Randalica

Knast, Tod oder Rock’n‘Roll


Info
Musikrichtung: Streetrock

VÖ: 01.10.1995

(Steamhammer / SPV)

Gesamtspielzeit: 59:39

Internet:

http://www.rockhard.de


Als das Rock-Hard-Magazin im Herbst 1993 sein zehnjähriges Bestehen feierte, fügte man dem Jubiläumsheft, der Ausgabe 10/1993, ein Special namens Rock Fart bei – ein Satireheft, in dem fiktive Bands interviewt wurden, die jeweils Klischees für eine bestimmte Stilistik ironisch überzeichneten. Da gab es beispielsweise das grönländische Ein-Mann-Black-Metal-Projekt Bloody Ice, die Grunger Space Needle, die Glamrocker Lipstikk Kikk – und Randalica, die das Tough-Guy-Gehabe auf die Spitze trieben und gemäß der von Layouter Frittz Loch geschriebenen Story Lieder wie „Körper zählen sind im Haus“ oder „Tote auffe Tanzfläche“ hatten, was also leicht erkennbar auf Body Count und Pro-Pain gemünzt war, so dass Randalica denn auch als Hardcoreband deklariert wurden, allerdings mit durchaus metallischen Elementen, denn es gab mit Otze und Ömmes zwei Gitarristen, deren Lieblingsbeschäftigung es war, gegeneinander Gitarrensoli zu spielen, was eher auf eine metallische Verwurzelung hindeutete. Wie alle anderen fiktiven Bands wurden auch die Randalica-Bandmitglieder von den Redakteuren selbst gemimt, was so lange kein Problem darstellte, wie niemand reale Tonzeugnisse von ihnen erwartete.
Allerdings verselbständigte sich der Randalica-Gag alsbald – und plötzlich standen die Redakteure vor der Frage, wie sie der unerwarteten Nachfrage nach Gigs und Tonkonserven aus dem realen Leben nachkommen sollten. Sie entschieden sich, tatsächlich eine Band aufzubauen, wenngleich gewisse besetzungstechnische Schwierigkeiten zu überwinden waren. Götz Kühnemund aka Sir Pommes blieb am Mikrofon, auch Holger Stratmann aka Ömmes war des Gitarrespiels durchaus mächtig – aber die anderen Positionen mußten umbesetzt werden, da Thomas Kupfer aka Otze die sechs Saiten ebensowenig beherrschte wie Frittz Loch aka Asi Assborn die vier, und auch die Schlagzeugfertigkeiten von Frank Albrecht aka Gunter reichten für den angestrebten Anspruch nicht aus. Mit Fleisch hatte man allerdings einen Bassisten im direkten Dunstkreis der Redaktion, der dann später auch noch zum Songsujet wurde, und die Positionen an Zweitgitarre und Schlagzeug füllte man mit den lokal bekannten Musikern Bernd Kost aka Bernemann und Bobby Schottkowski aka Doppelbob, die einige Jahre zuvor mit der Band Crows ein völlig unterschätztes Album namens The Dying Race eingespielt hatten. (Die Randalica-Aktivität legte übrigens kurioserweise den Grundstein für eine neue Sodom-Besetzung, denn als Tom Angelripper kurze Zeit später mal wieder neue Musiker brauchte, verpflichtete er exakt diese beiden Letztgenannten ...) Somit war also tatsächlich ein spielfähiges Randalica-Oktett beisammen, wobei Otze mit der Instrumentenbezeichnung Luftgitarre, Asi mit Luftbaß und Gunter mit Luftmatratze geführt wurde.
Die fünf „richtigen“ Musiker versammelten sich zunächst im Studio, um die Single Tote auffe Tanzfläche einzuspielen – interessanterweise dann doch keine Pro-Pain-Coverversion, sondern eine Eigenkomposition und dazu auch stilistisch von der Ursprungsstory abweichend: Statt Hardcore gab es Streetrock zu hören, auf der Single in zwei verschiedenen Mixversionen des Titeltracks. Das Teil kam so gut an, dass es tatsächlich Nachfragen nach einem Longplayer gab – ergo wurde das Bandprojekt weitergeführt und eine 12-Song-CD namens Knast, Tod oder Rock’n’Roll eingespielt, die dann im Herbst 1995, also vom Rezensionszeitpunkt aus gerechnet vor 25 Jahren, via Steamhammer/SPV das Licht der Welt erblickte. Und wer angesichts des Spaßprojektcharakters zweifelte, dass da etwas auch ohne den Spaßfaktor Hörbares herauskommen würde, sah sich getäuscht: Kennt man den Hintergrund der Band nicht (und versteht auch die Texte vielleicht nicht), kann man die knappe Stunde Musik auch völlig ernstnehmen, zumindest über weite Strecken. Wenn Sir Pommes im Intro des Openers „Nach uns die Sintflut“ „Hallo Tokio, alles klar?