Cavalli, F. / Haendel, G.F. u.a. (Orlinski)
Facce d´amore
NACHSCHUB
Fast meinte man schon, Angst haben zu müssen, nachdem die erste und zweite Welle des Countertenor-Hypes abgeebbt waren. Doch eigentlich ist der Nachschub nie abgerissen, nur lassen sich nicht alle Countertenöre so prima vermarkten wie der 1990 in Warschau geborene Jakub Jószef Orlinski, bei dem kein Feuilleton unerwähnt lässt, dass er nicht nur als Sänger, sondern auch als Breakdancer auftritt und der dementsprechend in den Clips seines Labels Erato als Anti-Klassik-Held inszeniert wird.
Das ist er aber eigentlich gar nicht. Auf seinem zweiten Album erweist sich Orlinski weniger als junger Wilder, denn als unaufgeregter Anhänger und Könner des schönen, gerundeten Tons. Die CD, die uns die Facetten der Liebe („Facce d´amore“) nahebringen will und dazu die diversen Gefühlszustände von Liebenden abschreitet, deckt dabei ein knappes Jahrhundert der Geschichte der Barockoper in mehr oder minder chronologischer Reihenfolge ab. Orlinski war klug genug beraten, nicht auf die hinlänglich bekannten Dauerbrenner zu setzen, sondern sich v.a. jenseits des gängigen Repertoires umzuschauen. So gibt es neben einigen Händel-Arien viel Neues zu entdecken und zu bestaunen, etwa aus der Feder von Giovanni Antonio Boretti oder Luca Antonio Predieri.
Orlinskis Trumpf sind neben wunderbar schwebenden Liegetönen die berückend schön vorgetragenen Kantilenen, denen er bisweilen einen leicht hauchigen Klang beimischt und so zu einem warmen, elfenbeinfarbenen Ton von großer Süße und Ausgewogenheit gelangt. Dies kommt etwa bei Cavalli und Bononcini bestens zur Geltung.
Für die Figurenzeichnung ein wenig bedauerlich ist, dass Orlinski sich auch in den dramatischeren Stücken nicht aus der Sicherheit dieses Wohlklangs löst, so dass die Affektlage eines Nero (Orlandini: Nerone) kaum wirklich zur Geltung gelangt und der Wahnsinn (Händel: Orlando) in recht milder Form daherkommt. Nicht nur im ebenfalls hochdramatischen „Fra gl´assalti“ (Scarlatti) zeigt der Counter zudem einen recht eigenwilligen Zugriff auf die raschen Koloraturen, die er eher zergliedert vorträgt, wobei unklar bleibt, ob dies Allüre, Gestaltungsmittel oder Hinweis auf noch zu hebendes Potential ist.
Positiv hervorzuheben ist die alerte Begleitung durch das Ensemble Il Pomo d´Oro, das mit der Suite „Ballo die Bagatellieri“ von Nicola Matteis sogar ein besonders charmantes, instrumentales Highlight zum Album beiträgt.
Sven Kerkhoff
Trackliste |
1 Cavalli: La Calisto, Act 2: "Erme e solinghe cime ... Lucidissima face" (Endimione)
2 Boretti: Eliogabalo, Act 3: "Chi scherza con Amor"
3 Boretti: Claudio Cesare, Sinfonia
4 Boretti: Claudio Cesare, Act 2 "Crudo amor, non hai pietà"
5 Bononcini: La Nemica d'Amore fatta amante, Pt. 1: Sinfonia
6 Bononcini, G B: La costanza non gradita nel doppio amore d'Aminta: "Infelice mia costanza"
7 Scarlatti, A: Scarlatti, A: Il Pirro e Demetrio, Act 2: "Fra gl'assalti di Cupido"
8-9 Händel: Agrippina, HWV 6, Act 2: "Otton qual portentoso fulmine" / "Voi che udite"
10 Giuseppe Maria Orlandini, Johann Mattheson: Orlandini / Mattheson: Nerone, Act 1: "Che m'ami ti prega"
11 Händel: Amadigi di Gaula, HWV 11, Act 2: "Pena tiranna"
12 Händel: Muzio Scevola, HWV 13, Act 3: "Spera, che tra le care gioie"
13 Händel: Orlando, HWV 31, Act 2: "Ah stigie larve! ... Vaghe pupille"
14 Predieri: Scipione il giovane, Act 3: "Dovrian quest'occhi piangere"
15 Nicola Matteis: Ballo dei Bagatellieri
16 Conti, F: Don Chisciotte in Sierra Morena, Act 4: "Odio, vendetta, amore"
17 Predieri: Scipione il giovane, Act 1: "Finche salvo è l'amor suo"
18 Hasse, J A: Orfeo: "Sempre a si vaghi rai" |
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Besetzung |
Jakub Jószef Orlinski: Countertenor
Il Pomo d´Oro
Maxim Emelyanchev: Ltg.
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