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Reviews

First Offence

First Offence


Info

Musikrichtung: NWoBHM

VÖ: 26.01.2018 (1988)

(Karthago Records / Soulfood)

Gesamtspielzeit: 76:24

„... die beide unbekannt blieben“ liest sich der einzige Passus im 1997 erschienenen Iron-Pages-Lexikon „NWoBHM Vol. II“, der sich auf die aus Evesham stammende Band First Offence (und in dem Fall noch auf Deuce aus Kent, natürlich nicht mit den gleichnamigen Hawaiianern zu verwechseln) bezieht und auf S. 289 in der Besprechung des Samplers Metal Warriör zu finden ist. Nun, mittlerweile ist der Wissensstand doch etwas angewachsen, nicht zuletzt durch den Fakt, dass das 1989 bzw. 1991 (die Quellen differieren) aufgelöste Quartett seit 2001 wieder in Triobesetzung existiert und auf der britischen Insel an der Konzertfront recht aktiv sein soll. Und ganz so im Dunkel agierte die Formation, wie wir heute wissen, auch während ihrer ersten Aktivitätsphase nicht.
1985 gegründet, nahmen First Offence zunächst eine Kassette namens Concrete Wonderland auf, die Albumformat aufgewiesen haben soll und ihnen einiges an medialer Aufmerksamkeit einbrachte, dazu zwei Samplerbeiträge: „Time Spent“ auf Underground Resistance III von Ebony Records und „Into The Night“ auf dem erwähnten Metal Warriör-Minialbum (sechs Bands mit je einem Song) von Metalother Records, die dem Quartett dann auch einen Plattendeal anboten und 1988 das selbstbetitelte Debütalbum herausbrachten. Danach entstanden mit Grim-Reaper-Gitarrist Nick Bowcott als Produzent Aufnahmen für ein zweites Album namens The Hand That Rocks, für welches das neue Management der Band einen besseren Plattendeal besorgen sollte. Das klappte indes nicht – das Material verblieb in den Archiven, und First Offence stellten bald darauf die Aktivitäten vorerst ein, um sie wie oben beschrieben erst im neuen Jahrtausend wieder aufzunehmen.
NWoBHM ist ein eher seltener Substil im Programm von Karthago Records, aber wenn man sich beispielsweise an Buffalo oder Sacrilege erinnert, hat Stefan Riermaier sich durchaus auch schon Bands aus dieser Ecke gewidmet, und da Iron Maiden seine Alltimefaves sind, erscheint das auch alles andere als unlogisch. Nun erscheint im Rahmen der Heavy-Metal-Classics-Serie bei Karthago auch das selbstbetitelte First-Offence-Debüt als Re-Release in einer limitierten Auflage von 500 Exemplaren. Das Original umfaßte bei knapp 39 Minuten Spielzeit 10 Songs, die CD verfügt aber über deren 20, so dass sich die eine oder andere Erklärung notwendig macht. Fangen wir von hinten an, so stellen die Songs 13 bis 20 offenbar das geplante The Hand That Rocks-Album dar, auch wenn das Booklet keinerlei diesbezügliche Informationen preisgibt – es enthält serientypisch Liner Notes von Riermaier, eine Bandbio, Lyrics und diverse historische Dokumente, aber aus all dem geht nicht eindeutig hervor, was es mit diesen acht Songs auf sich hat, und die Vermutung, dass es besagtes Albummaterial sein könnte, speist sich zum einen aus der Tatsache, dass der letzte Song eben den Titel „The Hand That Rocks“ trägt, zum zweiten aus der Möglichkeit einer chronologischen Anordnung des Materials (und die Albumaufnahmen dürften die letzten Studioaktivitäten der alten Besetzung gewesen sein, sieht man davon ab, dass die Band auch noch eine halbstündige Session für die Tommy Vance Friday Rock Show einzimmerte) und zum dritten aus dem Fakt, dass auch die Encyclopedia Metallum auf den gleichen Gedanken verfallen ist.
