Orangen für die Affen: Karl Hector And The Malcouns mit Afro-Kraut im Kulturbahnhof Jena
Afro-Kraut ist kein neues Nahrungsmittel im Low-Carb-Trend (mit zu vermutender übler Kohlendioxidbilanz) und auch keine „Rauchware“ südländischer Herkunft, sondern der Terminus, mit dem der Gig von Karl Hector And The Malcouns auf der Homepage des Kulturbahnhofs Jena angekündigt wird. Der detaillierte Infotext bringt dann die Erleuchtung: Die Formation um Gitarrist Jan Weissenfeldt aka J.J. Whitefield soll bisher eher afrikanisch ausgeprägte Klänge bevorzugt und ein besonderes Händchen für den Funk besessen haben, mit dem aktuellen Album Non Ex Orbis aber in den Krautrock übergewechselt sein. Da der Rezensent weder das frühe Schaffen noch das aktuelle Album kennt, läßt er das jetzt einfach mal so stehen und konzentriert sich auf das, was in den etwa 100 Minuten in Jena zu hören ist. Von den besagten Minuten entgehen dem Rezensenten die allerersten – als er im Kulturbahnhof eintrifft, ist die Formation aber immer noch damit beschäftigt, den großen Spannungsbogen des Openers durch mancherlei wabernde Klanglandschaft hin zum ersten knackigen Rockpart zu zirkeln. Da ist durchaus noch mancherlei Afrikanisches dabei - schließlich steht da einer der Musiker hinter einem Effektgerät und jagt dort beispielsweise seine Klarinettensounds durch, so dass man an einen Wald voller Vögel denken kann, der noch durch Affen ergänzt wird: Sängerin/Keyboarderin Marja Burchard agiert oft in Vokalisen und legt diese ab und zu auch so an, dass man an letztgenannte Tiergruppe erinnert wird, wobei sie die höheren Tonspektren präferiert, man also nicht etwa an eine Death-Metal-Kante bzw. eine Herde Brüllaffen denken darf. Interessanterweise ist besagte Marja relativ neu dabei, und es darf spekuliert werden, ob bzw. in welchem Maße der beschriebene Stilwechsel auf ihre Kappe geht, denn schließlich ist sie familiär vorgeprägt als Tochter von Christian Burchard, dem Bandkopf der Krautrocker Embryo, bei denen die Tochter mittlerweile auch die Chefposition des Vaters übernommen hat. Bei Karl Hector And The Malcouns ist sie zwar Sängerin, aber so große Rollen spielt der Gesang im Gesamtsound der Formation gar nicht, und so üben ihre Keyboardpassagen eine deutlich stärkere Prägung auf den insgesamt an diesem Abend doch enorm weit im Krautrock lagernden Gesamtklang aus, wobei es sich größtenteils um historische Hammond- und ähnliche Sounds handelt, während der Kollege am Effektgerät all das einstreut, was etwas moderner und/oder spacig klingen soll. Dazu tritt eine traditionell besetzte Rhythmusgruppe, wobei der Basser gelegentlich auch Leadfunktionen übernimmt und der Drummer ab Song 3 im weißen ärmellosen Unterhemd dasitzt und dank mangelnder Haare irgendwie in dieser Optik eher in eine Hardcoreformation passen würde. Filigranes Spiel stellt dennoch kein Fremdwort für ihn dar, im Gegenteil – er changiert mühelos zwischen obskursten Taktarten hin und her, hat andererseits aber auch kein Problem, mal einen Song in einem klassischen Viervierteltakt durchzuziehen, nämlich den an Setposition 3 (Titel sind Schall und Rauch). Links außen auf der Bühne steht im bunten Hemd schließlich der eingangs erwähnte Gitarrist Jan Weissenfeldt, gelegentlich kernig riffend, überwiegend aber auch melodisch über den Dingen schwebend, ohne deshalb wie ein Fremdkörper zu wirken. Damit sind wir bei einer Fünferformation, was den Unkundigen verwirrt, da auf dem Bandfoto nur Marja und drei Jungs abgebildet sind – der Merchandiser klärt den Rezensenten später auf, dass das Foto wohl nicht ganz aktuell, die Besetzung aber grundsätzlich flexibel sei und durchaus auch mal Gigs als Sextett oder Septett, u.a. mit einem zusätzlichen Percussionisten, gespielt würden. Daß es sich um erstklassige Musiker handelt, bedarf keiner näheren Erläuterung, zumal da mancherlei Improvisiertes dabeigewesen sein