Gallardo-Domâs, Borodina, La Scola, Wiener Philharmoniker, N. Harnoncourt
Einspielungen von Verdis Dauerbrenner "Aida" gibt es wie Sand am Meer.
Dennoch ist es Harnoncourt mit seinem Beitrag zum Verdi-Jahr gelungen, neue
Perspektiven auf das Stück zu eröffnen, die es tatsächlich aus der Ecke
des pompösen Theaterspektakels herausholen und zurückführen auf das
eigentliche Seelendrama - eines der bewegendsten und dramaturgisch
wegweisendsten der Operngeschichte.
Die Story in aller Kürze: Die äthiopische Sklavin Aida und der ägyptische
Offizier Radames lieben einander. Als Radames die Truppen Äthiopiens unter
Führung von Aidas Vater Amonasro schlägt, soll ihm jedoch als Lohn die
Tochter des Königs, Amneris, vermählt werden. Aida ist hin- und hergerissen
zwischen Liebe zum Vaterland und ihrer Liebe zu Radames. Dieser plaudert in
einem von ihrem Vater belauschten Gespräch mit Aida die Kriegspläne
Ägyptens aus, weigert sich aber, mit beiden zu fliehen, als er seinen
versehentlichen Verrat bemerkt. Dem wegen Hochverrats Angeklagten bietet
Amneris an, seine Freilassung zu bewirken, wenn er sich ihr zuwendet.
Radames lehnt ab und wird zum Tode verurteilt. Zu dem lebendig unter dem
Tempel des Vulkan Begrabenen dringt die zurückgekehrte Aida vor, um mit ihm
gemeinsam zu sterben. Amneris bleibt weinend zurück.
Schon in der Ouvertüre legt Harnoncourt sein Konzept offen: Er denkt die
Oper ganz vom Piano, von der verzweifelten Todessehnsucht her, nicht vom
Forte des Triumphmarsches oder der Massenszenen. Die dynamische Bandbreite
wird voll ausgeschöpft, um die musikalischen Akzente und Konturen zu
schärfen. Das gelingt weitgehend überzeugend. Dadurch fällt es leichter,
als bei den üblichen Darbietungen der "Aida" als farbenprächtiges
Massenspektakel, in die Gefühlswelt und die sehr verschiedenartigen
Stimmungen einzutauchen.
Dazu trägt bei, daß Harnoncourt nicht allenthalben auf Wohlklang bedacht
ist. Die auf seine Veranlassung extra nachgebauten, sogenannten "ägyptischen"
Trompeten etwa bewirken einen scharfen, metallischen Fanfarenklang, durch
den das martialisch-militärische in den Vordergrund rückt. Auch der massive
Einsatz der Pauken begünstigt diesen Eindruck an den entsprechenden Stellen.
Und wenn das Volk mit "Guerra!Guerra!"-Rufen nach Krieg verlangt, ist das
kein gefälliger Chorgesang, sondern das rauschhafte Schreien einer
fanatisierten Masse, welches
einem kalte Schauer über den Rücken treibt.
Nur ganz vereinzelt drängt der satte Orchestersound den Chor ein wenig in
den Hintergrund, ansonsten genügt das räumliche, ausgewogene Klangbild
höchsten Ansprüchen. Hierdurch und durch den musikalischen Grundansatz des
Dirigenten werden auf einmal Klangfarben und Instrumentierungen wunderbar
deutlich, die sonst leicht untergehen oder verwischt werden.
Den Hörgewohnheiten zuwider das Material gegen den Strich zu bügeln, geht
allerdings nicht immer auf. Harnoncourt fällt es schwer, das nicht
bedeutungsschwangere auch so zu nehmen. Manche Musik, etwa in den
Tanzszenen, ist eben nichts anderes als ein Zugeständnis ans
folklorehungrige Publikum. Das
Bemühen, hier hintergründig zu wirken, geht deshalb zwangsläufig ins Leere.
Was die Solisten betrifft, steht es 7:1. Schade nur, dass ein Ausfall den
Gesamteindruck nachhaltig trübt. Es ist Vincenzo La Scola als Radames. Er
macht es wirklich nicht leicht, zu glauben, dass gleich zwei Frauen ihn
glühend verehren. Wegen seiner Stimme kann es in diesem Fall jedenfalls
nicht sein. Noch vor wenigen Jahren an der Mailänder Scala gefeiert, macht
La Scola jetzt einen desolaten Eindruck. Schon seine Auftrittsarie
"Celeste Aida" lässt für den Rest des Werkes schlimmes erahnen - zu Recht.
