Musik an sich


Reviews
Rameau, J.-Ph. (van Waas, G.)

Le Temple de la Gloire


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 06.11.2015

(Riccercar / CD / DDD / live 2014 / Best. Nr. Ric 363)

Gesamtspielzeit: 123:18



GESCHICKTES POTPOURRI

Eine Oper von Jean-Philippe Rameau und Voltaire – das klingt nach einem doppelten Geniestreich. Allerdings hat es für die Qualität von Rameaus Musik nie eine besondere Rolle gespielt, ob die dichterische Vorlage sich auf der Höhe der musikalischen Inspiration bewegte. Die besten Partituren Rameaus entstanden sogar oft auf eher mittelmäßige oder schwache Libretti. Er hätte nach eigenem Bekunden sogar die Tageszeitung vertont, wenn es keine andere Möglichkeit gegeben hätte. Man darf davon ausgehen, dass es trotzdem ein großer Wurf geworden wäre.

Wobei Voltaires Vorlage zum 1745 bei Hofe uraufgeführten "heroischen Ballett" Temple de la Gloire insofern besonders ist, als der Dichter hier eine Art Fürstenspiegel komponiert hat: ein moralisches Lehrstück über schlechte und gute Herrschaft, das der höfischen Gesellschaft und insbesondere Ludwig XV. auf unterhaltsame Weise zu denken geben sollte. Im ersten Aufzug des Spektakels wird der tyrannische Herrscher Belus auf den Pfad der Tugend geführt, im zweiten wird dem verkommenen Wein-Weib-Gesang-Liebhaber Bacchus der Eintritt in den besagten Ruhmestempel aus verständlichen Gründen verwehrt und im dritten wird das Lob des verzeihenden und weisen Kaisers Trajan gesungen. Zumindest das Pariser Publikum vermisste aber die übliche Liebesgeschichte und Rameau sah sich bei der Wiederaufnahme 1746 zu entsprechenden „galanten“ Anpassungen gezwungen, um dem Stück zu einem wenigstens leidlichen Erfolg zu verhelfen.

Diese zweite, lyrischere Version nun haben Guy van Waas und Les Agremens live im Hoftheater von Versailles aufgenommen. Rameau hat jedem Akt eine eigene Farbe gegeben: bukolische Stimmungen mit Flöten und Musetten dominieren in der Belus-Episode, kompakte Instrumentierung und rustikaler Humor grundieren den derben Bacchus-Auftritt, große Doppel-Chorszenen sorgen schließlich im letzten Teil für eine feierlich-erhabene Stimmung, wobei das Werk in schönster Rokoko-Manier mit einer Vogel- stimmen-Arie des Trajan ausklingt … Am dramatischten ist freilich der Prolog, der eine packende Unterweltszene präsentiert und eine bemerkenswerte Eröffnungsarie der „Allegorie des Neides“ mit tiefer, doppelter Fagottbegleitung enthält. Gekrönt wird das ganze durch eine glanzvoll mit Hörnern und Trompeten orchestrierte Ouvertüre.
Das Ganze ist musikalisch ein Potpourri aus Tragödie, Kommödie und Schäferspiel, in dem sich beispielsweise Anklänge an Dardanus, Castor et Pollux, Platée oder auch Les Fetes de‘Hebe finden, ohne dass das Werk sich durchgängig durch deren Experimentierfreude oder Qualität auszeichnen würde. Vergnügen bereitet es trotzdem.

Rameaus Ballettoper wird nämlich vom Instrumentalensemble, dem Choeur de Chambre de Namur und einer Reihe versierter Solisten prächtig umgesetzt. Vor allem der satte, reife Chor- und Orchesterklang sowie die temperamentvolle Deklamation von Judith van Wandroij, Katia Velletaz, Chantal Santon-Jeffery, Mathias Vidal und Alain Buet sorgen dafür, dass die Musik stets ihre ganze dramatische Kraft entfaltet. Selbst da, wo Rameau seien Fähigkeiten nicht ganz ausschöpft, hält Van Waas die Komposition doch unter der nötigen Spannung.
Die Aufnahme wird als Doppel-CD in einem reich mit u. a. deutschsprachigen Texten und farbigen Abbildungen ausgestatteten festgebundenen Buch präsentiert. Das berühmte Libretto gibt es darin allerdings nur auf Französisch und Englisch.



Georg Henkel



Besetzung

Judith van Wandroij, Katia Velletaz: Sopran
Chantal Santon-Jeffery: Mezzosopran
Mathias Vidal: Tenor
Alain Buet: Bass

Choeur de Chambre de Namur

Les Agremens

Guy van Waas: Leitung


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>