dürfte – andererseits gibt es ein paar Hardcore-Unisono-Frickelpassagen, die man sich auch bei solchen Könnern kaum ohne vorheriges intensives Studium im Proberaum vorstellen kann. Der Set ist dabei recht interessant aufgebaut: Seine erste Hälfte besteht aus drei urlangen Nummern, wobei vor allem der bisweilen ein klein wenig an Eloys „Atlantis Agony“-Mammutwerk erinnernde Opener die Dimensionen sprengt und summa summarum der langsamste der drei ist, während die beiden Folgesongs das Tempo immer ein Stück höher schrauben. In der zweiten Sethälfte hat das Quintett hingegen einige kürzere Nummern konzentriert, die auch mal schon nach fünf Minuten zum Ziel kommen und in Gestalt eines Songs namens „Orange Man“, der ganz brandneu und auf noch keinem Album der Band, sondern auf einem Kryptox-Sampler namens Kraut Jazz Futurism enthalten und aus diesem als Single ausgekoppelt worden ist, sogar ein gewisses Hitpotential entfalten. Daß selbiges nicht zur allgemeinen Geltung kommen wird, bleibt natürlich klar, und die Formation tut ihrerseits auch wenig dafür, bewußt in diese Richtung zu steuern, zumal sich Refrains zumeist auf Wiederholungen einiger Schlagworte oder Vokalisen beschränken (ja, Marja kann auch pfeifen). Das Mikrofon ist an diesem Abend über weite Strecken auch etwas in den Hintergrund gemischt, so dass man eventuelle verbale Botschaften trotz diverser repetitiver Strukturen sowieso nur peripher mitbekommt und lediglich registriert, dass neben Englisch gelegentlich auch Deutsch zum Einsatz kommt. Ebenfalls eher im klanglichen Hintergrund steht die Klarinette, wenn sie denn mal nicht verzerrt wird, und in einem Song greift Marja sogar zur Posaune, die man aber auch erst dann hört, als die anderen Instrumente weitgehend schweigen. In der Gesamtbetrachtung aber ist der Sound doch ziemlich ausgewogen und verbleibt zudem in angenehmer Lautstärke, ohne dass es ihm aber an den Möglichkeiten zum Energietransport mangelt, wenn diese denn mal gefragt sind. Auch in den schrägsten Taktarten bemüht sich die Band oft um Fluß innerhalb der Komposition, bewußt mit kontrastierenden Elementen spielt sie eher selten, bringt aber natürlich auch dieses Stilmittel zum Einsatz, wenn es sinnvoll erscheint. Funk gibt es übrigens nur in Spurenelementen, was den Verdacht nährt, der Set habe sich ausgiebig im Material des neuen Albums bedient, wozu Besitzer desselben möglicherweise mehr sagen können als der Rezensent. Der freut sich, hier eine weitere für ihn neue und interessante Band kennengelernt zu haben, die er sich zwar nicht jeden Abend anhören könnte, die aber an diesem speziellen Abend nahezu alles richtig gemacht hat, während sich das Auditorium teilt: Viele stehen staunend, die Arme nach oben werfend und/oder das Tanzbein schwingend vor der Bühne, einige aber kommen nicht in die spezielle Stimmung, um die Band gut finden zu können (Geduld gehört etwa zu den Tugenden, die man aufbringen können sollte), und trollen sich in den Raucherbereich vor dem Clubeingang. Marja hält sich mit Ansagen zurück, kommt mit den wenigen Worten aber sehr sympathisch rüber und darf also auch in dieser Hinsicht als wertvoller Neuzugang eingestuft werden – keine Ahnung, wer das früher übernommen hat: Keiner der vier anderen Musiker hat ein (Gesangs-)Mikrofon vor sich. In Abweichung von der üblichen Praxis im Kulturbahnhof, zwischen Hauptset und Zugabe gleich auf der Bühne zu bleiben, verläßt das Quintett dieselbe, wird dafür stimmungstechnisch aber nicht wie im Vorjahr Jex Thoth bestraft, sondern vom begeisterten Teil der Anwesenden, und das ist der größere, zu zwei Extrasongs überredet. Feine Sache, dieses, äh, dieser Afro-Kraut, wenngleich man anhand des einmaligen Höreindrucks genausogut auch vom Euro-Kraut oder Munico-Kraut (dort steht der Proberaum der Formation) sprechen könnte. Roland Ludwig |
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