Musik an sich


Reviews
Kate Bush

50 Words for snow


Info
Musikrichtung: Artpop

VÖ: 24.11.2011

(Noble & Brite Ltd / EMI)

Gesamtspielzeit: 65:05

Internet:

http://www.katebush.com


Mit 50 Words for snow erscheint nur knapp 6 Monate nach The Directors Cut das 10. Studioalbum der Granddame des Pop, Kate Bush. Und wie immer gelingt es Kate, ein überraschendes und überzeugendes Werk abzuliefern. Sieben Stücke, über 66 Minuten Musik und alle Songs bearbeiten in irgendeiner Weise das Thema Schnee. Und das ist eine äußerst spannende Angelegenheit.
Das Eröffnungsstück “Snowlflake“ erzählt in knapp 10 Minuten die Geburt einer Schneeflocke und deren Gedanken auf dem Weg zum Erdboden. Hierbei übernimmt Ihr 13 jähriger Sohn Bertie mit seiner Chorknabenstimme den ergreifenden Part der Schneeflocke, die der Welt sehr melancholisch gesonnen ist. Der Pianosong wird nur von spärlicher Perkussion getragen, welche so klingt als sei sie tatsächlich im Schnee aufgenommen. Die spärlichen Orchestralen Einsätze und die unheimlich und doch warm klingende Elektronik erzeugt das Gefühl, man stünde tatsächlich draußen im Schnee und betrachtet die Flocken auf sich herabfallen. Die Mischung von Kates angenehmer doch mystischer Stimme mit der glockenhellen Chorstimme Ihres Sohnes erweist sich spätestens nach dem zweiten Hören als grandios. Das stetig sich wiederholende Piano betört und die knapp 10 Minuten sind einfach nur traumhaft schöne, wenn auch sehr melancholische Musik.
Die Pianoklänge bleiben auch in “Lake Tahoe“ dominant, hier wird Kate von einem wundervoll melancholischen Chor begleitet. Streicher untermalen den melancholischen Son, der davon erzählt, das sich die Schneeflocke in Katze verwandelt. Diese wird vom Geist einer im zugefrorenen Lake Tahoe ertrunkenen Frau gesucht. Das Piano schlägt jazzigere Klänge an. Sanfte Streicher untermauern die Dramatik, die Perkussion ist sanft und verleiht dem Song Postrockanklänge. Blasinstrumente als Farbtupfer, die erzählende Stimme Kate´s und die sensible Komposition bereiten einen 11 Minuten langen Song der sich oberflächlich gehört kaum zu verändern scheint, doch auch hier liegt die Kraft in der Fähigkeit des Zuhörens, denn es gibt wohl kaum eine ergreifender Komposition als diese.
“Misty“ bleibt dem Piano verhaftet. Somit wird das Album von einem fast 35 Minutan langen, eher melancholischen und Pianodominierten Teil eröffnet. Allerdings tackert das sanfte Postrockschlagzeug auf “Misty“ etwas positiver. Erzählt wird hier die Geschichte einer Frau und Ihrem Einmal-Liebeserlebnis mit einem Schneemann. Banal? Nein, ganz und gar nicht. In den Worten und Klängen einer Kate Bush wird ein solches Thema zum großen Drama. Mit Metaphern wie „I can feel him so cold to me“ oder „I can feel him melting in my hands“ bringt Kate soviel Dopepeldeutigkeit wie nötig hinein. Musikalisch dominiert wie erwähnt das Piano, wunderschöne Gitarreneinlagen, kaum hörbar, aber doch präsent. Auch hier gibt es diese wunderschönen Streicher Arrangements, die man kaum bemerkt. Die große Kunst dieses Albums – weite, offene Musik, scheinbar spröde instrumentiert und doch voller Vielfalt, Instrumentierung und Leidenschaft.
