Musik an sich


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Beethoven, L. v. (Artemis)

Streichquartette Nr. 1 & 12


Info
Musikrichtung: Klassik Kammermusik

VÖ: 15.10.2010

(Virgin / EMI CD / DDD / 2010 / Best. Nr. 62865906)

Gesamtspielzeit: 60:05



UNWIDERSTEHLICHE WECHSELBÄDER

Die Coolness der Beton- und Neon-Ambientes, in denen das Artemis Quartett auf den Covern seiner EMI-Einspielungen erscheint, steht im krassen Gegensatz zu den glühenden Interpretationen, die die vier Musiker/innen den Beethoven-Streichquartetten angedeihen lassen. Wobei die Hitze, die das Ensemble hier mit schöner Regelmäßigkeit entfacht, nicht das Ergebnis spätromantischer Exaltation ist, sondern die eines historisch inspirierten Klangbildes auf modernen Instrumenten.
Der klar fokussierte und zugleich zum Greifen körperliche, inwendig pulsierende Klang (der nach der Neubesetzung zweier Pulte etwas mehr an Fülle gewonnen hat) ist schlicht ideal, um die quasi-sinfonisch disponierten Quartette Beethovens in die Gegenwart des Hörers zu katapultieren. Diese Musik altert ja eigentlich nicht – und solange sie solche Interpreten findet, kann man ihre Frische auch hören.

Eben gerade läuft wieder der zweite Satz aus dem 1. Quartett – die Nr 1 aus op. 18 – und es ist praktisch unmöglich, sich dem leidenschaftlichen Andrängen der Musik mit ihren weit ausgreifenden Schmerzensmelodien zu entziehen. Das Artemis-Quartett macht mit dem Adagio affettuoso ed appassionato wirklich ernst. Durch wechselnde Farbtexturen und feinste dynamische Schattierungen gelingt es, das dichte Liniengelfecht mit der durch alle Pulte wandernden Hauptstimme noch weiter zu differenzieren und so das Material durchweg und immer wieder neu als Manifestation von Zärtlichkeit, Rührung und Leidenschaft erklingen zu lassen. Wie ein nicht immer gar so lustiger, auch derber Koboldspaß huscht dann das Scherzo vorbei. Auch im Allegro-Finale wird von den Artemis-Leuten wieder einmal launigster Beethoven-Humor entfesselt und man weiß nie so genau, ob die Musik auf eine Katastrophe zustrebt oder den Hörer ins Elysium führen möchte. Wie auch immer: Das Stück endet ganz herzhaft und erdig.

Dank der organischen Detailgestaltung merkt man, dass der Geist, der in den frühen Beethoven-Quartetten steckt, sich gar nicht so sehr von den noch experimentelleren Quartette der späten Jahre unterscheidet. Das Quartett Nr. 12 (op. 127) z. B. reizt das Spektrum an gestalterischen und expressiven Möglichkeiten lediglich noch weiter aus. Auch hier demonstriert das Artemis-Quartett technische Meisterschaft, gepaart mit unermüdlicher Klang- und Ausdrucksfantasie. Die den ersten Satz durchziehenden wuchtigen Maestoso-Klänge stehen wie Säulen im Raum und im starken Kontrast zu den sich mitunter spinnennetz-fein zusammenziehenden Partien in den ‚Zwischenstücken‘. Wie aus einer anderen Welt hereinströmend erklingt dann das ergreifende Molto-cantabile des anschließenden Adagios, das über rund 15 Minuten ebenfalls in ständigen Gestaltveränderungen begriffen ist, vom vieldeutigen Zwielicht ins heiterste Licht und wieder zurück strebt. Der lebhafte Pizzicato-Sprung ins nervöse Scherzo leitet weitere Wechselbäded der Gefühle ein, das sich auch im Finale nicht erschöpfen. Die zum Teil harschen Wendungen werden vom Artemis-Quartett konsequent ausgespielt.



Georg Henkel



Trackliste
01-04 Streichquartett Nr. 1, op. 18 Nr. 1
05-08 Streichquartett Nr. 12, op. 127
Besetzung

Natalia Prischepenko – Gregor Sigl: Violine
Freidemann Weigle: Viola
Eckhart Runge: Violoncello


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