Ein "typisch italienischer" Tenor im schlechtesten Sinne. Das übermäßige
Vibrato seiner Stimme wirkt nicht bewegend,
sondern sülzig, ganz in der Manier des Tiefkühlpizza-Sound-Königs Bocelli.
Er geht nach dem Konzept vor, dass jede Gefühlsaufwallung, welcher Art auch
immer, unbarmherzig durch Lautstärke ausgedrückt wird. Differenziertheit
und Gestaltung der Rolle - Fehlanzeige. Es bewahrheitet sich die Weisheit
des Volksmundes "Wer schreit, hat immer Unrecht". Vor allem in den Höhen
wird dies außerdem unangenehm und läuft insgesamt dem Bemühen zuwider, die
Figuren menschlich statt opernhaft zu zeichnen.
Der Rest des Ensembles überzeugt hingegen. Besonderes Lob gebührt Olga
Borodina. Trotz des reizvoll dunklen Timbres ihrer Stimme, verkörpert sie
die Amneris nicht als schlicht böse, sondern als tragische
Figur, die in ihrer unerfüllten Liebe bis zum Äußersten geht. Die Borodina
gefällt, indem sie Zorn, Verzweiflung, Enttäuschung so hinreißend perfekt
transportiert, dass sich ein Blick in das Textheft erübrigt - bei ihr weiß
man auch so, woran man ist.
Als Höhepunkt der Aufnahme darf ihre Konfrontation mit Aida im zweiten Akt
gelten. Denn auch Cristina Gallardo-Domâs agiert als solche in ihrer
Paraderolle. Sie präsentiert eine Aida mit mädchenhaftem Ton, die ihre
Schwachheit nur in kurzen Momenten des Aufbäumens überwindet, ansonsten
aber schon von Beginn an von Todessehnen und Todesahnung gezeichnet ist.
Auch hier gibt es nicht nur "Schöngesang", sondern ein farbige
Charakterstudie, die
schlüssig die Zerrissenheit des Charakters, die Ohnmacht gegenüber den
äußeren Mächten darstellt. Unmöglich, nicht ergriffen zu sein, wenn die
Chilenin die Hoffnungslosigkeit ihrer Liebe besingt. Scheinbar mühelos
zieht sie den Hörer in jede Nuance der Stimmungen hinein.
Eine Idealbesetzung sicher auch Matti Salminen als stets bedrohlich
klingender Oberpriester Ramfis. László Polgár gibt einen ausreichend
staatsmännisch wirkenden König, manchmal vielleicht etwas zu polternd.
Nun ja, und wenn selbst die kleineren Rollen mit anerkannten Größen wie
Thomas Hampson (ein wirklich fantastischer Amonasro!!) und Dorothea
Röschmann überzeugend besetzt werden, erhebt sich um so dringender die
Frage,
warum es für die männliche Hauptrolle ausgerechnet eine solche, bestenfalls
durchschnittlich zu nennende Stimme sein mußte.
Alles in allem also keine Einspielung für jene, die sich bei Verdi in glatt
gebügelter Melodienseeligkeit ergehen möchten, sehr wohl aber eine für
solche Hörer, die die Oper miterleben, mitdurchleiden wollen, die bereit
sind, sich ganz in die Geschichte hineinnehmen zu lassen.
Noch ein Kritikpunkt bedarf der Erwähnung: Die herkömmliche CD-Verpackung
tut es nicht mehr, originell muss es sein. Teldec verfiel auf die Idee, die
drei CDs in ein kleines, hieroglyphenverziertes Buch zu verpacken, das
(reichhaltige) Infos und Libretto mitliefert. Die Scheiben befinden sich in
Papptaschen im Inneren des Buchrückens, die so schmal konstruiert sind,
dass es unmöglich erscheint, die CDs (wenn überhaupt) ohne Beschädigungen
zu entnehmen. Ärgerlich und mühevoll! Kein Mensch kauft eine CD nur wegen
einer solchen Verpackung, aber womöglich lassen einige Interessenten sie
deshalb liegen. Darüber sollten die Werbestrategen einmal nachdenken. Und
jenem, der diese Konstruktion erdacht hat, wünsche ich juckenden
Hautausschlag auf dem Rücken und Arme, zu kurz, um sich zu kratzen!!
Repertoire: 4 Punkte
Klang: 5 Punkte
Interpretation: 4 Punkte
Edition: 4 Punkte
Gesamt: 17 von 20 Punkte
Sven Kerkhoff