Kann man den Moment beschreiben, wenn sich nach einer verwirrten, unruhigen
Einleitung und einer quasi Reprise der Themen der vorhergegangenen Sätze,
verbunden nur durch das "Rezitativ" der Celli und Kontrabässe, erstmals das
klassische Thema meldet, in den Klarinetten, den Fagotten und den Oboen,
sogleich wieder vertrieben wird aber von nun an nicht mehr zu vergessen
ist?
Da ist es wieder: in den Solo-Celli und Kontrabässen, piano zunächst, mit
kurzen Crescendi, als wollte die Melodie ausbrechen - dann kommen die
Bratschen dazu - das Ganze kontrapunktiert von den Fagotten - als wolle der
Komponist das Thema noch immer nicht auslassen - einmal setzen sich die
Streicher durch, ein anderes Mal die Fagotte - darauf ist das Thema
prominent aber dennoch zaghaft in den Violinen zu hören, dahinter noch
immer die dagegen ankämpfenden Melodien... Doch dann endlich: Im forte spielt das ganze Orchester "Freude schöner Götterfunken".
Die Rede ist natürlich vom vierten Satz von Beethovens Neunter.
Aber das tut nichts zur Sache. Der Punkt ist folgender: Die Momente, die
einem noch wenn man sie zum hundertsten Mal hört, eine Gänsehaut bereiten,
sind auf dem Papier, in Worten, nichts.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob
es sich um das oben beschriebene "Szenario" von Beethoven handelt, ein
wunderbares Solo von Coltrane, wie das auf "So What", (ironischerweise
nutzt gerade dieses Lied in Ansätzen denselben Effekt wie Beethoven bei
seiner Neunten), wenn er nach dem Riff und Miles' wunderbarer Melodie
seinen Sound über alles legt und man spürt wie das Stück eine neue, eine
unnahbare Komponente bekommt, oder um irgendeinen Song von "Darkness On
The Edge Of Town", etwa "Something In The Night", wenn nach Springsteens
gequältem Intro, der Melodie, die mehr Stöhnen als Gesang ist, das
Schlagzeug, das vorher noch unruhig im Untergrund rumort, freibricht und
seinen Beat über das Stück legt und so Springsteen aus seiner Qual befreit
und ihn die Geschichte erzählen lässt, die es ihn
zu erzählen drängt - es ist unwichtig, die großen Momente kennen keine
stilistischen Grenzen und sind in der Musik viel direkter zu vermitteln
als in der Literatur oder der bildenden Kunst.
Aber wie soll man angemessen über Musik schreiben? Ich kenne keine Antwort,
ich kann es nur immer und immer wieder versuchen, und manchmal, in seltenen
Momenten, habe ich Erfolg, erfülle ich mein Ziel.
Ich denke, dass meine Aufgabe darin bestehen muss, den Lesern Musik
nahezulegen und sie soweit zu bringen, sich die Musik selbst anzuhören, ob
ich sie für gut oder für schlecht halte. Aufmerksam machen ist das
Wichtigste, das, was wert ist, gehört zu werden, herauszugreifen und es
vorzustellen, zu sagen, wo
man es einordnen kann und vielleicht jemandem neue Perspektiven
aufzuweisen.
So sehe ich auch meine Hauptarbeit nicht in Rezensionen als simple
Bewertungen sondern als Auseinandersetzungen mit Musik und auch in Texten,
in denen ich Platten, Künstler oder Songs vorstellen kann, die mir
gefallen, die mich beeinflußt, beeindruckt und die meinen Horizont erweitert haben,
die mir gezeigt haben, welche Fehler man machen kann, die menschlich sind
und manchmal abgehoben, die Schmerzen, Freude und andere Gefühle bewirken,
die etwas bewirken und die in jedem Fall etwas zu sagen haben.
Lieder und Alben, die wichtig für mich sind und die mich jedenfalls nicht
kalt lassen. Auch wenn das nicht immer möglich sein wird, hoffe ich
dennoch, dass ich das Gros meiner Arbeit mit jener Begeisterung füllen
kann, die Musik bei mir auszulösen vermag.
So verbleibe ich mit dem Wunsch, etwas bewirken zu können, durch meine
Texte über Musik, denn auch wenn ich die Musik nicht darzustellen vermag,
kann ich trotzdem ein Äquivalent suchen, das dem entspricht, was die Musik
für mich ist. Gefühl und ein lebenslanger Begleiter.
Daniel Syrovy