“ ins Mikro röhrt, von einer Handvoll müde grölender Gestalten Antwort bekommt, diese mit „Lauter, Tokio!“ und „Noch lauter!“ zu kaum enthusiastischeren Reaktionen aufstachelt und schließlich mit „Okay, Tokio: ‚Nach uns die Sintflut‘“ den Einsatz zum Song gibt, liegt der des Deutschen mächtige Hörer schon mal schenkelklopfend flach, sollte allerdings eben nicht den Fehler begehen, den eigentlichen Song sozusagen zu überhören, denn das ist nur die erste von mehreren richtig gut gelungenen Streetrockhymnen mit grundsolider Gitarrenarbeit, treibendem Rhythmus, einem markanten Gesang und einem äußerst einprägsamen Refrain – nach sowas würden sich noch heute Frei.Wild und Konsorten die Finger lecken, und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, das hier sei die beste Onkelz-Scheibe, die die Onkelz nie aufgenommen haben, nur eben mit dem Unterschied, dass Randalica die Textklischees noch ein Stück weiter überzeichnen, was dann Nummern wie „Randalica Hooligans“ oder das auch hier noch einmal vertretene „Tote auffe Tanzfläche“ ergibt, die zielgenau ins Schwarze treffen. Für reine Speedfreaks ist die Platte zwar weniger geeignet, da es mit „Schmeck den Prügel“ nur eine Hochgeschwindigkeitsnummer gibt, aber die Stärken der Band liegen deutlich woanders. Da wäre etwa das gekonnt groovende „Potent, willig & solo“, das die physischen, ähem, Potenzen des erwähnten Bassisten Fleisch beschreibt (mit abstrus-genialen Textpassagen wie „Fleisch ist ein Monster, Fleisch ist ein Tier / Und er trinkt viel lieber Whisky als Dunkelbier / Manche sagen, das wär nich gut / Doch Fleisch hat den Rock’n’Roll im Blut“). Ebenjener Song wurde nicht nur mit einem Video bedacht, sondern es gab auch ein Shirt, das auf der Vorderseite den Songtitel in riesigen Lettern und auf der Rückseite den Randalica-Schriftzug und das Bergmannssymbol, also Schlägel und Eisen, zeigt. Der Rezensent besitzt dieses Shirt (in Blau) heute noch und hatte es 2010 sogar in den Georgien-Urlaub mitgenommen – er konnte nicht ahnen, dass der für die erste Tourhälfte geplante georgische Bergführer ausfiel und durch eine ausgesprochen hübsche georgische Bergführerin ersetzt wurde, die zu allem Überfluß auch noch der deutschen Sprache mächtig war ...
Von den zwölf Songs der Scheibe handelt es sich bei neun um reguläre Eigenkompositionen, dazu kommen „Schlacht der Pötte“ (ein von Doppelbob arrangierter Mix aus Hörspiel und Drumsolo) und zwei Coverversionen. Bei „Komm schon, fühl den Lärm“ dürfte bereits anhand des Songtitels klar sein, dass es sich um eine Adaption von „Cum On Feel The Noize“ (so manchem wohl hauptsächlich von Quiet Riot bekannt, im Original allerdings eine alte Slade-Nummer) handelt – auf diesem Wege nicht erschließbar hingegen ist „Tore machen“, bei dem das Erkennen allerdings auch nur bis zum ersten Riff dauert: Judas Priests „Breaking The Law“ ist in eine Fußballhymne auf Borussia Dortmund umgedichtet worden, und nur Eingeweihte werden wissen, was Sir Pommes, bekanntlich beinharter BVB-Supporter, getan hat, um sich der textlichen Mitwirkung von Asi, ebenso beinharter Anhänger des VfL Bochum, zu versichern. Unterhaltungswert besitzen auch diese beiden Nummern in hohem Maße, und lediglich „Opfer der Gesellschaft“ und „Schmeck den Prügel“ fallen in der Gesamtbetrachtung der Scheibe ein wenig durchs Qualitätsraster.