Mit über 13 Minuten ist “Misty“ das längste Stück des Albums, und wie alle Stücke scheint es sich kaum zu verändern und doch passiert unglaublich viel in ihm. Für die Singleauskopplung “Wild Man“ möchte ich auf meine bereits veröffentlichtes Besprechung verweisen. Nur soviel, es bricht den melancholischem Sound nach über einer halben Stunde auf und ist neben dem Titelstück das wohl schwungvollste des Albums. In “Snowed at Wheeler Street“ bietet vor allem Sir Elton John seine wohl beste Gesangsleistung seit Jahren. Erzählt wird die Geschichte eines Pärchens, das jedoch nie eines wird. Sie reisen durch die Weltgeschichte, Ereignisse wie 9/11, das brennende Rom oder der zweite Weltkrieg werden genannt. Dieses Stück wird von einer psychedelisch düsteren programmierten Elektronik geführt, über die natürlich das Piano seine melancholischen Klänge legt. Das wohl bizarrste, melancholischste, mystischste und auch schönste Duett der Popmusik seit Björk und Anthony auf The Dull Flame of Desire. Das folgende Titelstück ist wiederum eine Angelegenheit, die so nur von einer Kate Bush umgesetzt werden kann. Zu Trip-Hop Klängen fordert Kate Ihren Gesangspartner, den Schauspieler und Schriftsteller Stephen Fry, dazu auf, “50 Words for snow“ aufzuzählen. Dies tut dieser dann auch, immer wenn Ihm die Ideen ausgehen, fordert Kate vom Neuen dazu auf. Dabei entstehen natürlich auch exotische Wörter und reine Eigenkreationen. Doch spätestens seit Pi vom Album Aerial weiß man ja, das Kate wohl auch das Londoner Telefonbuch spannend vertonen würde, und so ist dieser Track ein ebenso spannendes und tolles Werk. Puckernder Vorwärtsbass, blubbernde Elektronik und die Gitarrensounds klingen wieder, als wäre der Sound vom Schnee gedämpft. Das abschließende “Among Angels“ kehrt folgerichtig zum Piano zurück. Dieses klingt wieder gedämpft, jedoch mit sehr viel Hall und irgendwie ein wenig versöhnlich. Erst nach der Hälfte des Songs gesellen sich wenige Streicher hinzu, das Stück über Engel und vielleicht auch das Nirvana wird jedoch einzig von Kates intensiver, dunkler aber klaren Stimme und diesem beeindruckendem Piano getragen. Und mit diesen Klängen enden 66 Minuten großen Kopfkinos, welches so nur von dieser Künstlerin erschaffen werden konnte.
50 Words for snow ist das stärkste Album Kate Bush´s seit The Sensual World, vielleicht sogar seit Ihrem alles überstrahlendem Hounds of Love. Die große Kunst dieses Albums ist die symbiotische Verschmelzung der Musik und derWorte, die dazu erzeugte Stimmung. Dieses Album will, nein muss erarbeitet werden. Die Frage ist, ob dieses wundervolle Werk in der so lauten und hektischen heutigen Zeit überhaupt eine Chance hat und Kate spricht dies im Text des Openers quasi selber aus („This world is so loud“).
Dieses leise und wunderschöne Album überstrahlt alles, was in den letzten Monaten so auf den Markt kam. Hoffentlich wird es nicht überhört.



Wolfgang Kabsch



Trackliste
1. Snowflake 9:46
2. Lake Tahoe 11:08
3. Misty 13:32
4. Wild Man 7:16
5. Snowed In At Wheeler Street 8:05
6. 50 Words For Snow 8:30
7. Among Angels 6:48
Besetzung

Kate Bush: Gesang, Chorgesang, Piano, Bass, Keyboards
Steve Gadd: Schlagzeug
Del Palmer: Bass
Dan McIntosh: Gitarren
Danny Thompson: Bass
John Giblin: Bass
Albert McIntosh: Gesang auf Snowflake
Sir Elton John: Gesang auf Snowed In At Wheeler Street
Stefan Roberts & Michael Wood: Chorgesang auf Lake Tahoe
Andy Fairweather Low: Gesang auf Wild Man
Prof. Joseph Yupik: Stephen Fry: Stimme auf 50 words for snow


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>