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Reviews
Händel, G.F. (Curtis)

Lotario


Info
Musikrichtung: Barockoper

VÖ: 23.08.2004

Deutsche Harmonia Mundi / BMG (2 CD DDD (AD: 2004) / Best.Nr. 82876587972)

Gesamtspielzeit: 157:00

Internet:

BMG



WENN VON "LOTARIO" NUR "LOTAR" ÜBRIGBLEIBT

Ein Artikel zur Einsparwut im deutschen Hochschulwesen wurde kürzlich mit dem feinsinnig abgewandelten Goethe-Zitat überschrieben "Ich bin der Geist, der stets halbiert". Nun, jener (Un-)Geist beschränkt sich nicht auf das Bildungssystem - spätestens mit dieser Veröffentlichung hat er auch den Klassik-Markt erreicht. Weil - so das Booklet - Händels Oper "Lotario", die übrigens bei ihrer Uraufführung 1729 floppte, für 2 CDs zu lang sei, aber eine dritte CD auch nicht annähernd fülle, habe man sich zunächst entschlossen, die Rezitative, zwei Arien und das Schlußduett zu kürzen. So weit, so schlecht.
Dann stellte man aber fest, dass diese Kürzungen immer noch nicht ausreichten. So entschied man kurzerhand, bei einer Reihe von Arien nur den A-Teil wiederzugeben, keinen B-Teil und kein Da capo. Dass dem Dirigenten Alan Curtis dieses Vorgehen eher aufgenötigt, als abverhandelt wurde, zeigt sein Beitrag im Booklet: "Die Puristen hingegen werden argumentieren, dass es besser ist, die ganze, ungekürzte Oper zu hören - und ich habe durchaus Verständnis für ihre Sichtweise." Wie schön.
Nur: Um Purismus geht es gar nicht. Es geht um musikalische und wirtschaftliche Logik, um Respekt vor einem Kunstwerk und um Ehrlichkeit dem Käufer gegenüber. Zum einen erscheint es wenig plausibel, dass man, nachdem man feststellte, dass die ursprünglich beabsichtigten Kürzungen nicht ausreichten, nicht doch eine (dann ja folglich nicht allzu schlecht gefüllte) dritte CD produziert hat. Abgesehen davon, dass wegen der gegenüber einer Doppel-CD nur unwesentlich höheren Produktionskosten, eine solche 3er-CD keineswegs(!) den dreifachen Preis einer normalen CD kosten muß und darf, hat gerade BMG mit seiner neuen Preisgestaltung im U-Musik-Sektor festgestellt, dass die Gruppe der echten Fans groß ist, und dass diese für ein vollwertiges Produkt auch einen höheren Preis zahlen. (Bei der Staffelung Billig-CD ohne Booklet, normale CD, CD mit aufwendiger Gestaltung und evtl. Bonustrack haben nach aktuellen Meldungen nur 50% der Käufer zum Billig-Produkt gegriffen, hingegen eine auch für das Unternehmen überraschend hohe Zahl zur High-Price-Alternative). Für alle anderen mag man dann zusätzlich das auf den Markt werfen, was früher "Großer Querschnitt" hieß.
Der Käufer, der nicht ins Booklet sieht, sondern die CD so kauft oder bestellt, wird übrigens durch keinerlei Hinweis informiert, dass man ihm einen verstümmelten "Lotario" zumutet. Die Cover-Aufschrift "First complete (!) recording" ist nahe am versuchten Betrug.

Was den künstlerischen Wert der Produktion betrifft, hätte dieser eine dritte CD ohne weiteres gerechtfertigt. Zwar zählt "Lotario" nicht unbedingt zu Händels stärksten Bühnenwerken und gerät über weite Strecken zu einem rein virtuosen Arienkonzert. Jedoch ist die musikalische Entwicklung und Charaktersierung einzelner Personen, wie etwa der Matilde, außerordentlich fein differenziert und verrät Händels ganze Meisterschaft.
Ebendiese Figur wird von Sonia Prina mit viel Liebe zum Detail, weich timbrierter Stimme und hohem virtuosen Können verkörpert. Dabei stiehlt sie (was nicht zuletzt den erläuterten Kürzungen zu verdanken ist) ihrer Kollegin Sara Mingardo in der Titelrolle ein wenig die Show. Aber auch diese renommierte Altistin beweist, dass sie in Händels Musik vollkommen zuhause ist. Die Besetzung der Rolle des Idelberto mit Hilary Summers ist durch deren sängerische Fähigkeiten gerechtfertigt; sie wirft jedoch die Frage auf, ob es, um Abwechslungsreichtum und Unterscheidbarkeit zu gewährleisten, nicht klüger gewesen wäre, zumindest eine der beiden Rollen mit einem Countertenor zu besetzen.
Nun, eine gute Altistin ist allemal besser, als ein mittelmäßiger Counter (von denen es wahrhaftig viele gibt), mag sich Alan Curtis gedacht haben. Und: Summers dunkle Stimmfarbe kommt der eines männlichen Altisten durchaus nahe.
Die hier eher wenig beschäftigte Simone Kermes füllt die Figur der Adelaide mit viel emotionalem Engagement aus. Genau daran hingegen läßt der Tenor Steve Davislim als Berengario es bisweilen fehlen, ist er doch allzu sehr um den Wohlklang der Stimme bemüht. Der Bass Vito Priante hingegen liefert trotz schwierigster Koloraturen eine grundsolide Leistung ab.

Alan Curtis (der übrigens selbst am Cembalo Beachtliches leistet) bleibt mit dem Ensemble Il Complesso Barocco insgesamt seinem Stil treu: Musikalische Extravaganzen oder Temperamentsausbrüche sind nicht seine Sache. Er legt mehr Wert auf eine ausdifferenzierte Gestaltung, transparenten Klang und eine sorgfältige Tongebung bei Sängern und Musikern. Insofern hätte man sich die Einspielung bisweilen emotional packender, aber kaum farbiger, leichter und stilsicherer wünschen können.
Die Klangqualität der CDs ist makellos. Im Booklet gibt die Krimiautorin und bekennende Händel-Verehrerin Donna Leon eine kundige, zugleich aber äußerst unterhaltsame Werkeinführung.

Die übliche Punktwertung versagt bei dieser CD: Wegen der unsinnigen Kürzungen sollte man das Produkt aus erzieherischen Gründen eigentlich mit Nichtachtung strafen. Da die Produktion aber eine wichtige Lücke im Katalog füllt und dies auch noch in interpretatorisch untadeliger Weise...



Sven Kerkhoff



Besetzung

Simone Kermes, Sopran - Adelaide
Sara Mingardo, Alt - Lotario
Steve Davislim, Tenor - Berengario
Hilary Summers, Alt - Idelberto
Sonia Prina, Alt - Matilde
Vito Priante, Bass - Clodomiro

Il Complesso Barocco

Ltg. Alan Curtis


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