irgendwo am Setende gestanden haben muß, als er in Phoenix, Arizona gespielt wurde. Die historische Recherche ergibt, daß der Song tatsächlich als letzte Zugabe gespielt wurde – nur fand das Konzert gar nicht wie in der Tracklist angegeben in Phoenix statt, sondern im Ikeda Theater im nahe gelegenen Mesa. (Das ist so, als würde man angeben, ein Gig fände in Berlin statt, während er in Wirklichkeit in Potsdam über die Bühne geht.) Sieben Konzertorte liefern die dreizehn Mitschnitte, fünf von ihnen jeweils nur einen Song, während ein Gig in London am 24.7.2011 sowie einer in Austin, Texas, am 26.10. des gleichen Jahres mit jeweils vier Nummern die Löwenanteile besitzen. Auch hier kann man aber nur in einem Fall davon ausgehen, daß die Songs, selbst wenn sie auf der CD direkt aufeinander folgen, auch im Konzert direkt nacheinander gespielt worden sind: Auf CD 1 steht ein Austin-Dreierblock aus „Endless Sacrifice“, einem Drumsolo und „Ytse Jam“, und die drei gehen tatsächlich jeweils ohne Unterbrechung ineinander über. Beim ebenfalls auf CD 1 stehenden London-Doppel aus „Forsaken“ und „Peruvian Skies“ hingegen vermeint man eine Unterbrechung zu hören, und in allen anderen Fällen stehen jeweils Mitschnitte aus verschiedenen Städten hintereinander, wobei John Petrucci als zu jener Zeit allein für solche Sonderveröffentlichungen Verantwortlicher darauf verzichtet hat, etwa eine künstliche durchgehende Atmosphäre zu schaffen, wie es in Fällen von „zusammengestückelten“ regulären Livealben ja bisweilen gehandhabt wird.
Sonderlich groß sind die Unterschiede im Soundgewand in den verschiedenen Quellstädten freilich nicht – entweder war der Mann am Soundboard also schon sehr aufmerksam, oder die Nachbearbeiter haben beim Angleichen von Pegeln etc. ganze Arbeit geleistet. Klar, Unterschiede gibt’s schon – so stehen LaBries Vocals in „Under A Glass Moon“ deutlich weiter im akustischen Vordergrund als in den meisten anderen Mitschnitten. Immerhin hört man die Keyboards von Jordan Rudess überwiegend deutlich besser als auf den diversen Coverplattenmitschnitten, wo man sich phasenweise fragte, ob der Tastendrücker überhaupt mit auf der Bühne stand. Und man freut sich über so manchen originellen Keyboardsound etwa im hinteren Teil von „The Ytse Jam“ oder aber auch den flirrenden im Intro von „The Great Debate“, der wie eine Weiterentwicklung von Tony-Carey-Großtaten bei Rainbow wirkt. Zudem bringt es der Tastendrücker fertig, im hinteren Teil von „Another Day“ einen Sound zu fahren, der nahezu exakt wie ein Saxophon klingt – ein Livegast an diesem Instrument wird allerdings in Austin wohl nicht dabeigewesen sein, denn der vordere, im Studio von Sax interpretierte Part klingt hier dann doch deutlich anders. Ein klein wenig untergebuttert wird hier und da der Baß von John Myung, aber die Lage ist nicht so, daß man ob etwaiger resultierender Soundgrellheit Haarausfall bekommen würde. Und wie der Basser in „The Great Debate“ phasenweise unten herumwühlt, das ist schon große Klasse und auch klanglich perfekt integriert, wobei Ähnliches beispielsweise für „To Live Forever“ gilt.
Spannende Frage im Vorfeld war natürlich, wie sich der neue Trommler schlagen würde. Natürlich wußte jeder, der sich auch nur ansatzweise mit der Materie beschäftigt hatte, daß Mangini nicht per Zufall zu seiner Schlagzeug-Professur gekommen war, und seit den Neunzigern konnte man ihn, beginnend mit Annihilator und Extreme, auf so manchem Tonträger hören – rein technisch dürften ihm die Anforderungen des Dream-Theater-Materials also kein größeres Kopfzerbrechen bereitet haben, obwohl Vorgänger Portnoy bekanntlich so manches Kabinettstückchen untergebracht hat, das erstmal nachgespielt sein will. Aber das reine technische Beherrschen ist die eine Sache, das Integrieren ins Bandgefüge hingegen die andere. Auch hier scheint es aber keine Probleme gegeben zu haben, denn letztlich blieb Mangini nicht nur für dieses Album und diese Tour bei Dream Theater, sondern noch ein reichliches Jahrzehnt länger bis zu Portnoys etwas überraschender, aber irgendwie auch wieder logischer Rückkehr anno 2023, so daß es dem „Neuen“ zumindest vergönnt war, zuvor auch noch den ersten Grammy für die Band mit einzusacken (für „The Alien“ von A View From The Top Of The World), was freilich bedeutet, daß Portnoy nach seiner Rückkehr immer noch ein großes Ziel vor den Augen hat. Ob’s gleich mit einer Nummer vom justament veröffentlichten Parasomnia-Album klappen wird? Wir werden sehen.
