Schon immer war das Label "Naxos" nicht nur für preisgünstige, sondern
auch für Einspielungen abseits des bekannten Repertoires bekannt. Dieses
Attribut trifft jedenfalls auf den zweiten Teil der vorliegenden CD zu,
der eigentlich auch gar kein "echter" Händel ist. Doch dazu später mehr.
Den Schwerpunkt der Aufnahme bildet hingegen die
bekanntere, rund 45 Minuten lange Kantate "Apollo e Dafne". Sie stammt
aus Händels Zeit in Italien und entstand 1709/10. Der Komponist hatte da bereits den Großteil seiner Lehrjahre
hinter sich, an deren Ende er den italienischen Stil meisterhaft
beherrschen sollte. Es schimmert hier überdies schon ein erstaunliches
dramatisches Geschick durch, obwohl die Handlung dafür nicht unbedingt
Anlass bietet. Sie trägt dem Zeitgeschmack durch die Wahl eines
pastoralen, mythologischen Sujets Rechnung: Gott Apollo glaubt sich nach
seinen jüngsten Erfolgen unbesiegbar, erliegt aber alsbald dem Charme
der schönen Nymphe Dafne. Diese jedoch lässt sein engagiertes Werben kalt,
sie zieht ihren Frieden (und ihre Ehre) der Zweisamkeit vor und entzieht
sich dem Drängen Apollos schließlich dadurch, dass sie sich in einen
Lorbeerbaum verwandelt.
Kaum weiß man, wem unser Mitleid eher gelten soll: Apollo, der verspricht,
diesen Baum mit den Tränen seiner Trauer zu begießen und mit seinen Zweigen
sowohl das eigne,
wie auch fremde Häupter zu schmücken (sich aber zweifellos bald neuen
Liebesabenteuern zuwenden dürfte) oder jener Nymphe, die es als derart
frigides botanisches Objekt (Keine falschen Schlüsse ziehen, wie erinnern uns an die Blüten und Bienchen... Anm.d.Red.)
schwer haben dürfte, nochmal eine solch überschwengliche Zuneigung zu erfahren.
Das Hin und Her erstreckt sich über 8 Arien, 2 Duette und die zugehörigen
Rezitative. Ein großes Lob verdient zunächst das Orchester. Besonders die
Bläser (2 Oboen, Flöte und Fagott) bestechen durch Intonationssicherheit
und einen angenehmen, warmen Ton. Aber auch ansonsten hat der als Leiter
der Hannover Band in der historischen Aufführungspraxis erfahrene Roy
Goodman sein Ensemble ausgezeichnet im Griff und der stete Wechsel von
lyrischer und dramatischer Stimmung gelingt ohne weiteres.
Als Entdeckung darf die ukrainische Sopranistin Olga Pasichnyk gelten.
Strahlend und glockenrein bis in die Höhen, überzeugend auch in den
(sparsam eingesetzten) Verzierungen - kein Wunder, wenn Apollo sich da
Hals über Kopf verliebt! Dabei nimmt man ihr
zugleich ohne weiteres die in der Rolle verkörperte Unnahbarkeit ab.
Der weiteren Entwicklung dieser vielversprechenden Künstlerin kann man
wirklich nur gespannt entgegensehen.
Ihr Gegenpart Robert Pomakov (Bass) ist hingegen erstaunlicherweise
gerade wegen seiner hörbaren Defizite eine gelungene Besetzung. Die
hohen Töne und Koloraturen sind seine Sache nicht, wohl aber ein gewisses
polterndes Pathos. Das verfehlt seine Wirkung nicht, fügt es sich doch
ausgezeichnet in das Bild der Unbeholfenheit des vermeintlich unbesiegbaren
Gottes, der den Irrungen der Liebe im wahrsten Wortsinne impotent, also
machtlos, gegenüber steht. Das ist nicht durchgehend schön anzuhören,
andererseits auch nicht
unangenehm. Leider dürfte ihm allerdings nicht jede Rolle so gnädig
entgegenkommen.
Da Naxos uns eine nur halbgefüllte CD wohl nicht zumuten wollte, gibt
es als Zugabe die Suite "The Alchemist", ein Beispiel früher
Produktpiraterie. Ein unbekannter Arrangeur bediente sich hier
hemmungslos jener Instrumentalsätze, die Händel für seine Oper "Rodrigo"
in Italien erdacht hatte, um sie ungefragt zur Auflockerung einer
Schauspielaufführung in London zu verwenden. Nur eines der Stücke stammt
nicht von Händel selbst. Immerhin bekam England auf diese Weise erstmals
eine musikalische Kostprobe vom Können jenes Komponisten, dem es später
so große Erfolge bescherte - wenn auch noch ohne eine Ahnung
vom Namen des wirklichen Urhebers.
Das European Union Baroque Orchestra musiziert dabei durchweg ordentlich,
wenn auch scheinbar etwas uninspiriert. Goodman tritt zumeist das
Gaspedal durch, doch hätte es die Sache vergnüglicher gemacht, wenn
das Augenmerk statt dessen auf die Schärfung der Kontraste gerichtet worden
wäre. So rauscht einfach alles irgendwie vorbei, ohne wirklich Eindruck
zu hinterlassen. Nun ja, dass Dreingaben und kleine Geschenke nicht immer sonderlich
werthaltig sind, weiß der aufgeklärte Verbraucher nach dem Fall des
Rabattgesetzes ja zur Genüge.
Insgesamt also eine CD, die ihren Naxos-Standardpreis von rund 10 DM ohne
weiteres wert, aber sicher kein Muss für die
Sammlung ist.
Repertoire: 3 Punkte
Klang: 4 Punkte
Interpretation: 4 Punkte
Edition: 3 Punkte
Gesamt: 14 Punkte
Sven Kerkhoff