Lully, J.-B. (Rousset, Chr.)
Thésée
|
|
Info |
Musikrichtung:
Barock / Oper
VÖ: 13.10.2023
(Aparté / Harmonia Mundi / 3 CD / DDD / 2022 /AP325)
Gesamtspielzeit: 161:00
|
|
|
ATTRAKTIVER MYTHENMIX
Mit Christophe Rousset und Les Talens Lyrique nimmt seit einigen Jahren eine Art Gesamteinspielung der Opern Jean-Baptiste Lullys aus einer Hand Gestalt an. Nun haben sich die Musiker:innen Lullys dritte lyrische Tragödie „Thésée“ vorgenommen, eine der nachhaltigsten Erfolge des Komponisten, die, wenngleich zunehmend überarbeitet, bis 1779 auf den Spielplänen in und auch außerhalb Frankreichs stand.
Das ist leicht nachvollziehbar: Das Libretto Philippe Quinaults verquickt geschickt Figuren und Plotbestandteile aus der antiken Mythologie zu einem Stoff, der voller Schlachtengetümmel, Idylle und Zauberspuk steckt. Trompeten- und paukengepanzert gibt sich beispielsweise der kriegerische erste Akt, voller Magie und Beschwörungen der dritte, im vierten gibt es ein festliches pastorales Divertissement. Vorangestellt wurde wie immer ein Prolog, der die Handlung einordnet und vor allem das Lob des Sonnenköngis singt (der die überaus kostspielige Produktion finanzierte und, zu Recht, auf den propagandistischen Erfolg des Spektakels setzte).
Dazwischen dreht sich ein Karussell der Leidenschaften und Intrigen, wie es das Publikum schätzte: König Ægée liebt sein Mündel, die Prinzessin Æglé, die wiederum ein Augen auf den Helden Thesée (ein alter ego Ludwig XIV. ...) geworfen hat, der seinerseits von der Zauberin Medée begehrt wird. Die entbrennt in wilder Eifersucht, da Thesée Æglé durchaus zugeneigt ist. Zugleich zieht der edle Recke ob seiner Beliebtheit beim Volk den Argwohn Ægées auf sich. Natürlich läuft es am Ende, auch Dank himmlischer Unterstützung, auf ein Happy End hinaus. Bis dahin öffnen sich freilich Höllenpforten, es materialisieren sich fliegende und kriechende Ungeheuer, Gifttränke werden gereicht, Zauberpaläste gehen in Flammen auf … Lully hat dies alles ebenso spektakulär wie ökonomisch mit Musik ausgestattet.
Unter Roussets souveräner Leitung bleibt das Ensemble sich treu: Klar konturiert, manchmal wie mit dem Silberstift nachgezogen nimmt Lullys dramatisch-szenische Konstruktion Gestalt an. Die Besetzungsstärke orientiert sich nicht am seinerzeitigen Pomp, sondern den der Ökonomie der Gegenwart. Tontechnisch umsichtig betreut ist das eher kammermusikalische Format aber durchaus ausreichend, erlaubt zumal sehr präzises, refelexschnelles Spiel. Selbst das einzelne Fagott klingt nach mehr.
Wie immer disponiert der Cembalist Rousset von seinem Instrument aus straff, mit Gespür für die Gewichtung der einzelnen Elemente, die sich zu theatralisch wirkungsvollen größeren Komplexen aus Airs, Tänzen und Chören zusammenfügen.
Der Großteil des Werkes freilich besteht aus Rezitativen. Die aber werden differenziert ausdrucksvoll mit delikat-gestischer Continuobegleitung dargeboten, so dass man selbst dann, wenn man des Französischen nicht mächtig ist, doch stets zu verstehen meint, worum es geht.
Gleichwohl: In diesem frühen Beispiel ist die französische barocke Oper gewissermaßen noch in deklamatorischer Reinform zu erleben, erst in den späteren Werken Lullys gewinnt das Orchester über die Aktschlüsse hinaus mehr und mehr Spielräume, wenn es zunehmend auch den Fortgang der Handlung untermalt.
Im Vergleich mit der Aufnahme des Boston Early Music Festival unter Stephen Stubbs und Paul O’Dette CPO, 2007), die die Rezitative lyrischer auffasst, süffiger klingt und sich - in den Divertissements - auch verspielter gibt, liegen die Stärken der neuen Produktion in der spannungsvollen Gestaltung der Rezitative. Dafür muss man gegebenenfalls mehr höfische Contenance in den Divertissements in Kauf nehmen (die Szenen um die verzauberte Insel im 4. Akt beispielsweise kann man sich auch ausgelassener vorstellen).
Stimmlich hat Roussets Produktion Eindrückliches zu bieten. Mit dem energisch-vitalen Mathias Vidal als Thesée und der leidenschaftlichen, aber stets hoheitsvollen Medée von Karine Deshayes sind die beiden wichtigsten Figuren stark besetzt. Philippe Estèphes Ægée wahrt auch dann noch königliche Noblesse, wenn er sich zu einem Giftanschlag gegen den Helden überreden lässt. Die berührende Æglé von Deborah Cachet liefert sich mit der Medée von Deshayes passionierte verbale Schlagabtausche und vereinigt sich mit Vidals Thésée in innigen Duetten. Unter anderem Marie Lys, Bénédicte Tauran, Thaïs Raï-Westphal, Robert Getchell und Guilhem Worms schenken jeweils gleich mehreren Nebenfiguren ihren jugendlich-frischen Stimmen.
Schließlich glänzt der Choeur de chambre de Namur wie gewohnt in den rhythmisch schlagkräftigen Chören, verkörpert zum Beispiel überzeugend klagende Heroen, durchtriebene Dämonen oder jubelnde Volksmassen.
Die Selbstverständlichkeit, mit der alle Ausführenden diesen durchaus attraktiven französischen Mythenmix über alle historischen propagandistischen Verzweckungen hinaus verlebendigen, trägt viel dazu bei, diese Oper den heutigen Zuhörenden nahe zu bringen. Dennoch sei zum Einstieg in Lullys Bühnenwerke eher eine der späteren Musiktragödien empfohlen.
Georg Henkel
Trackliste |
CD 1: Prolog & 1. Akt 61:00
CD 2: Akt 2 & Akt 3 47:00
CD 3: Akt 4 & Akt 5 53:00 |
|
|
|
|
Besetzung |
Mathias Vidal, Karine Deshayes, Deborah Cachet, Marie Lys, Bénédicte Tauran, Thaïs Raï-Westphal, Robert Getchell, Philippe Estèphe, Guilhem Worms u.a.
Choeur de Chambre de Namur
Les Talens Lyriques
Christophe Rousset, Leitung & Cembalo
|
|
|
|