Musik an sich


Reviews
Salieri, A. (Hofstetter)

Les Danaïdes


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 14.09.2007

Oehms Classics / Harmonia Mundi
2 CD (AD DDD 2006) / Best. Nr. OC 909


Gesamtspielzeit: 113:00



GLUCKS GHOSTWRITER

Von solchen Skandalen lebt die Operngeschichte: Nachdem die Oper Les Danaïdes 1784 im Beisein des Hofes eine glanzvolle Pariser Premiere erlebt hatte, ließ der gesundheitlich schwer angeschlagene Komponist Christoph Willibald Gluck in einer Zeitungsnotiz verlauten, dass nicht er, sondern sein Assistent Antonio Salieri diese tragedie lyrique komponiert habe. Warum das Werk ein so gute Aufnahme fand, ist leicht zu erklären: Der damals 33jährige Komponist, der bislang in Wien durch komische Opern hervorgetreten war, bot nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine gelungene Mainstream-Mischung italienischer und französischer Stilmittel des späten 18. Jahrhunderts. Der Ton dieses Werkes, in dem es am Ende um nichts weniger als einen 50fachen Gattenmord in der Hochzeitsnacht und einen finalen Höllensturz der Mörderinnen und ihres paranoiden Vaters geht, ist angemessen dramatisch und düster, besticht überdies durch pompös-festliche Klänge (immerhin wird vor dem Mord ja königlich geheiratet).

Bei den emotionalen und dramatischen Höhepunkten gewinnt die Musik eine geradezu präromantische Erregung und Wucht. Die zahlreichen von Hörnern, Trompeten und Posaunen befeuerten Klangentladungen tragen einen guten Teil zur musikalischen Spannung bei. Dabei sind die flächigen Wirkungen und eher monumental ausgeführten Architekturen typisch für Glucks eigene späte Opern. Auch in der straffen Disposition der Szenen und die musikalische Fokussierung auf wenige Personen hat Salieri offenbar viel von seinem Mentor gelernt, ohne das Konzept über das Erreichte hinaus weiterzuentwickeln.

Im vergangenen Jahr gingen die selten gespielten Danaïdes leicht gekürzt mit großem Erfolg über die Bühne der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Bei dieser Gelegenheit entstand auch diese Aufnahme unter Studiobedingungen in der Kirche der Karlshöhe. Dirigent Michael Hofstetter animiert das Festspielorchester und die mehrheitlich deutschen Sänger/innen zu einer vitalen Leistung. Sehr zum positiven Gesamteindruck tragen die weite dynamische Staffelung und der Mut zu extremer Affektgestaltung bei. Die tontechnisch disziplinierte Kirchenakustik tut das ihrige, um das Werk alles andere als schmalbrüstig erscheinen zu lassen.
Dass das Spiel auf historischen Instrumenten nicht in allen Belangen die Präzision vergleichbarer französischer Ensembles erreicht, ist kein wirkliches Manko. Der nervös-flackernde Ton, der sich manchmal in den großen Kollektivszenen vernehmen lässt, kann ebenso dem vorrevolutionären Geist der Musik geschuldet sein.
Beim Chor, der leider etwas distanziert aufgenommen wurde, präsentieren die Damen ihren Part klangschöner als die manchmal etwas heiseren Herren. Unter den Solisten gebührt die Interpretenkrone der französischen Sängerin Sophie Marin-Degor. Sie verleiht der in einem tragischen Dilemma gefangenen Hauptfigur der Hypermnestre mit ihrem zwischen Zartheit und flammenden Ausbrüchen mühelos wechselnden Sopran ein beeindruckendes dramatisches Profil. Als danaidische Königstochter hat sie im virilen und verschlagenen Danaüs von Hans Christoph Begemann einen nicht minder überzeugenden väterlichen Gegner. Gegenüber diesem zentralen Paar sind die übrigen Figuren musikalischen schwächer entwickelt. Dennoch: Hypermnestres Geliebter Lyncée hat schöne, empfindsame Arien zu singen; Christoph Genz gibt ihnen mit dem Klarinetten-Timbre seines hohen, in der Höhe leider auch unangenehm engen Tenors eine angemessen jünglingshafte Farbe.
Das Werk wird Beiheft ausführlich kommentiert; enthalten ist auch das Libretto in deutscher Übersetzung, leider fehlen dort die Tracknummern.

Diese lebendige und klangintensive Einspielung dürfte zumindest das musikalische Image des vermeintlichen Mozart-Mörders Salieri weiter verbessern. Les Danaïdes können mit Glucks Vorläufern problemlos mithalten. Da sage noch mal einer, dass abseits vom Dreigestirn Mozart-Haydn-Beethoven im späten 18. Jahrhundert nur Banalitäten komponiert worden seien.



Georg Henkel



Besetzung

Sophie Marin-Degor, Hypermnestre
Hans Christoph Bergmann, Danaüs
Christoph Genz, Lyncée
Kirsten Blaise, Plancippe
Wolfgang Frisch, Pélagus
u. a.

Chor und Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele

Ltg. Michael Hofstetter



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