Antonio Salieri
Arien
Aus dem Schatten: Bartolis Salieri-Variationen MITTELMÄSSIGER MOZART-MÖRDER?
Renoppia, Calloandra, Palmira, Eurilla, Lauretta ... Die Heldinnen aus den Opern Antonio Salieris (1750-1825) tragen bisweilen Namen, die einen entweder an Nudelsorten, Hautcremes oder italienische Automarken denken lassen. Doch nicht diese Eigenart, sondern 1. das Genie Mozarts und 2. der frühe Tod Mozarts haben bislang verhindert, dass von seinen Werken selten mehr als eine Fußnote in musikalischen Nachschlagewerken geblieben ist. Salieri, der mittelmäßige Komponist und Mozart-Killer. Von einem solchen Verdikt hätte sich wohl nicht einmal mehr Haydn erholt.
Aber der Reihe nach: Der Nachteil von Genies ist, dass sie alle Zeitgenossen überstrahlen und lange, tiefe Schatten in die Geschichte werfen. Bei manchen ist man froh, dass sie darin verschwinden. Bei Salieri ist es bedauerlich. Von einer Interpretin wie Cecila Bartoli dargeboten und in der Digest-Fassung als Arien-Konzert aufbereitet, macht diese Musik sehr viel Vergnügen. Sie überrascht durch Abwechslungsreichtum, packt durch ergreifendes Seria-Pathos [Track 1] und skurrilen Buffo-Witz [5, 7]. Dass sie in dieser Form sogar besser "funktioniert", als vergleichbare Werke Mozarts, mag daran liegen, dass sie die Konventionen nicht in der gleichen Weise sprengt. Diese Stücke erschließen sich unmittelbar, auch ohne ihren dramatischen Zusammenhang (der hier meist durch einleitende Rezitative markiert wird). Dafür weisen sie über die Welt der Wiener Klassik hinaus: auf Rossini [3] und die Romantik [4].
Was den "Mozartmörder" Salieri angeht: Spätestens, seitdem Peter Schaffer und Milos Forman diese alte Mär als historische Parabel über das Drama von Genie und Mittelmaß in Szene gesetzt haben, geistert es immer mal wieder publikumswirksam durch den Medienwald. An der Sache ist nichts dran, hängen geblieben ist trotzdem etwas. Sei's drum: Cecilia Bartoli hat die Musik in erster Linie wegen ihrer offenkundigen Qualitäten gereizt.
SIE BLEIBT SICH TREU: BARTOLIS INTERPRETATION
Salieris Opern sind ein dankbares Feld: fruchtbar und unbeackert. Bartoli hat offenbar auch hier den künstlerischen Ehrgeiz, aus jedem der 13. Stücke eine funkelnde Miniatur zu machen. Bei dem Verve und der musikalischen Intelligenz, mit denen sie sich ins Getümmel der virtuosen Läufe, heftigen Attacken und zarten Empfindungen wirft, dürften Freunde wie Gegner ihrer Stimme gleichermaßen auf ihre Kosten kommen.
Die Manier, selbst aus stimmtechnischen Problemen oder Grenzen Ausdrucksqualitäten zu gewinnen (das erregte Aspirieren von Tönen, das dramatische Überreizen der Höhe) wird man ebenso wiederfinden, wie den opaken Ton, der freilich in langsamen Stücken sehr betörend wirken kann. Es gibt keinen emotionalen Null-Punkt, kein Ton wird einfach so gesungen, jede Phrase mit Ausdruck aufgeladen. Angesichts der oft nur routinierten Leistungen anderer sogenannter Stars, die sich mit solch unbekannten Repertoire erst gar nicht abgeben würden, gerät die Musik hier zum sinnlichen Abenteuer, das vom Hörer volle Konzentration und Engagement fordert. Dass die Platte trotzdem schon jetzt Plätze in den Pop-Charts erklommen hat, mag sicherlich auch der Marke 'Bartoli' geschuldet sein - ganz erklären kann man es damit nicht.