Damit bleiben aber immer noch zwölf Songs, obwohl das originale Album nur zehn enthalten hat. Zunächst fällt auf, dass die Songreihenfolge der CD eine komplett andere ist als auf der LP, und dann finden sich an den Positionen 6 und 8 „Strange Night“ und „Walking Wounded“, beide nicht auf der LP vertreten gewesen. Sollten das noch Überbleibsel vom Concrete Wonderland-Tape gewesen sein? Der Sound unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom Albummaterial, so dass Remasterer Robert Romagna in diesem Fall einen guten Job getan hätte. Seltsamerweise aber fällt der Song „First Offence“, auf der LP Closer der B-Seite und im Re-Release an Position 5, soundlich ein gutes Stück gegenüber den anderen ab, so dass rein aus diesem Grund eigentlich für ihn eine andere Herkunft zu vermuten wäre. Die Lyrics wiederum fehlen gleich für mehrere der ersten zwölf Songs, neben „Strange Night“ und „Walking Wounded“ auch für „Edge“, dazu für „Hold Me“ und „Ready To Rock“ von den hinteren acht Songs, so dass sich auch hier kein konkretes Bild ableiten läßt. Sollten nicht noch irgendwo irgendwelche Informationen aufzutreiben sein, muß dieses Rätsel also vorerst ungelöst bleiben.
Kümmern wir uns also um die Musik: 1988 war die NWoBHM gerade im popularitätstechnischen Totaltief angekommen – die erste Welle der Frühachtziger mit musikhistorischer Relevanz war lange durch, die zweite Welle 1983/84 auch längst Geschichte, die Trends im Metal kamen längst nicht mehr aus England, sondern aus den USA, und so konnten First Offence keinerlei Hoffnungen hegen, irgendwie als Pioniere in die Musikgeschichte einzugehen, denn für das von den Japanern und von Lars Ulrich befeuerte NWoBHM-Revival waren sie nun wieder zu früh dran. Fairerweise muß man allerdings bemerken, dass First Offence dieser Umstand selbst bewußt gewesen sein dürfte: Sie hätten auch in den Frühachtzigern mit ihren deutlichen Siebziger-Einflüssen etwas anachronistisch geklungen. Frühe Mama’s-Boys-Werke hört man da bisweilen durch (ohne deren Folk-Kante allerdings), und gerade „Walking Wounded“ ist im Mittelteil überdeutlich an den Titeltrack von AC/DCs Let There Be Rock angelehnt. Dass jetzt ausgerechnet „Perpetual Motion“ als Opener fungiert, welchselbiges im Intro eine Iron-Maiden-kompatible Melodik und eine Baßabmischung, zu der auch Steve Harris Ja gesagt hätte, aufweist, erscheint seltsam, denn dieses Stilmittel tritt sonst im ganzen Material der Band nirgendwo wieder auf. Statt dessen kommt etwa „First Offence“ im Solo ohne unterlegte Rhythmusgitarre aus, was auch der Livesituation entsprach und zudem deutlich in die Siebziger rekurriert: Nick B. Beard fungierte als alleiniger Gitarrist der Formation. „Running Man“ als alter LP-Opener ist etwas typischer für das Schaffen der Band, offenbart aber ein paar kleine Schwierigkeiten von Sänger Rob Hall im Ausrichten der Gesangslinien auf den instrumentalen Unterbau, so dass das vielleicht den Grund bildet, warum im Re-Release dieser markante Platz anders besetzt wurde. Ansonsten gefällt sich die Band in verschiedensten Midtempospielarten, setzt auch mal einen etwas flotteren Boogie an, hält sich aber von der Speedgrenze weit entfernt. Auf der Gegenseite gibt es auch keine Ballade, obwohl „Rages“ mit einem hübschen Akustikintro beweist, dass sie auch in dieser Sparte vielleicht etwas Gutes hätten vollbringen können. „Rages“ entwickelt sich statt dessen zur wohl vielschichtigsten Nummer des frühen Bandschaffens weiter, ohne dass man an eine Vokabel wie „progressiv“ auch nur denken müßte: First Offence agierten kompakt und in einem begrenzten Rahmen durchaus einfallsreich, und man kann sich sehr gut vorstellen, dass sie als Liveband zu überzeugen wußten.
