Musik an sich


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Satie, Erik (Cohen)

Klavierstücke


Info
Musikrichtung: Klavier

VÖ: 01.10.2003

(Glossa Platinum / Note 1) CD DDD (AD 1997) / Best. Nr. GCD P 30508

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Patrick Cohen



GEBANNTE ZEIT

Die Reihe Glossa Platinum vereinigt Bekanntes aus dem Backkatalog des spanischen Labels mit Neuproduktionen bewährter Künstler. Darunter ist auch eine Aufnahme, die seinerzeit Kritik und Hörer polarisierte: Klavierwerke von Erik Satie (1866-1925), die Patrick Cohen auf einem historischen Flügel der berühmten Firma Érard von 1855, darbietet. Saties avantgardistischer Retro-Stil, der Gregorianik in Walzermusik verwandelte (und umgekehrt), bekommt im musikalischen Historismus Cohens ein eigentümlich gebrochenes Gegenstück. Ist das nun Materialfetischismus, verfehlte Nostalgie oder einfach kongenial?

Delikat ausbalanciert in Tempo, Artikulation und Dynamik, ist Cohens Interpretation von einer Geschlossenheit, die die 20 versammelten Stücke wie Variationen über ein einziges, untergründiges Thema erscheinen lassen: Die musikalische Zeit scheint in einem unendlichen, paradoxen Vexiespiel gefangen, was den Intentionen Saties sehr entgegenkommen dürfte. Der zunehmend hypnotisierte Hörer wird zum Teilnehmer an einem rund sechzigminütigen Ritual der Klangverwandlung. Wie die Ornamente eines kunstvoll gewirkten Teppichs fügt Cohen die Minaturen des Komponisten aneinander. Selbst kontrastierende Elemente - ein gelegentliches schnelleres Tempo, dynamische Spitzen - bleiben integraler Bestandteil dieses riesenhaften 'Gewebes' und lassen lediglich die eine oder andere Figur deutlicher hervortreten.
Unversehens meint man, einem Stück von Morton Feldman (1926-1987) mit seinen endlos variierten Wiederholungen an der Grenze zur Hörbarkeit zu lauschen. Die Zeit gerinnt irgendwo zwischen dem Vergessen und Wiedererinnern der gehörten 'Patterns'. Dieser Effekt verdankt sich in diesem Fall nicht zuletzt der Verschränkung zyklisch konzipierter Stücke, die mit dem gleichen Material arbeiten: Cohen hat sein Programm so eingerichtet, dass die einleitenden Gnossiennes gleichsam von den Danse de travers überblendet werden, diese wechseln dann mit den Airs à faire fuir ab, bevor die Gymnopédies erklingen, wiederum im Wechsel mit neuen und zyklischen Stücken usw.

Cohens Interpretation nicht fremd. Dass der Pianist Saties lakonischen Minimalismus dennoch nicht in pseudomeditatives Rauschen verwandelt, verdankt sich zum einen der hohen Konzentration seines Spiels, zum andern den - je nach dem - Begrenzungen oder Möglichkeiten seines Instruments. Mit seinem samtig-diffusen Timbre läßt es die Musik noch abstrakter und unwirklicher erscheinen, als sie sowieso schon ist. Zugleich sorgen feine Schwebungen und Unschärfen der Registerfarben für ein unwillkürliches, dabei ausgesprochen atmosphärisches Farbenspiel. Cohens subtile Anschlagskultur sorgt dafür, dass diese Eigenheiten des Instruments bestens zur Geltung kommen. Anders als bei einem modernen High-Tech-Instrument bleibt man stets gewahr, dass zum Klang auch einen individueller instrumentaler Körper gehört, der ihn hervorbring. Die damals von einigen Kritikern monierten Nebengeräusche der Mechanik fallen dagegen - so man sie überhaupt wahrnimmt - nicht weiter ins Gewicht.

Für die Neu- und Wiederentdeckung scheinbar abgespielten Repertoires ist Cohens Aufnahme sicherlich eine der ersten Adressen.



Georg Henkel



Trackliste
1Gnossienne Nr. 104:11
2Gnossienne Nr. 202:51
3Gnossienne Nr. 303:22
4Gnossienne Nr. 503:46
5Danse de travers III02:19
6Gnossienne Nr. 403:53
7Air à faire fuir I04:25
8Danse de travers I01:46
9Air à faire fuir II02:03
10Danse de travers II01:35
11Petite ouverture à danser02:14
12Gnossienne Nr. 602:23
13Première penseé-rose-croix01:09
14Gymnopédie Nr. 103:40
15Caresse02:18
16Gymnopédie Nr. 203:19
17Air à faire fuir III04:42
18Gymnopédie Nr. 303:14
19Sarabande Nr. 106:08
20Le Fils des Étoiles. L'initiation04:37
Besetzung

Patrick Cohen
Pianoforte Érard um 1855


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