Karl Marx und der Arbeitsschutz: Freddy Fischer & His Cosmic Rocktime Band versetzen den Jenaer Kulturbahnhof in Tanzwut
Disco gehört, was die Konservenkollektion angeht, üblicherweise nicht zum Beuteschema des Rezensenten – live gespielt aber entfaltet dieser Stil nicht selten durchaus auch für ihn wahrnehmbaren Charme. Freddy Fischer zählt zu denen, die Disco noch richtig arbeiten und lebendig machen, bei denen also davon auszugehen ist, dass ein Konzerterlebnis auch unabhängig vom Tanzbeinschwingfaktor reizvoll sein könnte. Und siehe da, der Konjunktiv wandelt sich an diesem Abend tatsächlich in die Realität. Als „Rahmenprogramm“ legt DJ Smoking Joe auf und überzieht seinen ersten Set gleich mal gnadenlos, so dass der Hauptact nicht 22 Uhr, sondern erst ein gutes Stück nach 22.30 Uhr die Bühne betritt, was diverse mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereiste Besucher, die auf die Abfahrtszeit des letzten Zuges achten müssen, nicht eben erfreut. Aber schließlich geht es doch los mit der Livemusik, und die erste Aufgabe ist die Ergründung, aus wie vielen Menschen die Cosmic Rocktime Band eigentlich besteht. Ergebnis: Es sind gerade mal zwei, nämlich eine klassisch besetzte Rhythmusgruppe aus einem Bassisten und einem Drummer, und ergänzt um den „Chef“ an den Tasten ergibt sich somit nur ein Trio. Eventuelle Bedenken bezüglich etwaiger mangelnder Soundfülle aber können schnell ausgeräumt werden: Das Triumvirat musiziert homogen, dicht und rockt sogar ohne Gitarre zumindest in gewissem Maße, wobei bis 2017 ein Gitarrist zur Formation gehörte und auch aktuell gelegentlich noch ein Gastgitarrist mitwirkt – aber nicht an diesem Abend in Jena. Die Siebziger grüßen natürlich an allen Ecken und Enden: Freddy spielt klassische Instrumente bzw. Sounds wie Fender Rhodes und Hammond, und tief in ihm wohnt offensichtlich die Liebe zum klassischen Seventies-Rock, selbst wenn er mal Van Halens „Jump“-Thema zitiert, das bekanntlich aus den tiefsten Achtzigern stammt. Wenn er allerdings psychedelische Elemente einwirft, sind wir dann doch schnell wieder in den Frühsiebzigern, also einer Zeit, in der Disco als Musikgenre noch gar nicht existierte. Die diversen „Fremdeinflüsse“ verbindet der Bandkopf gekonnt mit dem klassischen, funk- und soulgeladenen Discosound der Spätsiebziger – exzellentes Beispiel für eine derartige Fusion ist „Halt mein Herz“, als „Schlager“ angesagt, aber auch im Hauptteil schon weit von der mit diesem Genre üblicherweise assoziierten Gemütlichkeit entfernt und phasenweise dann sogar noch wilde Progrockkaskaden auffahrend, wie sie ein Keith Emerson nicht gekonnter hätte übereinanderschichten können. Das macht Hörspaß und sorgt dafür, dass auch das Ohr des Musikliebhabers nicht erlahmt – für das Tanzbein gilt das sowieso nicht, denn das zuckt quasi von der ersten Minute des pragmatisch betitelten Openers „Schuhe raus und tanzen gehen“ an und läßt sich danach bis zum Konzertende auch nicht wieder abstellen. Der Drummer hält passenderweise das Tempo zumeist recht hoch, dem Publikum nur selten Verschnaufpausen gönnend („Ich hab‘ mein Herz an Dich verloren“ an Position 4 ist einer der wenigen Songs, die „nur“ im Midtempo aus den Boxen schallen), und natürlich kommt fast durchgehend ein dominanter Beckenschlag auf die 2. Das macht Laune, ist wie erwähnt äußerst kompetent gespielt und versetzt das Publikum im gut ge-, aber nicht überfüllten Rund in prima Laune, zumal einerseits genügend Platz bleibt, dass man den Nachbarn beim Tanzbeinschwingen nicht permanent