Ruffo, Monterverdi-Coppini
Nova Metamorfosi
ZURÜCK ZU DEN QUELLEN! - UND DER AUFBRUCH IN EINE NEUE EPOCHE AUS 'NEUER EINFACHHEIT' ...
Wie es so kommt: Einen kreativen Geist vorausgesetzt, müssen strenge ästhetische Reglementierungen große Kunst nicht verhindern, sondern können sie sogar noch befördern! Nachzuhören ist das auf dieser herausragenden neuen Aufnahme des Ensembles Le Poème Harmonique mit geistlicher Musik, die im Anschluss an das Trienter Konzil in Mailand entstanden ist. Das Konzil hatte sich als Reaktion auf die Reformation eine umfassende Reform der katholischen Kirche zur Aufgabe gestellt: Zurück zu den heiligen und reinen Traditionen der christlichen Kirche! Prominentester Vertreter der neuen, von Reformeifer beseelten Generation war Kardinal Carlo Borromeo. In seiner Diözese Mailand wollte er nicht nur den verweltlichten Klerus und seine pastoral unterversorgten Schäfchen 'katholisieren', sondern auch für die relgiöse Kunst im Allgemeinen und die Kirchenmusik im Besonderen eine neue Epoche einleiten. Letztere nämlich war nach Meinung des Konzils durch Komponistenehrgeiz, Virtuosentum und 'laszive' profane Melodien eine recht unheilige Kunst geworden. Instrumentalmusik und selbst der Orgel mißtraute man. Fast wäre es noch zu einem Verbot der mehrstimmigen Musik in der Liturgie gekommen.
... WIRD NEUE KUNST ...
In Borromeos Diensten komponierte Vincenzo Ruffo (um 1508-1587) eine vierstimmige Modell-Messe, die auf allen kompositorischen Firlefanz verzichtete und die Musik den heiligen Worten des Ordinariums unterordnete. Ruffo investierte nicht in die Kunst komplex verwickelter Stimmführung, sondern in die Wortverständlichkeit. Es dominiert eine feierliche Gemessenheit und Flächigkeit des homophonen A-Capella-Satzes, von 'Laszivität' keine Spur. Nur: Was es auf dieser Aufnahme zu hören gibt, klingt weder vierstimmig noch schlicht. Vielmehr bringt die Art und Weise, wie das Ensemble hier die damals hochentwickelte und in zahlreichen Traktaten beschriebene Kunst der improvisierten Verzierung wiederbelebt, durch die Hintertür eine neue, brillante Komplexität und Ausdrucksfülle in die einfache Musik hinein. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Instrumenten. Die Beschränkung des Komponisten wird zur neuen Freiheit für den Interpreten! Das kann hier bis an die Grenze zur Neuschöpfung gehen. Aber mit was für einem Ergebnis! Man höre nur die Inbrunst, mit der z. B. die Kyrie-Rufe durch dissonante Durchgänge und 'Vorschläge' aufgeladen werden, wie die Schlusskadenzen in üppigen Figurationen ausklingen, Stimmeinsätze gegeneinander verschoben werden oder nicht minder virtuos ausgezierte Instrumentalpartien die vokalen Linien umspielen. Wenn dann auf einmal der 'nackte' Satz Ruffos erklingt - z. B. im Credo bei der Menschwerdung und Passion Christi - dann ist das auf seine Weise wieder ein bewegender Effekt.
Ähnlich verhält es sich bei zwei weiteren Höhepunkten der Aufnahmen, Psalmvertonungen in der der antiquierten Technik des falsobordone, bei dem der cantus firmus in mehr oder weniger statische Akkordblöcke eingebettet war. Damit, so glaubte der Kardinal, schien sich das Ideal einer 'reinen', heiligen und feierlichen liturgischen Musik noch besser verwirklichen zu lassen. Aber wie gesagt: Kreative Geister finden immer einen Weg. Hört man das eröffnende Confintemini Domino mit seinen kunstvollst ornamentierten Oberstimmen, bei denen das 'Verschleifen' der Töne, erregte 'Tremoli' und Akzente mitunter an orientalische Musziziertraditionen denken lassen, dann ist es mit der von Borromeo geforderten Schlichtheit nicht mehr weit her. Gottseidank! Die - man kann es nicht anders sagen - ekstatische Verzückung und mystische Hingabe, die dann aus dieser eigentlich nicht sonderlich spektakulären Musik sprechen, verkörpert den 'erneuerten Geist', der den Barock-Katholizismus durchwehte, authentischer, als Borromeos edle Askese.
Wo es vor allem um visionäre Frömmigkeit und die subjektive Einstimmung in das Geheimnis des Göttlichen ging, da konnte man schließlich auch auf die verpönte profane Musik zurückgreifen. Der Gebrauch heiligte die Mittel, die dazu freilich von höchster Qualität sein mussten. Madrigale von Claudio Monteverdi (1567-1643) wurden durch eine kunstvolle Umtextierung durch einen gewissen Aquilo Coppini zu avantgardistischen musikalischen Exzerztien, an denen selbst der Kardinal Gefallen gefunden haben dürfte. Monteverdis aufregend chromatische, dissonanzgesättigte Musik besang nun statt der erotischen Liebe die himmlischen Leidenschaften, statt der Leiden der gebrochenen Herzen verklärte sie das Martyrium der Heiligen.
... DANK KUNSTVOLLER INTERPRETATION
Das alles könnte man als musikhistorischen Nebenschauplatz abtun - wenn das französische Ensemble hier nicht erneut eine Interpretation vorlegen würde, die einen vom ersten Ton an ergreift und über 60 Minuten nicht mehr los läßt. Welch eine Phantasie! Eine höchst artifizielle, dabei vor lauter Historizität niemals 'abgehobene' Darbietung verbindet sich mit einer unerhörten Kraft und Schönheit des Ausdruck. 'Abheben' tut hier nur der Hörer. Man könnte meinen, das Ensemble habe schon die Gottesdienste von Kardinal Borromeo musikalisch bereichert. Das präsente und sonore Klangbild ist zudem ein glänzendes Plädoyer für die CD. Und angesichts der wachsenden Zahl lieblos produzierter und platt aufgemachter CDs mit klassischer Musik ist die alpha-Edition wie immer ein Genuss.
Georg Henkel
Trackliste |
01-03 Confitemini Domini (Faslobordone) (15:23) 04 O gloriose martyr (03:44) 05 Kyrie eleison (04:40) 06 O infelix recessus (03:27) 07 Gloria (03:30) 08 Credo (06:24) 09 O stelle coruscantes (03:47) 10 Anima miseranda (02:59) 11 Sanctus (04:16) 12 Agnus Dei (02:47) 13 O Iesu mea vita (03:40) 14 Dixit Dominus (Falsobordone) (06:01) |
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Besetzung |
Le Poème Harmonique Ltg. Vincent Dumestre
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