25 Years after - Mein Leben mit der CD; Folge 80: Little Steven - Voice of America





In diesem Monat ist mir die Auswahl der CD für diese Kolumne besonders schwer gefallen. Meine Einkaufsliste vom November 1992 hat diverses Interessantes zwischen Patrica Kaas und Ozzy Osbourne zu bieten. Alive von Slade ist vor genau 25 Jahren in meinem Plattenschrank gelandet. Aber die ist gerade wiederveröffentlicht und von Jürgen in der letzten Ausgabe besprochen worden. Auch Tom Pettys Full Moon Fever wäre angesichts seines plötzlichen Todes im vergangenen Monat eine sinnvolle Wahl gewesen. Damals ganz aktuell waren Mothers Finest mit ihrem tollen Comeback-Album Black Radio won’t play this Record, die Pretty Maids mit Sin-Decade und das zweite Album der Commitments.

Entschieden habe ich mich am Ende für Little Stevens zweites Solo-Album Voice of America. Zum einen hat Little Steven, der zusammen mit Bruce Springsteen und Southside Johnny so eine Art New Jersey Rat Pack gebildet hatte, es einfach verdient einmal in dieser Kolumne aufzutauchen, und Voice of America dürfte sein stärkstes Album sein. Vor allem aber ist es das Album, das ich am stärksten mit einem fantastischen Konzert von ihm verbinde, das ich live miterlebt habe, ohne vor Ort gewesen zu sein.

Seit 1977 veranstaltete die WDR Rockpalast-Redaktion die legendären Rocknächte. Am 25. August 1984 wurde in ähnlichem Rahmen, allerdings nicht in der Nacht, zum zweiten Mal ein neues Format ausprobiert – ein Festival auf der Loreley, das ebenso live europaweit übertragen wurde, wie die Rocknächte. Und 1984 waren Little Steven and the Disciples of Soul die Headliner – nach u.a. Stevie Ray Vaughn und The Alarm. Zwei Jahre zuvor war beim ersten Lorely-Festival zum ersten Mal überhaupt eine deutsche Band bei einem der Rockpalast-Festivals aufgetreten – BAP auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. Das Album Vun drinne noh drusse hatte alle Grenzen gesprengt und zusätzlich dafür gesorgt, dass auch der Verkauf der Vorgängeralben noch einmal anzog, so dass zeitweise drei BAP-Alben gleichzeitig in den Top 10 der deutschen Verkaufscharts vertreten waren.

Es waren nicht zuletzt die Texte, die BAP so erfolgreich gemacht hatten. Die Kölner waren so etwas wie die Haus-Band der Friedensbewegung geworden mit ihren Texten gegen Rüstung, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit. Da sich der Protest in diesen Tagen, Anfang der 80er, vor allem gegen die Hochrüstung der USA unter ihrem Präsidenten Ronald Reagan richteten, wurde den überwiegend jungen Anhängern der Friedensbewegung oft Anti-Amerikanismus vorgeworfen – gerade von der Generation, die 30 Jahre zuvor miterlebt hatte, wie die massive Aufbauhilfe der USA dazu beigetragen hatte, dass West-Deutschland die Narben, die der 2. Weltkrieg hinterlassen hatte, so unerwartet schnell überwinden konnte.

Objektiv gesehen war das natürlich Blödsinn. Denn es war gerade diese junge Generation, die kulturell massiv von Amerika geprägt war – was Mode, Musik, Fernsehserien, Ernährung etc anbelangte. Und an diesem Punkt kommt endlich auch wieder Little Steven ins Spiel.

Mit Titeln wie „I‘m a Patriot“, „Among the Believers“ oder dem Titeltrack scheint sich Little Stevens Voice of America mitten im konservativen Mainstream des US-Bürgertums zu befinden. Nichts kann falscher sein als das. Er erweist sich bei einem Blick in die Lyrics als engagierter Kritiker der US-Politik. Und als solcher zeigte er sich auf der Bühne der Loreley.

Es drängen sich mir heute noch Tränen in die Augen, wenn ich mich an diesen US-Amerikaner erinnere, der sich bei den Europäern und vor allem den Deutschen vor laufenden Fernsehkameras für die Politik seiner Regierung entschuldigt. Das war für uns, die dem Anti-Amerikanismus verdächtigen Kritiker der US-(Rüstungs)-Politik, echtes Balsam für die Seele – und es entstand in diesem Moment ein transatlantisches Band der „Solidarity“, wie Little Steven“ es im vierten Song des Albums skandiert.


Norbert von Fransecky



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