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Music for Queen Caroline
Info
Musikrichtung:
Barock
VÖ: 28.11.2014 (Édition Arts Florissants / harmonia mundi / CD / 2013 / Best. Nr. AF.004) Gesamtspielzeit: 72:00 Internet: Les Arts Florissants |
DER MUT DES ALTMEISTERS
Angesichts der Händel-Inflation der vergangenen Jahre hat man sich an eine allgemein hohe Qualität gewöhnt, bei der sich die Interpreten aber auch oft auf dem erreichten musikalischen Niveau ausruhen und die Innovationskraft spürbar nachgelassen hat. Es ist bezeichnend, dass nun einmal mehr einer der Altmeister, nämlich William Christie, mit einer Eigenproduktion seines Ensembles Les Arts Florissants für frischen Wind sorgt. Dabei ließe der Titel der CD solches nicht unbedingt vermuten - Music for Queen Caroline, das klingt dann doch eher nach staatstragend gepflegtem Barock. Doch weit gefehlt: Christie stellt die drei ganz unterschiedlichen Werken als sehr persönliche, psychologisch durchgefärbte Trouvaillen vor.
Das Anthem "The King shall rejoice" zelebriert er weit weniger zackig als die meisten seiner Kollegen; bei ihm hüpft und tanzt diese Musik vor echter Freude, wobei auch die vergleichsweise kleine Besetzung dieser Agilität zugute kommt. Das Te Deum wird in seiner kompakten Komplexität transparent entwickelt und - gerade in den vokalsolistischen Passagen - auch emphatisch aufgeladen. Feierliche Größe inklusive.
Den Kern und Höhepunkt des Programs bildet aber die Trauermusik, mit der Queen Caroline 12737 zu Grabe getragen wurde. Händel entwarf hier eine Musik, die durchaus auch die Qualität einer sehr individuellen klanglichen Trauerrede hat. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, dass der Komponist der Königin, die als geborene Prinzessin von Brandenburg-Ansbach wie Händel deutsche Wurzeln hatte, sehr verbunden war. Carlline gehörte zu seinen engagiertesten Gönnerinnen und war als musikalisch wie philosophisch gebildete Frau hochgeachtet. Und so durchschreitet Händel im Verlaufe des Anthems gleichsam verschiedene biographische Stationen der Verstorbenen, wozu er als Inspirationsquellen u.a. mehrere deutsche Kirchenchoräle, aber etwa auch das Thema einer Opernarie aus einem Werk von Carolines verehrtem Gesangslehrer Pistocchi nutzte.
Wie immer bei Händel wird hieraus dennoch ein Werk ganz aus einem Guß. Und dank Christies engagierter Deutung kann man wahrlich in einem Meer der Trauer baden. Emotional aufgeladen wie zuvor wohl nie gehört, hebt nach der Eingangssymphonie der Trauerchor an. Da ist es auf einmal gar nicht mehr so weit zu Bachs "Kommt, Ihr Töchter, helft mir klagen". Die Musik blüht und atmtet, ohne in opernhafte Affekte abzugleiten. Als scharfer Kontrast wird der avantgardistische Satz "How are the mighty fall´n!" dagegen gesetzt - fast ruppig, hoffungslos, verzweifelt. Nach und nach werden hier und in den folgenden Abschnitten gewissermaßen verdichtet jene Trauerphasen durchexerziert, wie die moderne Psychologie sie kennt. Das ist von atemberaubender Intensität und ungekünstelter Subjektivität, aber zugleich lukullisch musiziert. Den Mut zu einer solchen Deutung - und die Mitstreiter zu einer derart perfekten Ausführung - muss man erst einmal haben und vielleicht braucht es dazu eben jene Weisheit und Souveränität, die erst ein Altmeister mitbringt.
Sicherlich eine der schönsten, intensivsten und schlüssigsten Händel-CDs der vergangenen Jahre.
Sven Kerkhoff
Trackliste
Te Deum "Caroline" in D-Dur, HWV 280
The ways of Zion do mourn - Funeral Anthem for Queen Caroline, HWV 264
Besetzung
Sean Clayton: Tenor
Lisandro Abadie: Bassbariton
Les Arts Florissants
William Christie: Ltg.
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |