Wiedervereinigung unter dem Zeichen des Kürbisses: Helloween auf „Pumpkins United“-Tour
Dass die Hamburger Kürbisköpfe noch einmal in Originalbesetzung zusammen auf einer Bühne stehen würden, hätte vor etlichen Jahren niemand gedacht. Eine Annäherung war jedoch in der jüngeren Vergangenheit zu beobachten. Zum einen die Band Unisonic, bei der Kai Hansen und Michael Kiske mit an Bord sind. Vor einigen Jahren fand dann auch noch eine Helloween-Tour zusammen mit Gamma Ray statt, bei der es auch recht entspannt zugegangen sein soll. Ich finde die Idee der „Pumpkins United“-Tour, bei der die regulären Helloween-Mitstreiter Andi Deris, Sascha Gerstner und Dani Löble mit an Bord sind, sehr sympathisch. Das gibt es selten – normalerweise werden bei sogenannten „Reunion-Touren“ nur die ehemaligen Musiker mitgenommen. Die Konzertreise wird bis 2018 fortgesetzt und vermutlich weltweit sehr gut besucht sein. Der Gig heute Abend ist ausverkauft, diese Sensation wollen sich viele Fans keinesfalls entgehen lassen. Für mich waren Helloween zusammen mit Accept, AC/DC, Scorpions und Dio auch eine der ersten Metalbands, die mich richtig gepackt haben. Die Stimmung in der Halle ist bestens, das Publikum ist bereit für eine große „Greatest Hits“-Party. Die riesige Bühne ist vor der Show noch mit einem Vorhang abgehängt und macht Lust auf mehr. Als um 20 Uhr das Licht ausgeht und der Robbie-Williams-Song „Let Me Entertain You“ ertönt, brandet ohrenbetäubender Jubel in der Halle auf. Als der Vorhang fällt, kommen sie so langsam auf die Bühne. Und das ist schon ganz großes Kino: Hansen, Kiske, Großkopf, Weikath – wer hätte das gedacht? Viel Zeit zum Überlegen bleibt jedoch nicht, da es gleich mit „Halloween“ losgeht. Passender kann das Konzert fast nicht beginnen, die Fans sind aus dem Häuschen. Den Gesang teilen sich hier Michael Kiske und Andi Deris, was nicht nur bei diesem Song sehr gut harmoniert. Die Überleitung zu „Dr. Stein“ hätte besser nicht sein können, hier geht die Post ab. Die Musiker bewegen sich viel auf der großen Bühne und nutzen ausgiebig den Laufsteg ins Publikum. Vor allem der agile Bassist Markus Großkopf ist pausenlos unterwegs und pumpt die Band vehement nach vorne. Gitarrist Kai Hansen ist von Beginn an sehr aktiv auf der Bühne, hält sich gesanglich jedoch zurück. Dafür reißt er das Publikum mit seiner sympathischen, lockeren Art problemlos mit. Michael Kiske singt erwartungsgemäß hervorragend und zeigt wesentlich mehr Einsatz, als bei so manchem Unisonic oder Avantasia-Auftritt. Zwischen den Songs werden immer wieder kurze Comic-Sequenzen eingespielt, bei denen zwei Cartoon-Kürbisse nach bester „Beavis & Butthead“-Manier allerhand Blödsinn anstellen. Das Ganze ist anfangs noch witzig, nervt jedoch mit der Zeit zusehends. Vor allem werden die Cartoons immer länger – und meistens geht es um irgendwelche Perücken, die sich die beiden Kürbisse aufsetzen. Noch dazu stört es die Kommunikation zwischen Publikum und Band empfindlich, da die Musiker sofort nach dem Song in den abgedunkelten Bühnenhintergrund abwandern. Michael Kiske bekommt hin und wieder Zeit zum Verschnaufen, dann gehört der Solo-Spot dem aktuellen Sänger Andi Deris. Der macht seine Sache prinzipiell gut und ist wie immer mit vollem Eifer bei der Sache. Allerdings kann auch er nicht kaschieren, dass Songs wie „If I Could Fly“, „Are You Metal“ oder die Zylinder-Nummer „Perfect Gentleman“ songtechnisch bei weitem nicht an die Sternstunden der Kiske/Hansen-Ära heranreichen. Und an Michael Kiske führt leider für ihn kein Weg vorbei… Ein Highlight ist für mich das Kai-Hansen-Medley, das mit „Starlight“, „Ride The Sky“ und „Judas“ einige Kracher abreißt. Leider ist „Warrior“ nicht mit dabei, aber man kann ja bekanntlich nicht alles haben. Auffällig ist, dass die Stimmung im Publikum hier mit am besten ist. „Heavy Metal Is The Law“ beendet den Hansen-Teil leider viel zu früh. Gesanglich ist er top in Schuss und bekommt dafür viel Applaus. „A Tale That Wasn’t Right“ ist Michael Kiskes Sternstunde, die er an diesem Abend mit seinem Goldkehlchen entsprechend zelebriert. Was für eine geile Ballade! Hier zeigt sich ganz klar das unnachahmliche Songwriting-Talent, das die Band zu ihren besten Zeiten und in ihrer klassischen Besetzung vorweisen konnte. Das Drum-Solo von Dani Löble ist der Hammer. Er liefert sich eine sogenannte „Drum-Battle“ mit dem früheren Schlagzeuger und Gründungsmitglied Ingo Schwichtenberg, der auf der Leinwand synchron eingeblendet wird. Ingo beging 1995 aufgrund schwerer psychischer Probleme Selbstmord (RIP!). Die Aktion ist ein feiner Zug der Band und beweist Charakter. Beifall und „Ingo“-Sprechchöre sind die Folge und die eine oder andere Träne wird auch verdrückt. Gitarrist Sascha Gerstner und Schlagzeuger Dani Löble muss ich über Gebühr loben. Die zwei hervorragenden Musiker spielen sich regelrecht den Arsch ab und rücken so die Ur-Musiker in ein entsprechend gutes Licht. Und dass Kai Hansen offensichtlich mehr Spaß mit Gerstner hat als mit dem pomadig-langweiligen Michael Weikath, sieht jeder im Publikum. Überhaupt Michael Weikath: Mehr als ein lustloses „über die Bühne schlurfen“ geht bei ihm scheinbar nicht. Sicher spielt er eine Klasse-Gitarre und ist für den Helloween-Sound eine unerlässliche Stütze, aber nach außen macht er eher den Eindruck eines abgehobenen, gelangweilten Stinkstiefels. „Livin‘ Ain’t No Crime“ wird zur Party-Abrissbirne und gefällt mir um Längen besser als auf der Studio-Version. „A Little Time“ beendet den aus zwei Songs bestehenden Kiske-Block und Andi Deris übernimmt wieder das Ruder. Diesen Zeitpunkt nutzen viele, um auf die Toilette zu gehen oder sich mit Getränken einzudecken. Finde ich prinzipiell zwar schade, aber nachvollziehbar. Die Songs sind einfach nicht so stark – Deris singt die Stücke jedoch allesamt sehr gut. Das grandiose „How Many Tears“ beendet den regulären Teil. Hier zieht Kiske noch einmal alle Register und beweist eindrucksvoll, dass er einer der besten Metal-Sänger überhaupt ist. Der anschließende Zugabenblock ist mit das Beste, was ich von Helloween jemals gesehen habe. „Eagle Fly Free“ gerät zum Triumphzug, bei dem aus allen Rohren gefeuert wird. „Keeper Of The Seven Keys“ hätte ich in dieser Form nicht für möglich gehalten. Das Stück ist gesanglich mega-anspruchsvoll – und nur hier merkt man Kiske für ein paar Momente an, dass seit dieser Studioaufnahme mal schlappe 29 Jahre vergangen sind. Hut ab, Klasse-Leistung aller Beteiligten! Deris übernimmt hier wacker die tiefen Parts und singt gigantisch gut. „Future World“ wird mit dem von dem Live In The U.K. -Album bekannten Intro begonnen und ab da gibt es kein Halten mehr. Hier ist die Stimmung magisch, ein wahres Fest für jeden Fan dieser Band. Die meisten Musiker auf der Bühne werfen ihre professionelle Einstellung über Bord und freuen sich wie die Schneekönige über die frenetischen Publikumsreaktionen. „I Want Out“ setzt den Deckel auf das Mega-Konzert. Hier werden riesige aufgeblasene Kürbisse ins Publikum geworfen. Ein Großteil der Fans scheint diesen Spaß nicht ganz zu verstehen und schleudert die Ballons statt nach hinten zu den anderen Fans wieder zurück auf die Bühne. Na ja, wenn man nicht alles vorher per YouTube oder von einer gewissen Siri erklärt bekommt, gelle… Danach ist Schluss, mehr geht auch nicht mehr. Helloween bekommen vom tollen Stuttgarter Publikum völlig zurecht viel Applaus. Jeder im Publikum muss sich darüber klar sein, etwas ganz Besonderes gesehen zu haben. Helloween wird man in dieser Besetzung vermutlich nicht mehr allzu oft auf der Bühne sehen. Die Tour geht bis 2018 und ob sie in dem aktuellen Line-Up nochmal ein Album aufnehmen, darf mit Spannung erwartet werden. Von daher: Hingehen, es lohnt sich definitiv!! Setlist: Halloween Dr. Stein I'm Alive If I Could Fly Are You Metal? Rise and Fall Waiting for the Thunder Perfect Gentleman Starlight / Ride the Sky / Judas Heavy Metal (Is the Law) Forever and One (Neverland) A Tale That Wasn't Right I Can Drum Solo Livin' Ain't No Crime A Little Time Why? Sole Survivor Power How Many Tears --- Eagle Fly Free Keeper of the Seven Keys Future World I Want Out Stefan Graßl |
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