Mit ihrem unbedingten Willen zum Ausdruck läuft die Sängerin aber auch Gefahr, den Bogen zu überspannen: z. B. bei den rossiniesken Girlanden in Vi sono sposa e amante. Die Musik sprudel vor Fröhlichkeit, in der Stimme der Bartoli aber kündigt sich ein Drama an, das dann gar nicht passiert. Spannung schlägt um in Anspannung, unter der dann die Flexibilität der Stimme wie der Musik leidet. Nach vergleichbaren Produktionen mit Vivaldi- und Gluck-Arien verstärkt sich der Eindruck, dass es auf die Musik auch nicht so sehr ankommt: Deren Stil mag sich ändern, die Interpretation der Bartoli bleibt sich gleich - und die einst so aufregenden Effekte nutzten sich ab. Trotzdem: Wie sie jedes "La ra la la ra la ra" in der gleichnamigen Arie [12] färbt und akzentuiert, ist auf seine Weise kongenial. Es sind wie schon wie bei Gluck und Vivaldi vor allem die ruhigen Stücke, in denen sie den größten Zauber verbreitet. Das gehauchte "Vieni a me sull'ali d'oro" - Komm zu mir auf goldenen Flügeln [13] der Zauberin Armida wäre in einer Mozart-Oper nicht fehl am Platz.
ADÄQUATE BEGLEITUNG: FISCHER UND AOE
Ohne den historisierenden Ansatz wäre die Wiederbelebung von "Kleinmeistern" wie Salieri wohl niemals so weit vorangekommen. In Adam Fischer und dem Orchestra of the Age of Enlightenment hat Bartoli engagierte Begleiter. Fischer kommt zwar nicht aus der historischen Aufführungspraxis, profitiert aber von seiner langjährigen Erfahrung mit Haydns Sinfonien, die von Folge zu Folge "authentischer" geraten sind. Das bewährte OAE agiert akustisch wie interpretatorisch stärker im Hintergrund als Il Giardino Armonico (Vivaldi) oder die Akademie für Alter Musik / Berlin (Gluck), setzt mit seinen historischen Instrumente aber immer wieder markante Akzente. Klanglich ist die Aufnahme in der CD-Pressung nicht befriedigend: Es fehlt an Räumlichkeit und Brillanz. Ob wenigstens die SACD-Version (470 631-2) die alten Decca-Standards erreicht?
Am Marketing wurde nicht gespart: Die Aufnahme präsentiert sich wie ihre Vorgänger im illustrierten Büchlein mit ausführlichen Darstellungen zu jedem Track. Und auch die CD-Aufbewahrung im Papp-Kuvert verdient - leider - erneut das Prädikat "besonders unhandlich und kratzerfreundlich".
Georg Henkel
Trackliste |
01 Son qual lacera tartana 03:05 02 Or ei con Ernestina ... Ah sia già 08:27 03 Vi sono sposa e amante 06:19 04 Voi lusingate invano ... Misera abondonata 02:54 05 E voi da buon marito ... Non vo' gia che vi suonino 03:45 06 Alfin son sola ... Sola e mesta 08:23 07 Dopo pranzo addormentata 03:15 08 No: non vacillerà ... Sulle mie tempie 07:47 09 Lungi da me sen vada ... Contro un'alma sventurata 04:07 10 Se lo dovessi vendere 01:45 11 Eccomi più che mai ... Amor, pietoso Amore 05:44 12 La Ra La 01:34 13 E non degg'io seguirla ... Lungi de te ... Forse, chi sa? veranno ... Vieni a me sull'ali d'oro 09:57 Gesamtspielzeit 68.14 |
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Besetzung |
Cecilia Bartoli (Mezzosopran)
Orchestra of the Age of Enlightenment
Ltg. Adam Fischer
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