Reviews
Anarchy + Romance
Info
Musikrichtung:
Pop, Rock
VÖ: 18.10.2013 (Essay Recordings/ Indigo) Gesamtspielzeit: 49:36 Internet: http://www.bucovina.de |
Um es vorneweg zu sagen: Shantel wagt auf seinem neuen Album eine Runderneuerung. Mit „Balkanpop“ wird man diese Musik zumindest nicht mehr identifizieren können. Nun war „Balkanpop“ immer irgendwie Partysound und das ist das neue Konzept auch weiterhin. Man hat aber das Gefühl, Shantel wollte diesen Begriff, der weder von ihm stammt noch von ihm gemocht wurde, bzw. das dahinter stehende Konzept nicht totreiten. So bezieht er sich nun auf Momente, in denen rockhistorisch viel Neues entstanden ist: Die 1960er Jahre. Doch gleichzeitig ist dies kein Retroalbum geworden. Sein „Balkanpop“ war ein Hybrid und der neue Sound ist es wieder. Jetzt mischen sich Dancefloor, Rockabilly, Pop, Balkan, Garagen-Beat, Motown und sonst was zu einer Melange, die eine Art Summe von Erfahrungen sein will, aber gleichzeitig sehr partytauglich klingt. Ein neuer Stilbegriff muss deswegen nicht gleich her und dürfte den Meister eh nicht interessieren.
Die 1960er Jahre hört man tatsächlich an allen Ecken und Enden aus diesem Album heraus und das beginnt schon mit gleich zu Beginn mit einem Stück im „Penny Lane“-Sound der Beatles. Interessant ist, dass Shantels Bläser erst im dritten Stück so richtig zur Geltung kommen. „13th Shake“ ist typisch für das Album: Eine eingängige Melodie wie eine Art Dauer- Refrain zum Mitsingen, ein ständig wiederholter Gitarren-Riff, Chorgesang mit orientalischem Einschlag, ein treibender Beat, ein dichter Sound, aus dem man die Partystimmung heraus spürt. Erst im sechsten Stück sind die Bläser klar da und klingen nach Balkan, vermischen sich aber mit einer Flamencogitarre. „The Masterplan“ ist schließlich ein Reggae, der sich zu einem Marsch verwandelt. Da weht gar ein Hauch „Obladi, Oblada“ der Beatles durch, war ja schließlich auch ein Reggae. Und auch im nächsten Titel mischen sich Beat und Osteuropa-Sound in einer Art, wie es vielleicht 1967 Dave Dee damals mit seinem Hit „Okay“ versucht hat. Bei „Lenny Soda“ singt Gastsängerin Emma Greenfield einen richtigen Ohrwurm und vielleicht sogar das beste Stück des Albums. Dann treibender Rhythmus mit Bläsern und ein gehöriger Schuss Ska, aber auch etwas Rockabilly bei „Slow Down“ – eigentlich ein völlig verfehlter Titel für das hier zu hörende Tempo. „The Kiez Is Alright“ ist der Vorzeigetitel des Albums. Ein guter Rocker, der aber im „Yamaha Eletrico Remix“ zum Schluss am besten gefällt. Hier kracht es ordentlich und die Elektronik darf hier verrücktspielen. Zur Beruhigung gibt es da aber noch die Ballade „Golden“ mit Sängerin Cherilyn Macneil, die einen Touch Björk hereinwehen lässt, und Streichern.
Möglicherweise etwas Kopfschütteln wird der zwölfte Titel auslösen. Da hat Shantel tatsächlich im 1960er-Jahre-Krabbeltisch gewühlt und ein Tänzchen hervorgeholt, das damals schon als arg brav galt: den „Letkiss“. Wir erinnern uns: Der auf dem finnischen Volkstanz Jenkka basierende Titel wurde 1965 von dem Easy-Listening-Orchesterleiter Horst Wende unter dem Pseudonym Roberto Delgado herausgebracht und diente mit seinem albernen Gehüpfe damals zur Aufheiterung des Schulsports. Allerdings erlebte der Tanz 2001 schon mal eine überraschende Wiedergeburt in einer Art Aerobic-Disco-Fassung mit der Gruppe Darling und an der orientiert sich Shantels Fassung schon eher. Es sei ihm verziehen. Man darf gespannt sein, ob dies das Live-Publikum mitmacht. Mit „Süper Bad Day“ entschädigt er aber dann noch die Balkandisco-Fans.
Es sei noch erwähnt, dass Shantel bei diesem Album mehr denn je sich als performender Musiker begreift: Kaum Elektronik, er singt alles selbst und spielt auch die Gitarre. Besonderen Wert hat er auf die Aufnahmetechnik gelegt. Alles wurde mit einem einzigen Mikrophon, dem analogen, röhrenverstärkten Bändchen-Mikrophon RCA 44 von AEA aufgenommen, welches einen sehr exakten Raumklang wiedergibt. Auch der Gitarrenverstärker und die Effekte sind original 60er-Jahre-Technik. Das macht die Musik tatsächlich sehr präsent. Defizite des Albums liegen darin, dass manche Kompositionen zu ähnlich wirken. Für manche Fans könnte das Album zu poppig wirken, der Balkansound zu sehr in den Hintergrund gedrängt sein. Es dürfte interessant sein, wie die Runderneuerung Shantels live ankommt. Dennoch ist nichts von seiner Intensität und Energie verloren gegangen.
Bleibt noch anzumerken, dass Shantel mit dem Album auch ein limitiertes Lifestyle-Magazin namens „Alright Magazin“ herausgebracht hat, welches sich insbesondere der wilden Seite der Beatmusik und des Rock’n’Roll in Deutschlands Clubszene der 50er und 60er Jahre annimmt. Von den Themen her – u. a. die legendären indonesischen Rock’n’Roll-Bands der 60er – dürfte das ein begehrtes Sammlerobjekt werden.
Hans-Jürgen Lenhart
Trackliste
2. All The Glamour Has Gone
3. 13th Shake
4. Paranoia Bunk
5. Your Nose Is Punk
6. No More Butterflies
7. The Masterplan
8. Multiple Assimilation
9. Lenny Soda
10. Slow Down
11. The Kiez Is Alright
12. Letkis-A Touch Of Beauty
13. Golden
14. Süper Bad Day
15. The Kiez Is Alright - Yamaha Eletrico Remix
Besetzung
+ Band
Gäste: Justin Adams, Cherilyn McNeil, Emma Greenfield
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |