Musik an sich


 
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Marc-Antoine Charpentier: In Nativitatem Domini Canticum H416 (Weihnachtsoratorium)
(Warner/Erato)
Barock vokal

 

Vokal- und Instrumentalensemble Les Arts Florissants - William Christie

Wer kennt es nicht, das akustische Logo vor einer Eurovisionssendung? Ta-Taa-Ta-Tadam-Ta-Taa-Ta ... oder so ähnlich. Vor jeder Wetten-Daß-Show dürfen die Syntheziser-Fanfaren dem Fernsehalltag festlichen Glanz verleihen. Wer aber kennt auch den Komponisten dieser wenigen Takte?

Marc-Antoine Charpentier gehörte zu jenen Musikern im Frankreich Ludwig XIV., denen trotz Begabung und adeliger Gönner eine große Karriere versagt blieb. Seinem absolustistischen Landesherren nacheifernd, dominierte Jean-Baptiste Lully die Hofmusik, wo er insbesondere das Privileg auf Opernaufführungen hielt. Dennoch bekleidete Charpentier einige nicht ganz unbedeutende Posten; in den 1680er Jahren war er u.a. Maître de Musique bei den Jesuiten. Wahrscheinlich komponierte er die berühmten Trompetenklänge für eine Aufführung in ihrer Pariser Hauptkirche St. Paul/St. Louis, und zwar als Eröffnung zu einem Te Deum. Unter den Werken dieses lange Zeit vergessenen Komponisten wurde dieses Stück geistliche Musik zu seinem ersten modernen "Hit".

Der Amerikaner William Christie, der sich mit seinem Ensemble Les Arts Florissants seit Ende 70er Jahren mit großem Erfolg der Wiederentdeckung französischer Barockmusik widmet, hat das Werk 1988 berauschend eingespielt. Charpentier gehört zu jenen Komponisten, die in den Programmen des Ensembles von Anfang an einen festen Platz hatten. Gerade erschien als jüngste Aufnahme sein Weihnachtsoratorium zusammen mit einer Weihnachtsmesse.

Wie Weihnachtsmusik zu klingen hat, dafür hat Johann Sebastian Bach die Standards gesetzt: "Jauchzet, frohlocket", mit Pauken und Trompeten. Vom Schöpfer des Te Deums könnte man vielleicht Ähnliches erwarten; Charpentier geht hier aber ganz andere, dabei unverwechselbar französische Wege. Sein kaum dreißig Minuten langes Werk beginnt mit einem verhalten-expressiven Präludium, das nicht Festtagsfreude, sondern die Erlösungssehnsucht der Menschen zum Ausdruck bringt. Diesen kontemplativen Grundton atmen auch jene Abschnitte des Werkes, in denen sich die Weihnachtsfreude ungestümer äußern darf. Von den betrachtenden Eingangs- und Schlußteilen abgesehen beschränkt sich die "Handlung" auf die Erscheinung des Engels, das Staunen der Hirten und ihre Wanderung zur Krippe. Zu den schönsten Stücken gehört ein "Nuit" - Nacht überschriebener Instrumentalsatz, der an die Schlummerszenen aus französischen Barockopern erinnert, dabei aber von einer ganz eigenen, höchst suggestiven Kraft ist.

Bei der Messe hat Charpentier verschiedentlich auf alte französische Weihnachtslieder zurückgegriffen, die zwischen den einzelnen Abschnitten in der Instrumentalversion erklingen. Das verleiht dem Werk einen anheimelnd archaischen Charakter. Auch hier überwiegt ein eher ruhiger, sozusagen liturgischer Grundton.

In beiden Stücken besetzt Christie die kurzen Solopartien mit Stimmen aus dem Chor - eine insgesamt adäquate Lösung. Wenn die eine oder andere Stimme dann doch etwas spröde wirkt, mag dies auch mit der Aufnahmetechnik und der trockenen Akustik zusammenhängen. Chor, Solisten und Orchester klingen zwar wie von anderen Aufnahmen gewohnt transparent und beweglich, aber auch angestrengter und weniger schlackenlos als sonst; für meinen Geschmack fehlt es dem Klangbild an Wärme und Weiträumigkeit, was auf Kosten der Atmosphäre und Intensität geht. Weil die Musik auf große Gesten und Effekte verzichtet und konzentriertes Hinhören verlangt, kommt es aber genau darauf besonders an. Abgesehen davon ist Christie seinem bewährten interpretatorischen Ansatz treu geblieben: Er vermeidet überzogene Dynamik und Tempi, bietet dafür klassisches Maß, federnde Rhythmen und delikat durchgestaltete Gesangslinien.

Fazit: eine musikalisch durchaus lohnenswerte Alternative zum allzu gefälligen Weihnachtsgeklingel, ansprechend umgesetzt, klanglich leider nicht optimal aufbereitet.

Repertoire: 4 Punkte
Interpretation: 4 Punkte
Klang: 3 Punkte
Präsentation: 5 Punkte

Insgesamt: 16 von 20 Punkte

Georg Henkel
 

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