Zwischen Song 12 und 13 findet sich dann ein abermaliger Soundbruch, und das Klanggewand von „Angelica“ bleibt dann bis fast zum Ende der CD (mit einem geringfügig abweichenden Ergebnis ausgerechnet bei „The Hand That Rocks“) erhalten – ein abermaliger Hinweis darauf, dass diese acht Songs vom nie erschienenen Albumzweitling stammen könnten. Die Produktion wirkt sauberer als die des Debüts, trotzdem nicht zu geschliffen, auch wenn ein wenig Siebziger- und Boogie-Rohheit einem etwas gestriegelteren Fell gewichen ist. Die Akustik-Elektrik-Kombination von „Hold Me“ weiß jedenfalls auch zu überzeugen, und wenn hier noch ein paar größere Chöre und mehr Gitarrenspuren aufgeschichtet worden wären, könnte die Nummer beinahe auf einem der alten Leatherwolf-Alben Platz finden, während „Feed Me“ eher am klassischen Melodic Rock kratzt. Boogie-Gepolter gibt es aber immer noch, etwa gleich im „Hold Me“ folgenden „Nightmare“, in dem Hall einen Tick rauher und expressiver singt als sonst, auch mal ein paar Schreie einstreut und Colin Browns Bassdrumarbeit dem Hörer Herzrhythmusstörungen zu verschaffen in der Lage ist. Mit dem flotten „Powerful“ kratzen First Offence an der Speedgrenze, überschreiten sie aber auch in diesen acht Songs nicht, und speziell „Ready To Rock“ macht klar, dass da immer noch enorm viel Siebziger-Gehalt im Gesamtmix der Kompositionen enthalten ist. Vor allem Hall hat allerdings einen ziemlichen Sprung nach vorn gemacht, singt halbhoch, mit episch anmutender Breite und Problemfälle wie in „Running Man“ zuverlässig vermeidend, wobei solche, das muß man dazusagen, auch damals selten blieben und der Sänger durchaus zu überzeugen wußte, wenn man nicht erwartete, dass er extremere metallische Expressivität an den Tag legen würde. In der aktuellen Triobesetzung dürfte er vermutlich parallel auch noch den Baß bedienen. Selbige Formation spielt einen Mix aus Eigenkompositionen und Coverversionen, wobei allerdings alle 20 Songs des Albums aus der eigenen Feder stammen, es sich bei „Sacred Heart“ also nicht um eine Dio-Adaption handelt. Die choralartigen „Hosanna in Excelsis“-Bridges fallen hier auf und hätten als Eigenständigkeitsmerkmal durchaus noch stärker ausgebaut werden können, was freilich auch generell aufs Schaffen der Band zutrifft: gutklassig, ohne Probleme durchhörbar, vermutlich live ziemlich stark, aber eben nichts absolut Herausragendes. NWoBHM-Anhänger mit Faible für deren rückwärtsgewandte Ausprägung sollten hier aber definitiv ein Ohr riskieren.



Roland Ludwig

Trackliste

1Perpetual Motion5:09
2Rip It Up3:39
3Mad, Mad World4:01
4Time Spent (With You)4:18
5First Offence3:58
6Strange Night3:24
7Into The Night3:52
8Walking Wounded3:58
9Running Man3:02
10Rages4:22
11Breaking The Mould2:54
12Edge3:28
13Angelica3:59
14Feed Me4:03
15Hold Me4:14
16Nightmare2:25
17Powerful2:58
18Ready To Rock3:32
19Sacred Heart3:56
20The Hand That Rocks3:47

Besetzung

Rob Hall (Voc)
Nick B. Beard (Git)
Neil Way (B)
Colin Brown (Dr)
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So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger