Niels Frevert
Seltsam öffne mich
Der Herr Seltsam und sein Glückskeks Niels Frevert – war da nicht mal was? Aber sicher! Mitte der Neunziger hatte dieser Mann mit seinen Kollegen der „Nationalgalerie“ einigen Erfolg. Ihr wohl größter Hit „Evelin“ hatte sogar MTV betört und wurde in die Playlist aufgenommen. Zu der damaligen Zeit wirklich eine Ausnahme, denn wer hörte schon deutsche Musik? Nachdem sich die „Nationalgalerie“ aufgelöst hatte war es lange still um Niels Frevert, doch nun liegt sein zweites Soloalbum vor.
Da meine Augen nicht die Besten sind entziffere ich, den in winzigen Buchstaben gedruckten Titel der Platte erst mal mit „Sesam öffne dich“ und überlege ernsthaft, ob der Herr Frevert wohl eine Märchenscheibe aufgenommen hat.
Gott sei Dank kann ich mich aber wenigstens auf meine Ohren verlassen und die geraten beim Titelsong bereits ins Jubeln. „Seltsam öffne mich“, das rockt locker los und macht hellwach für alles was noch kommen soll – ein Öffner für die Sinne. Musikalisch auf das Nötigste beschränkt aber mit extrem hohem Mitgröhlfaktor, macht das Stück einfach nur Spaß.
Es fällt auf, dass fast alle Songs mit sehr eingängigen Melodien bestückt sind, die einen regelrecht einfangen und nicht mehr loslassen. Ein geschickter Schachzug, denn so wird der Hörer auf Freverts eigentliche Kunst gelenkt und das sind die Texte.
Im Gegensatz zu den modernen Märchenerzählern, die „Hinter den Kulissen ungelogen ihre Töne leben“, sind die lyrischen Ergüsse des Niels Frevert wahrhaft brillant und geben Hoffnung auf den doch nicht bevorstehenden Untergang der deutschen Sprache.
Auf den elf Songs des Albums stellt er seine ganz eigenen Betrachtungen des Lebens dar, lässt aber noch genügend Spielraum für Eigeninterpretationen.
So vergleicht er die Haltbarkeit einer Erkenntnis nach dem Sinn des Lebens schon mal mit einem Liter H-Milch und stellt in Folge fest: „Du bist was du isst - Glückskeks, kaust auf einem Stückchen Papier, lässt nicht los woran du festhältst, damit mit der Zeit etwas Gutes passiert.“
„Wann kommst du vorbei?“, fragt Frevert in diesem wunderschönen Liebeslied, das voller Sehnsucht und Hoffnung steckt. Gefühle die uns allen irgendwie vertraut sind.
Lebensweisheiten werden verbreitet, denn „Eine Ewigkeit scheint so lange wie eine Einwegfeuer-zeugstichflamme“ und „Manchmal musst du dich von allem trennen, nur um zurück zu können“ (Tag ohne Namen).
Etwas makaber und frostig wird’s in der „Tiefkühltruhe“ – „Langer Gang ich gehe den langen Gang entlang und finde meine letzte Ruhe in einer Tiefkühltruhe.“
Nein, das wollen wir nicht ernsthaft hoffen, denn es wäre schade wenn wir in Zukunft auf diese kreativen Höhepunkte verzichten müssten.
Denn wer weiß schon was das Papierchen im Glückskeks des Herrn Seltsam prophezeit?
Deutschland hört Frevert? Manchmal werden Märchen wahr.
Jutta Hinderer
Trackliste |
01 H-Milch (1:32) 02 Seltsam öffne mich (3:31) 03 Wann kommst du vorbei (4:08) 04 Glückskeks (4:19) 05 7 (3:14) 06 Einwegfeuerzeugstichflamme (3:50) 07 Gemeinsame Sache (3:25) 08 Tiefkühltruhe (3:16) 09 Tag ohne Namen (4:20) 10 Jetzt für immer (4:03) 11 Für immer jetzt (1:05) |
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Besetzung |
Niels Frevert – Gesang, Gitarre, Bass auf 1
Christian Neander – Gitarre, Bass auf 1,4,5,7, Tasten, Percussion
Stephan Gade – Bass, Sitar auf 9, Sampler auf 6,8, Streicher auf 3, Harmonium auf 10
Reiner Hubert – Drums
Tim Lorenz – Drums auf 9,10
Susie van der Meer – Chor auf 6
Harlem Davidson – Gitarre auf 5
Dinesh Ketelson – Gitarre auf 8
Moses Schneider – Bass auf 5
Ben Lauber – Tamburin auf 2
Jens Carstens – Tamburin auf 8
Produziert von Christian Neander und Niels Frevert, außer Track 9 und 10 produziert von Dinesh Ketelsen und Niels Frevert. Track 8 produziert von Dinesh, Niels und Christian.
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