Ensemble Kuhle Wampe
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"Kuhle Wampe"? Geneigten Hörer*innen wird sicher sofort das gleichnamige bekannte Filmwerk von Slatan Dudow und Bertolt Brecht aus 1932 einfallen. Brecht als Schöpfer epischen Theaters unterbrach und ergänzte die Handlung seinerzeit durch kommentierende Songs. Ob und inwieweit dieses nun einen Einfluss oder Bezug zur Veröffentlichung der aktuellen Platte der Band Ensemble Kuhle Wampe gehabt hat oder haben soll, sei dahingestellt. Zumindest fällt von Beginn an auf, dass hier etwas Umgekehrtes geschieht, denn die Musik wird hier unterbrochen oder/und ergänzt durch die kommentierende Stimme von Christian Reiner, einem Schauspieler und Sprachkünstler.
Im Pressetext wird die Musik der Band wie folgt vorgestellt: Hier treffen pointierte Kommentare zum Zeitgeschehen auf üppige Bläsersätze und eine pochende Rhythmusgruppe. Tenor des Ensembles Kuhle Wampe - das sich bewusst auf den gleichnamigen kommunistischen Film “Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt (1932)” mit seiner prononciert avantgardistischen Formensprache (Regie: Brecht/Dudow/Ottwalt) und grandioser kontrapunktischer Filmmusik (Eisler) bezieht - ist die künstlerische Auseinandersetzung mit Politik und Gesellschaft.
So, gut, nun bin ich informiert, worum es geht. Weiter im Text: Hierbei werden dezidiert politische Inhalte musikalisch in Kontext gesetzt, künstlerisch kommentiert, verarbeitet und weitergesponnen: Samples und gesprochene Texte bzw. gesprochene Versatzstücke werden mit maßgeschneiderter kompositorischer Praxis verwoben.
Da tauchen solche Textpassagen auf wie "Fahren Sie lieber Karussell oder Achterbahn", "Damit hab ich nichts zu tun", "Scheißegal, was hier passiert" oder sonstige scheinbar sonderbare Aussagen auf, die nicht unbedingt einer bestimmten Richtung zuzuordnen sind. So wirkt das ein wenig verrückt und erinnert mich ein wenig an skurrile Hörspiele vergangener Tage. Anleitungen zu gymnastischen Übungen werden untermalt von freien Jazz-Klängen und ergeben eine recht verrückte Mischung, die man wirklich mögen muss, denn immer dann, wenn man sich an die jazzige Musik gewöhnt hat, dann wird diese unterbrochen durch die gesprochenen Texte. Es ist schwer zu beschreiben, wird zwischendurch auch mal geschrien oder einfach dahingeplappert und dahingebrabbelt. Aber auch unbegleite Textpassagen wie bei "Kas" mit der Geschichte über ein Kamel und einen Vogel, der das Gehirn des Kamels aufgepickt hat, lassen dann leichter Raum, sich allein darauf zu konzentrieren.
Man muss schon hartgesotten sein, um die auf zwei CDs verbreitete Musik wirklich zu genießen, denn - wie beschrieben, fordert das erheblich die Sinne. Will ich nun der Musik lauschen oder den Sprachbeiträgen? Neben Jazz, auch wie im Bigband-Sound arrangiert, werden Elemente aus Funk, Reggae und Rock und freiem Jazz integriert und lassen eine große Vielseitigkeit im Gestaltungswillen der Band erkennen. Vergleichend kann ich keine andere Formation nennen, die diese Musik mit ihren Einzelbestandteilen in dieser Verschmelzung präsentiert. Also - einfach fallenlassen, lauschen, den teils auch philosophischen und gehaltvollen Texten, über die lustigen und provokanten Aussagen lächeln, und dann am besten noch einmal durchlaufen lassen, denn musikalisch ist das gut, da schwirren Assoziationen durch den Raum wie zum Beispiel Musik des Willem Breuker Kollektiefs.
Und wer dann noch Lust hat, läßt das Ganze ein drittes Mal laufen, in der Hoffnung, dass sich dann beide Elemente vereint darstellen, jedoch hätte es mir besser zugesagt, Texte, Textpassagen und Musik zu trennen, die Texte vielleicht als Zwischenstücke, oder eben nur durch eher dezente und sanft im Hintergrund agierende Instrumentierung. Besonders, vielleicht besonders verrückt (in positivem Sinne), ist das Gesamtwerk auf jeden Fall und warum sollte man sich nicht einmal etwas Zeit nehmen für eine solche "Auszeit" aus dem Alltag?
Wolfgang Giese
Trackliste |
CD 1:
1 Grenzen (Sebastian Kuraz)
2 Babyelefant im Assessmentcenter
3 Kas
4 T.I.N.A.
5 For Recreational Purposes
6 Arbeitsleid
CD 2:
1 Arbeit (Wenn Sie mehr Arbeit schaffen wollen)
2 Bukkake Sake
3 Stonk (To The People of Tomania)
4 Kuhpitalismus
5 Sur l'eau
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Besetzung |
Christian Reiner (Stimme)
Leonhard Skorupa (Tenorsaxophon, Kompositionen)
Astrid Wiesinger (Alt- und Sopransaxophon)
Martin Eberle (Trompete)
Georg Schrattenholzer (Posaune)
Andi Tausch (Gitarre)
Christian Eberle (Drums - except #1, 7 & 9)
Michael Prowaznik (Drums - #1, 7 & 9)
Florian Widhalm (Sousaphon - #4)
Lukas Aichinger (Percussions - #2 & 3)
Michael Tiefenbacher (Keys, Kompositionen)
Tobias Vedovelli (Bass, Kompositionen)
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