So weit konnte man mit einer gesunden Portion Optimismus anhand der Vorabsingle die Erwartungen schon setzen – aber die eigentliche Überraschung kommt erst noch: Knast, Tod oder Rock’n’Roll wächst quasi über sich hinaus, wenn das klassische Streetrock-Terrain verlassen wird. Die angedüsterten halbakustischen Gitarren gleich im zweiten Song „Himmel oder Hölle“ deuten schon an, dass hier vielleicht noch mit etwas Ungewöhnlichem zu rechnen sein könnte, und das bewahrheitet sich unterm Strich auch mit zwei Songs. Da wäre zunächst „Liebe auffem Rücksitz“, mit dem Randalica das extrem schwierige Kunststück fertigbringen, das Lolita-Thema (das bekanntlich ans Areal der Pädophilie grenzt) humoristisch zu behandeln, indem sie auch hier wieder alles ins Absurde ziehen und man Sir Pommes Zeilen wie „Sie war vierzehn, ich war acht / Die Alte hat mich plattgemacht“ singen (!) hört. Das Gastslidegitarrensolo von Peter Wells (Rose Tattoo) setzt der hymnischen Nummer, die natürlich nicht ohne eine gewisse Geräuschkulisse auskommt, die musikalische Krone auf. Völlig ungewöhnlich, aber auch völlig gelungen ist dann der Closer „Septemberregen“, ein neunminütiges, musikalisch durchaus feinfühliges melancholisches Epos, das man von einer Band mit diesem Image nun überhaupt nicht erwartet hatte und das seine Absurdität aus dem Kontrast zwischen Tough-Guy-Text und sensibler Instrumentierung zieht. Wenn zum Schluß ein großer Gefangenenchor „Ich seh‘ den Regen / Septemberregen / Durch Gitterstäbe / Septemberregen“ singt, schüttelt man ungläubig den Kopf ob der Genialität solcher Einfälle. Gut, es ist ein Spaßprojekt, das primär nur die Erwartungen der Beteiligten erfüllen mußte – aber dafür ist es immens gut geworden, eben gerade weil es keine simple Prollmetalscheibe ist, sondern durchaus anspruchsvoll umgesetzt und die Möglichkeiten der Mitwirkenden geschickt nutzend. Sir Pommes ist stimmlich limitiert, aber das stört genauso wenig wie der Fakt, dass Ömmes trotz seines bürgerlichen Nachnamens Stratmann wohl nie gut genug an der Gitarre werden wird, um bei Stratovarius einzusteigen – und trotzdem sind beide intelligent genug, um an den richtigen Stellen über den Tellerrand hinauszuschauen, andererseits aber auch gewitzt genug, um das mit der Klischeeüberzeichnung so richtig schön hinzubekommen (man höre nur mal, wie Sir Pommes nach dem Intro von „Randalica Hooligans“ „Attacke!!“ ruft). Und in puncto treffsicheres Songwriting macht Ömmes, der acht der Eigenkompositionen allein verantwortet (nur an „Himmel oder Hölle“ hat Doppelbob mitgearbeitet und das erwähnte „Schlacht der Pötte“ komplett beigesteuert), auch keiner was vor.
So ist Knast, Tod oder Rock’n’Roll eine Scheibe geworden, die man auch ein Vierteljahrhundert nach ihrem Erscheinen gerne wieder mal hört. Da Sir Pommes und Ömmes seit 2013/14 geschäftlich, also magazintechnisch ja getrennte Wege gehen, ist mit einer der jedes zweite 25 Jahre alt werdende Album ereilenden, mal mehr und mal weniger gelungenen Jubiläumsausgaben bei diesem Werk wohl kaum zu rechnen, aber das macht nichts, solange das Original noch problemlos zu erstehen ist, und im Rock-Hard-Onlineshop gibt es das Teil in einer (nicht aktuell zum Jubiläumsanlaß herausgebrachten, sondern schon etliche Jahre erhältlichen) Edition mit verändertem Design zum Reviewzeitpunkt sogar äußerst günstig.



Roland Ludwig



Trackliste
1Nach uns die Sintflut4:54
2Himmel oder Hölle4:19
3Potent, willig und solo5:08
4Randalica Hooligans5:18
5Liebe auffem Rücksitz6:32
6Schmeck den Prügel4:14
7Komm schon, fühl den Lärm4:14
8Schlacht der Pötte1:53
9Tote auffe Tanzfläche4:14
10Opfer der Gesellschaft4:29
11Tore machen3:03
12Septemberregen9:03
Besetzung

Sir Pommes (Voc)
Ömmes (Git)
Bernemann (Git)
Otze (Luftgitarre)
Fleisch (B)
Asi (Luftbaß)
Gunter (Luftmatratze)
Doppelbob (Dr)



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>