Nova Stravaganza, Siegbert Rampe
Bachs Ouvertüren gehören ohne Zweifel nicht nur zu seinen schönsten, sondern auch zu den meistgespielten Werken barocker Orchesterliteratur und an guten Einspielungen herrscht wahrlich kein Mangel. Da bedarf es schon einer besonderen Rechtfertigung, wenn eine weitere Produktion auf den Markt gebracht wird.
Es sei vorweggenommen: Diese Aufnahme hat ihre Berechtigung, ja, weit mehr als das, denn sie wirft ein neues Licht auf die vertrauten Stücke und verdeutlicht, dass intensive Quellenforschung kein Selbstzweck ist, sondern letzten Endes der Musik und unserer Freude an ihr zugute kommen kann.
Galten bis vor nicht allzu langer Zeit die Ouvertüren als Werke aus Bachs Leipziger Jahren, zeigen jüngste Forschungsergebnisse, dass sie vermutlich älter sein dürften und in ihrer ursprünglichen Fassung zumeist in die Zeit am Hof zu Köthen fallen. Diese Fassungen zu rekonstruieren, hat sich Siegbert Rampe zur Aufgabe gemacht. Wieder einmal läßt sich musikwissenschaftlich trefflich darüber streiten, ob die Rekonstruktion in allen Punkten zwingend ist. Doch der wissenschaftliche Disput wird schnell zum Schweigen gebracht, wenn man diese Fassungen mit der notwendigen Unvoreingenommenheit hört. Festgefügte Hörerwartungen allerdings wollen zunächst überwunden sein, wenn plötzlich Pauken und Trompeten fehlen und allenfalls 2 bis 3 Oboen das sonst liebgewordene festliche Gepräge zu liefern haben, unterstützt bloß von einem kleinen Streicherapparat und dem Cembalo.
Doch welchen Glanz verleiht gerade diese fast kammermusikalische Besetzung den Stücken! Um wieviel raffinierter erscheinen sie auf einmal, wenn das Pompöse hinweggedacht ist!
Hinzu tritt eine deutliche Schärfung der Rhythmen und Hervorhebung der Punktierungen, wodurch alle Sätze durchweg ein Höchstmaß an Lebendigkeit erlangen und der Ursprung der Ouvertüren als Aneinanderreihung von Tanzsätzen deutlich wird. Dass der Orchesterklang dabei manches Mal rauher und spröder wirkt, als gewohnt, steigert den Reiz eher noch. Schroff und ungewohnt kraftvoll erscheint beispielsweise die Polonaise der Ouvertüre Nr. 2, von allem Kitsch befreit das Air aus der Ouvertüre Nr. 3.
Dabei sind die Musiker mit spürbarer Begeisterung bei der Sache. Rampe hat das Ensemble bestens im Griff, die Einsätze kommen haargenau, die Kontraste werden feinsinnig herausgearbeitet. Nur ganz selten einmal geht die Spielfreude mit den Beteiligten durch und die Interpretation erscheint ein wenig atemlos und gehetzt. Diese Momente halten jedoch nie lange an und vermögen den überzeugenden Gesamteindruck nicht nachhaltig zu trüben.
Hinzu kommt eine überragende Klangqualität mit größtmöglicher Transparenz, erzielt trotz oder wegen des Bemühens um Authentizität auch hier, denn die Aufnahme fand im Spiegelsaal des Köthener Schlosses statt.
Last but not least liefert Siegbert Rampe einen ausführlichen, wissenschaftlich fundierten Begleittext, der den Hintergrund dieser neuen Sichtweise auf die Stücke erhellt.
Alles in allem eine mitreißende, Staunen machende Doppel-CD, von der man nicht genug bekommen kann und die zeigt, dass selbst zu altbekanntem das letzte Wort noch nicht gesprochen sein muß, sondern noch viel spannendes zu sagen sein kann.
20 von 20 Punkte
Sven Kerkhoff
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