Vokal- und Instrumentalensemble Les Arts Florissants - William
Christie
Wer kennt es nicht, das akustische Logo vor einer Eurovisionssendung?
Ta-Taa-Ta-Tadam-Ta-Taa-Ta ... oder so ähnlich. Vor jeder Wetten-Daß-Show
dürfen die Syntheziser-Fanfaren dem Fernsehalltag festlichen Glanz
verleihen. Wer aber kennt auch den Komponisten dieser wenigen Takte?
Marc-Antoine Charpentier gehörte zu jenen Musikern im Frankreich
Ludwig XIV., denen trotz Begabung und adeliger Gönner eine große Karriere
versagt blieb. Seinem absolustistischen Landesherren nacheifernd,
dominierte Jean-Baptiste Lully die Hofmusik, wo er insbesondere das
Privileg auf Opernaufführungen hielt. Dennoch bekleidete Charpentier einige
nicht ganz unbedeutende Posten; in den 1680er Jahren war er u.a. Maître de
Musique bei den Jesuiten. Wahrscheinlich komponierte er die berühmten
Trompetenklänge für eine Aufführung in ihrer Pariser Hauptkirche St.
Paul/St. Louis, und zwar als Eröffnung zu einem Te Deum. Unter den Werken
dieses lange Zeit vergessenen Komponisten wurde dieses Stück geistliche
Musik zu seinem ersten modernen "Hit".
Der Amerikaner William Christie, der sich mit seinem Ensemble Les Arts
Florissants seit Ende 70er Jahren mit großem Erfolg der Wiederentdeckung
französischer Barockmusik widmet, hat das Werk 1988 berauschend
eingespielt. Charpentier gehört zu jenen Komponisten, die in den Programmen
des Ensembles von Anfang an einen festen Platz hatten. Gerade erschien als
jüngste Aufnahme sein Weihnachtsoratorium zusammen mit einer Weihnachtsmesse.
Wie Weihnachtsmusik zu klingen hat, dafür hat Johann Sebastian Bach die
Standards gesetzt: "Jauchzet, frohlocket", mit Pauken und Trompeten. Vom
Schöpfer des Te Deums könnte man vielleicht Ähnliches erwarten; Charpentier
geht hier aber ganz andere, dabei unverwechselbar französische Wege. Sein
kaum dreißig Minuten langes Werk beginnt mit einem verhalten-expressiven
Präludium, das nicht Festtagsfreude, sondern die Erlösungssehnsucht der
Menschen zum Ausdruck bringt. Diesen kontemplativen Grundton atmen auch
jene Abschnitte des Werkes, in denen sich die Weihnachtsfreude ungestümer
äußern darf. Von den betrachtenden Eingangs- und Schlußteilen abgesehen
beschränkt sich die "Handlung" auf die Erscheinung des Engels, das Staunen
der Hirten und ihre Wanderung zur Krippe. Zu den schönsten Stücken gehört
ein "Nuit" - Nacht überschriebener Instrumentalsatz, der an die
Schlummerszenen aus französischen Barockopern erinnert, dabei aber von
einer ganz eigenen, höchst suggestiven Kraft ist.
Bei der Messe hat Charpentier verschiedentlich auf alte französische
Weihnachtslieder zurückgegriffen, die zwischen den einzelnen Abschnitten in
der Instrumentalversion erklingen. Das verleiht dem Werk einen anheimelnd
archaischen Charakter. Auch hier überwiegt ein eher ruhiger, sozusagen
liturgischer Grundton.
In beiden Stücken besetzt Christie die kurzen Solopartien mit Stimmen aus
dem Chor - eine insgesamt adäquate Lösung. Wenn die eine oder andere
Stimme dann doch etwas spröde wirkt, mag dies auch mit der Aufnahmetechnik
und der trockenen Akustik zusammenhängen. Chor, Solisten und Orchester
klingen zwar wie von anderen Aufnahmen gewohnt transparent und beweglich,
aber auch angestrengter und weniger schlackenlos als sonst; für meinen
Geschmack fehlt es dem Klangbild an Wärme und Weiträumigkeit, was auf
Kosten der Atmosphäre und Intensität geht. Weil die Musik auf große Gesten
und Effekte verzichtet und konzentriertes Hinhören verlangt, kommt es aber
genau darauf besonders an. Abgesehen davon ist Christie seinem bewährten
interpretatorischen Ansatz treu geblieben: Er vermeidet überzogene Dynamik
und Tempi, bietet dafür klassisches Maß, federnde Rhythmen und delikat
durchgestaltete Gesangslinien.
Fazit: eine musikalisch durchaus lohnenswerte Alternative zum allzu
gefälligen Weihnachtsgeklingel, ansprechend umgesetzt, klanglich leider
nicht optimal aufbereitet.
Repertoire: 4 Punkte
Interpretation: 4 Punkte
Klang: 3 Punkte
Präsentation: 5 Punkte
Insgesamt: 16 von 20 Punkte
Georg Henkel