niedermäht, andererseits aber dennoch wenig genug Platz ist, um eine stichhaltige Begründung zu haben, ein Stück näher an die hübsche Nachbarin heranzurücken. Freddy und seine Spießgesellen sind bei Teilen des Publikums offenbar auch bereits bekannt – und sie schreiben Hits, Hits, Hits: Eine Freundin des Rezensenten hat die Formation einige Wochen zuvor bei einem Festival in Saalfeld live erlebt und kann nun in Jena das Gros der Lyrics auswendig mitformulieren und fleißig mitsingen bzw. -shouten, während auch dem Rezensenten, der das Trio an diesem Abend erstmals live erlebt, noch eine knappe Woche später beim Schreiben der Rohfassung der Rezension der Chorus des Openers durch den Kopf spukt. Detail am Rande: Das Publikum ist sich beim Mitformulieren offensichtlich nicht ganz einig, ob es nun „Schuhe raus und tanzen gehen“ oder aber nach 2raumwohnung „Schuhe aus und tanzen gehen“ (remember „36 Grad“) heißen muß. Geschenkt – darauf kommt es hier nicht an, und lyrischen Tiefgang über Hedonismus beim Tanzen und schöne Mädchen hinaus sollte man auch nicht erwarten, wenngleich der Bandkopf allzu platte Klischeeklippen wohltuenderweise umschifft und in „Discomusik“ zur Toleranz auffordert: Heute tanze man zur Discomusik, morgen aber gehe man zu Rock am Ring. Das Gros des Gesanges übernimmt er selbst mit einer im besten Sinne normalen Stimme, während der Drummer die bisweilen durchaus ausgefeilten Backings singt und auch der Basser ein Mikro vor sich hat, um sich gelegentlich an Gangshouts zu beteiligen. Detail am Rande: Besagter Basser sieht originalgetreu aus wie Karl Marx in einem etwas geringeren Alter als dem, in welchem ihn das Konterfei auf dem DDR-100-Mark-Schein darstellte. Gelegentlich tritt der Tieftöner auch mit Leadaufgaben in den Vordergrund, im Zugabenteil darf er sogar ein Solo spielen. Im Fokus des Geschehens steht aber natürlich der „Chef“, selbst wenn er naturgemäß durch seine Bindung an die Tasteninstrumente und das Mikrofon wenig Bühnenshow inszenieren kann. Aber an einigen Stellen klettert er dann doch auf seinen Pianohocker, richtet sich auf, reicht dadurch fast bis zur Decke und feuert das Publikum an, wobei alle Arbeitsschutzbeauftragten im Publikum graue Haare bekommen und grübeln, ob er es schafft, nicht vom Hocker herunterzustürzen – und er schafft es. Dank eines klaren Klangbildes kann man alle akustischen Einzelheiten gut verfolgen, und die Stimmung im Rund ist wie erwähnt prächtig, weshalb auch das relativ frühe Ende des Sets nach nur etwas über einer Stunde vom Publikum natürlich nicht akzeptiert wird. So bekommen wir noch vier Zugaben serviert, welche die Gesamtspielzeit dann doch noch über 90 Minuten schrauben und wo sich in einem Lied über Schulhof-Mobbing dann tatsächlich auch mal ein anders gearteter Text findet, der unter Beweis stellt, dass Fischer und seine Band durchaus mit offenen Augen durch die Welt gehen und nicht ausschließlich darauf setzen, das Auditorium in eine romantisch-hedonistische Parallelwelt zu entführen. In selbiger ist’s freilich auch schön ... Setlist Freddy Fischer & His Cosmic Rocktime Band: Schuhe raus und tanzen gehen Discokugel Halt mein Herz Ich hab‘ mein Herz an Dich verloren Meine Liebe Mädchen von der Bahn Silberne Wege Mein schönstes Liebeslied Discomusik Du bist wunderschön Deine Augen Alles ist Alles Tanz mit mir nur so Sie tanzt so Wohin kannst du gehen mit deiner Sehnsucht in der Hand -- Superdisco #1 Bumtschiki Nur Du und ich Wie Du bist Roland Ludwig |
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