Musik an sich


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Tillmann + Dritte Wahl: Krach-Pop trifft auf Ü40-Punkrock



Info
Künstler: Dritte Wahl - Sick of Society - Tillmann

Zeit: 05.11.2010

Ort: Augsburg - Kantine

Besucher: ca. 250

Internet:
http://www.tillmann.de
http://www.myspace.com/tillmannband
http://www.sickofsociety.de
http://www.myspace.com/pornnrollforever
http://www.dritte-wahl.de
http://www.myspace.com/drittewahlrostock

Drei Bands, drei Trios und drei Mal heftig was aufs Mundwerk. Das ist die Bilanz eines zünftigen Konzertabends in der Augsburger Kantine. Die Rostocker Punkrock-Könige DRITTE WAHL hatten sich angesagt, mal wieder diesen behaglichen Klub heimzusuchen. Da an diesem Tag ihr erstes Studioalbum seit fünf Jahren (Gib Acht!) veröffentlicht wurde, kündigte man den Auftritt sogleich als Release-Party an. Aber da es sich alleine nicht ganz so schön lärmt, hatte der Veranstalter noch die Ulmer SICK OF SOCIETY, sowie den Münchener/Augsburger Dreier TILLMANN engagiert. Mit Aussicht auf einen schwitzigen Pogopit machte die Augsburger Punkelite ihre Iros fein zurecht und verlegte ihr natürliches Biotop (den Königsplatz) kurzerhand in die ehemalige Reese-Kaserne um ein Fass aufzumachen. Dabei war es schon irgendwie lustig zu beobachten, wie die ranzigsten Typen die neuesten Handys zum Fotografieren zückten. Punk ist heute halt mancherorts irgendwie doch nur noch ein Klischee.



Tillmann

Mit ihrem krachigen Deutschrock waren die drei sympathischen Herren von TILLMANN schon regelrecht exotisch. Ihr Auftreten in schwarzen Anzügen wurden anfangs von den etwas spärlich vorhandenen Zuschauern noch recht skeptisch beäugt - ihre Musik im Endeffekt auch. Aber dadurch ließ man sich kaum aus dem Konzept bringen. Als die Band mit „Total normal“ loswummerte, wuchs so schnell kein Gras mehr. Wer die Gruppe von ihren letzten beiden Platten als gemütliche Band mit NDW-Schlagseite kannte, musste erst einmal seine Ohren neu justieren. Das hier war laut, verdammt LAUT. Ihr Selbstbeschreibung „Krach-Pop“ passte an dem Abend wie die Faust aufs Auge! Man hatte sich ohrenscheinlich an das restliche Abendprogramm angepasst. Schlagzeuger Sammy trieb seine beiden Saitenquäler beachtlich wie ein Uhrwerk voran und zusammen groovten sie tight wie ein Affenhintern. Der etwas schräge Gitarrist/Sänger Tom, der mal wieder nur irgendwie für sich selbst zu spielen schien, spuckte Songs wie „Wie man verliert“ oder „Karussell“ regelrecht aus. Aufgrund der Livepower verkam sogar eine vermeintliche Ballade wie „Monotonie in der Vorstadt“ zur Powernummer. Der Höhepunkt der Auftritts stand, wie so oft, am Schluss der sehr kurzweiligen halben Stunde: Eine Coverversion des bekannten Schlagers „Seemann“ und der alte, punkige Klopfer „Alfred L.“, die zusammen sogar die ersten Wilden Pogo tanzen ließen. Sehr schön gemacht meine Herren - hoffentlich bald wieder in diesem Theater!


Wäre man bösartig, würde man sagen, SICK OF SOCIETY aus dem Raum Ulm haben alles was man an Punkrock hassen kann. Variationsarmut (nur zwei Songs: den schnellen und den sehr schnellen), überstrapazierte und leere Revoluzzerphrasen, Proletengehabe inklusive aufgesetzter Credibility und neben dem ganzen Halligalli auch ein Liedchen über Bier und dazu eine leidlich witzige Coverversion zum Thema Körperhygiene. Aber mei, die zusammen gewürfelt scheinende Band (äußerst taktsicherer Schlagzeuger, Bassist einer Metalband geklaut und typischer Frontmann) ist halt einfach so und man nimmt ihnen ihr Image trotzdem ab. Für 30 Minuten High-Speed-Rock'n'Roll (man nennt es selbst „Porn'n'Roll“, ich „Bad Religion+NOFX-auf-Speed“) reicht das allemal. Das sich mittlerweile recht beachtlich gefüllte Auditorium reagierte erwartungsgemäß recht positiv auf das Gebotene und ging stellenweise ziemlich steil. Die mittlerweile schon seit ziemlich vielen Jahren im Untergrund agierenden Mucker sind halt doch so etwas wie alte Bekannte, mit denen man gerne mal ein Bierchen trinkt, „Raise your voice“ schreit und den „Weekend anarchist“ spielt. Aber manchmal würde man selbst die ältesten Bekannten am liebsten vor der Tür stehen lassen...