Von den Songs her enthält der Doppeldecker wie erwähnt keinen einzigen vom A Dramatic Turn Of Events-Album, weil die alle neun schon auf Live At Luna Park stehen. Statt dessen gibt’s ein buntes Potpourri mit einer kleinen Häufung auf dem „Metropolis“-Umfeld. Part II: Scenes From A Memory ist mit dem „Scene Three“-Doppel „Through My Words/Fatal Tragedy“ vertreten, Images And Words zwar nicht mit dem „Stammsong“, dafür aber gleich dreien seiner Brüder in Gestalt von „Learning To Live“ und den bereits erwähnten „Under A Glass Moon“ und „Another Day“. Auch Train Of Thought darf mit „Endless Sacrifice“ und „As I Am“ zweimal ran, und wenn man die Rarität „To Live Forever“ dem Debüt When Dream And Day Unite zurechnet, so kommt auch dieses zweimal zum Zug – „Ytse Jam“ wurde bereits erwähnt. Der „Rest“ stellt mit „The Great Debate“ (von Six Degrees Of Inner Turbulence) und „The Count Of Tuscany“ (von Black Clouds & Silver Linings) zwei spielzeittechnische Schwergewichte (mit Petruccis ultimativen herzklappenzerschneidenden Momenten in der 16. Minute des letzteren – Besitzern von Happy Holidays wird zudem auffallen, daß dieser Song in der originalen 2013er Download-Variante eine Position weiter hinten steht), mit „Peruvian Skies“ den wohl beliebtesten Song von Falling Into Infinity und mit „Forsaken“ vom Systematic Chaos-Album ein weiteres der vielen Beispiele, daß sich Dream Theater noch so viel Mühe geben können, einen Hit zu schreiben – es muß nicht zwingend einer draus werden, sei der Song auch noch so gut und mit einem unnachahmlich einprägsamen, wenn auch alles andere als platten Refrain versehen. Das hat schon früher nicht funktioniert (man denke an Images And Words, wo eben nicht „Another Day“ oder „Surrounded“ den Single-Markt knackten, sondern das viel komplexere „Pull Me Under“), und das tat es auch im neuen Jahrtausend nicht, obwohl der Song selbst natürlich exquisit ist und jede Menge Hörspaß bereitet. Daß hier ein paar Anklänge an den zeitgenössischen NuRock enthalten sind, steht dem nicht entgegen – immerhin hatten es die Ostküstler schon in den Neunzigern geschafft, aktuelle Strömungen in ihren Sound zu integrieren, ohne daß man auch nur eine Sekunde auf die Idee gekommen wäre, sie würden ihr Fähnchen nach dem Wind hängen.
Gebremst wird der Hörspaß an zwei, drei Stellen durch Übermotiviertheit von LaBrie, etwa gleich in „Under A Glass Moon“, wo er schon länger live plötzlich in ein eigenartiges Kreischen verfällt, auch 2011 in Phoenix bzw. vielmehr Mesa. An anderen Stellen agiert er hingegen seelenstreichelnd und macht alle Extravaganzen wieder wett. Was man hingegen mit wenigen Ausnahmen (auf CD 2 allerdings häufiger als auf CD 1 und gegen Ende hin immer stärker) kaum bis gar nicht hört, ist das Publikum an den sieben Orten – aber wie bereits geschildert kam es auf die Erstellung einer wie auch immer gearteten durchgehenden Liveatmosphäre offenkundig nicht an, und so muß man diese zwei Stunden Musik eben als Sammlung von Einblicken in die ersten großen Touraktivitäten Dream Theaters mit ihrem trommelnden Neuzugang verstehen, die zur Ergänzung des „offiziellen“ südamerikanischen Livealbums gedacht ist und nicht als dessen Ersatz. Kann man sich auf dieses Modell einlassen, bereitet der Doppeldecker viel Hörfreude.



Roland Ludwig

Trackliste

CD 1
1. Under A Glass Moon (Phoenix, AZ 12/4/11) (07:16)
2. Forsaken (London, UK 7/24/11) (05:45)
3. Peruvian Skies (London, UK 7/24/11) (06:59)
4. Endless Sacrifice (Austin, TX 10/26/11) (11:57)
5. Drum Solo (Austin, TX 10/26/11) (06:45)
6. Ytse Jam (Austin, TX 10/26/11) (06:09)
7. The Great Debate (London, UK 7/24/11) (14:29)

CD 2
1. Another Day (Austin, TX 7/7/12) (04:29)
2. Through My Words/Fatal Tragedy (Montreal, QB 10/7/11) (08:11)
3. To Live Forever (Huntington, NY 7/19/12) (06:08)
4. The Count Of Tuscany (London, UK 7/24/11) (21:47)
5. Learning To Live (Tel Aviv, Israel 7/19/11) (12:25)
6. As I Am (Shibuya, Japan 4/24/12) (08:11)

Besetzung

James LaBrie (Voc)
John Petrucci (Git)
Jordan Rudess (Keys)
John Myung (B)
Mike Mangini (Dr)
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So bewerten wir:

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06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
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