An Prog-Live-CDs gehe ich erst einmal mit gaaanz spitzen Finger ran.
Entweder sind sie von hochkonzentrierten Musikfachkräften so perfekt
eingespielt, dass man sich fragt, wozu die eh als Studio-Versionen
bekannten Stücke noch einmal live auf den Markt gebracht wurden. Oder man
hat Schwierigkeiten in dem aus den Boxen schallenden Sound-Chaos überhaupt
zu erkennen, welches Stück im Moment gerade läuft. Bei "Live on the Edge
of Forever" verwandelten sich besagte spitze Finger ziemlich schnell in
Luftgitarre zupfende durcheinanderwirbelnde insektenähnliche Lebewesen.
Der Sound ist klar, sauber und differenziert. Sämtliche Instrumente kommen
gut raus und sind leicht mithören. Die Atmosphäre ist wirklich livehaftig,
kein Bootleg-Charakter, aber alles klingt fast etwas altertümlich - erinnert
mich gelegentlich an das UK-Live-Album von 1979. Auch sonst erlebten die
70er fröhliche Urstände. Denn vor allem Gitarrist Michael Romeo und
Keyboarder Michael Pinella spielten nicht einfach ihre unzähligen Noten
runter. Sie erreichen zwar nicht das Niveau der legendären Duelle zwischen
Jon Lord und Ritchie Blackmore, aber endlich gehen Musiker auf der
Bühne wieder einmal aufeinander ein und spielen mit so großer Freude und so
viel Spaß, dass man das auch hören kann.
Enttäuschung dürfte die Live-CD vor allem bei den Fans der ersten beiden
Symphony X-Scheiben auslösen. Die werden nämlich komplett übergangen. CD 1
enthält die kompletten ersten neun Songs vom letzten Longplayer "The
new Mythology Suite". CD 2 präsentiert jeweils drei Songs der Vorgängeralben
"Twilight in Olympus" und "The divine Wings of Tragedy".
"It feels good to feel all the energy from all the people here," lässt sich
Russell Allen auf CD 2 vernehmen. "It makes the music very spezial." Dem
ist nichts mehr hinzuzufügen. Vor allem dann nicht wenn direkt danach das
gemeinsame(!!) Durchstarten von Band und Publikum in den Titel "Of Sins
and Shadows" mitverfolgt. Eine Sternstunde.
Norbert von Fransecky
17 von 20 Punkte
listen.to/teof