Dritte Wahl - Stefan

Wie schon gesagt: Dieser Freitag war der Tag, an dem die neue Langspielpille Gib Acht! zum ersten Mal offiziell in den Läden stand. Extra dafür (?) hatten sich DRITTE WAHL richtig schick gemacht. Im gleißenden Licht erschienen Gunnar, Stefan und Krel in noblen Stoffhosen und in hellblauen Hemden mit aufgenähten „8“-Logo. Sah schon sehr freundlich aus und war ein ziemlicher Kontrast zum buntschwarzen Punk-Pulk vor der Bühne. Dieser war natürlich fast sofort auf 180 und am Ausflippen, als Dritte Wahl nach kurzer Begrüßung loslegten. Schon erstaunlich, was die Band immer wieder losmacht. Die Stimmung war zwar wild (die ersten Bierflaschen und Gläser wurden recht zügig zerschellt), aber am Ende doch nur wieder positiv gelöst. Songs wie die unkaputtbaren „Rausch“, „Tobias“ oder „Halt mich fest“ sorgten für ziemliche Endorphinschübe und viel Geschubse und Gedränge in den Reihen. Es wurde sogar das neue und unbekannte „Danke“ abgefeiert, bei dem sich das Trio erdreistete Keyboardsamples einzuspielen. Aber hey, das schien niemand zu interessieren und der wie immer sehr bodenständig rüberkommende Gunnar bedankte sich sogar für die entgegengebrachte Toleranz.
Dass die Stimmung bei mitpfeif- und mitsingbaren Nummern wie „Störung“, „Greif ein“ oder auch dem durch den Wolf gedrehten Kinderlied „Mama hol' den Hammer“ endgültig überkochte, überraschte dagegen wohl keinen. Dort wurde nicht nur wie wild gepogt, sondern auch die Bühne geentert und auch die Stagediver kamen zu ihrem Zug. Nicht selten waren sogar ein Vielfaches der Musiker an Fans auf der Bühne und Dritte Wahls Bühnentechniker hatte alle Hände voll zu tun, das Equipment zu retten und die Fans von den Brettern zu verweisen. Ein Kontrast hierzu war die sehr emotionale Darbietung der Gedenkballade „Auf der Flucht“, bei der sich das eine oder andere Tränchen aus den Augen drückte. In dunkle Tiefen wagte man sich dagegen mit dem düsteren „Mainzer Straße“ (fast pünktlich zum 20-jährigen „Jubiläum“ der Räumung) und dem regelrecht beklemmend rüber kommenden „Kein Wort“, in dessen Mitte sogar ein Platz für einen Gitarrenwechsel war (oder sein musste).
Dritte Wahl - Gunnar

Dieser Auftritt war zusammenfassend verdammt stark und die Fans wünschten sich nicht nur lauthals den Song „Zeit bleib stehen“, sondern am liebsten wäre es einem gewesen, sie hätte es wirklich getan und Dritte Wahl hätten noch viel länger weiter gezockt. Doch irgendwann wurde der genannte Überhit gespielt und es war klar, dass das Ende so langsam gekommen war. Das Augsburger Publikum wollte Dritte Wahl auch fast nicht gehen lassen und skandierte den Refrain immer und immer wieder, so dass sich das Trio noch einmal für zwei Zugaben erweichen ließ und ganz am Schluss mit ihrer Hymne klar machte, welche Band hier rund 90 Minuten auf der Schwimmbad-Bühne der sehr gut gefüllten Kantine stand. Von wegen Herr Schröder, man könnte mit 40 keinen richtigen Punkrock mehr spielen - wie man in einer ironischen Ansage, inklusive Klangbeispiel, anmerkte. Danke Dritte Wahl, für diesen gelungenen Abend!





Mario Karl



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