Das "Standards"-Trio improvisiert neue Standards. Freies Improvisieren klingt immer verdächtig nach Free-Jazz. Aber während bei jener Richtung jeder immer nur das gespielt hat, nach dem ihm gerade war, kann es auch anders gehen: Jarrett und seine Mannen spielen kollektive Improvisationen die zum Teil neue Standards werden könnten, so melodielastig und schön sind die Stücke. Und es sind keineswegs nur Mood-Pieces, Balladen wie meistens auf Jarretts 70er-Solo-Konzerten. Nein, hier findet sich vom Bebop über den Swing bis zu Funk-Jazz alles, was auf einem Klavier, einem Bass und einem Schlagzeug nur gespielt, und (manchmal kommt es einem so vor) eigentlich nicht gespielt werden kann. Von der Vielseitigkeit und Präzision, vom Können dieser drei Meister zu sprechen, wäre Zeitverschwendung. Und so bleiben nur wortloses Staunen und offene Münder angesichts solcher Nummern, wie der 32-Minütigen Tour-de-force "Hearts In Space" und seinem Verwandten auf CD Nummer 2 - "Waves". Aber alle Stücke sind großartig. Das Jarrett-Solo "The River", das sich auf dreieinhalb Minuten beschränkt, aber innerhalb dieser Zeit alles sagt, was nicht mit Worten gesagt werden kann. "Paradox" endet, so paradox es klingen mag, auf einen Beat. Wie die Band das beim Kollektivimprovisieren macht, weiß ich nicht. Vor allem bei dieser Geschwindigkeit...

Um Hamlet zu zitieren: "The rest is silence".

Ich habe zwar noch nie einen Tsunami erlebt, aber wenn der Sturm (und das nehme ich an) ähnlich ungestüm, wild und furios ist wie die Jarrett-Nummer gleichen Namens, dann möchte ich das auch nicht...

Ein wundervolles Album. Jazz lebt wirklich noch.

19 von 20 Punkte

Daniel Syrovy

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