17.10.2003. Sterntagebuch des MAS-Redakteurs. Endlich! Der Beweis ist erbracht! Zeitreisen sind möglich! The Musical Box sind viel(!) mehr als eine Coverband. Gut, sie spielen Genesis-Songs. Aber das ist nicht das Entscheidende. Sie transportieren die Genesis-Konzerte der 70er Jahre in die Gegenwart. Zugegeben, dass ist nicht das, was man bislang von Zeitreisen erwartet hat. Nicht der Reisende bewegt sich in die Vergangenheit. Sondern die Vergangenheit wird zum Zeitreisenden geholt – oder besser zu den Zeitreisenden, in Berlin, einem der kleineren Konzerte der Musical Box-Tour immerhin gut 1.600 in der mehr als ausverkauften Treptower Arena.
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Die 70er Jahre wurden wieder lebendig, als The Musical Box die Original Selling England by the Pound-Show
aufführten, mit der Genesis 1973 Furore gemacht haben. |
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Bevor wir uns dem denkwürdigen Ereignis zuwenden aber eine persönliche Rückreise in die Vergangenheit. Irgendwann – als ich so ca. stolze 15 Jahre war – schwärmten ältere Freunde zu meiner Überraschung über eine Band, die ich für einen Disco-Act hielt. Denn der aktuelle Hit “Follow you, follow me“ passte auf unseren Feten ideal zwischen Abbas “Dancing Queen“, Donna Summers “Hot Stuff“ und “Edge of the Universe“ von den Bee Gees. Dennoch, mein Interesse war geweckt. Mein Eingang zu einer der wichtigsten Bands in meinem Leben war allerdings nicht das damals aktuelle Album ...and then there were three, sondern das vorausgegangene Live-Doppelalbum. Seconds out wurde für mich zu DEM Genesis-Album schlechthin.
Warum ich das erzähle? Weil ich mich damit in Spannung zu vielen „echten“ Genesis-Fans befinde. Für die
sind die Genesis-Alben mit Phil Collins am Gesang sind die „späteren“
Genesis-Alben. Für mich war erst einmal Phil Collins der legitime Genesis-Sänger. Allerdings wusste ich
natürlich bald, dass es davor Alben mit einem gewissen Peter Gabriel gegeben hat´.
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In immer neuen Kostümen faszinert "Peter Gabriel" auch nach 30 Jahren wie eh und je. |
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Das führte zu vorsichtigen Gefühlen auf dem Weg zum Musical Box-Konzert. Die „echten“
Genesis-mit-Peter-Gabriel-Fans schwärmten von der Band. Aber ich, als Genesis-mit-Phil-Collins-Fan, fragte
mich, ob mich die Reproduktion der Original Selling England by the Pound-Tour von 1973
genauso zufrieden stellen würde – obwohl ich natürlich bald nach der Seconds out-Begegnung
nachgerüstet hate und den kompletten Backkatalog von Genesis bereits vor Einführung der CD im
Plattenschrank stehen hatte.
Um es vorweg zu sagen. Das Konzert hat mich natürlich zufrieden gestellt (siehe Überschrift). Denn abgesehen von der Begeisterung für das, was dann auf der Bühne abging, jagte ein A-Ha-Erlebnis das andere. Es grenzt an ein Wunder, dass man es tatsächlich geschafft hat, sowohl für Peter Gabriel als auch für Phil Collins zwei Musiker zu finden, die den Originalen nicht nur verblüffend ähnlich sehen und die Stimmen der beiden erstaunlich gut reproduzieren. Die beiden sind auch noch in der Lage die „dazugehörigen“ Instrumente zu spielen. Grandios!!
Aber nun zu dem entscheidenden A-Ha-Effekt. In meiner unbedarften Vorstellung hatte Phil Collins Peter
Gabriel nach dessen Ausstieg einfach am Gesang abgelöst. Dass dem nicht so war, war nun deutlich zu sehen.
Phil Collins war schon auf dieser Tour häufig am Gesang beteiligt – insbesondere bei Wechselgesang-Parts
im überlangen “Supper's ready“. Warum mir das früher nie aufgefallen war, wurde schnell deutlich. Die
Stimmen von „Peter Gabriel“ (Denis Gagné) und „Phil Collins“ (Martin Levac) sind sich erstaunlich ähnlich –
eine Tatsache, die man sich kaum noch vorstellen kann, wenn man die beiden Solo-Künstler von heute
vergleicht. Damit war auch eine kuriose (aber nur scheinbare) Tatsache, die mich lange beschäftigt hatte,
geklärt. Denn bislang hatte ich gedacht, dass Collins vor seinem offiziellen Wechsel hinter das Mikrophon nur
ein einziges Mal für Genesis gesungen hatte – und zwar das kurze “More fool me“. Das wiederum klingt
so schräg, dass mir völlig unklar war, warum man gerade dieses Bandmitglied zum Sänger erkoren hatte. Als besondere Überraschung befand sich “More fool me“ übrigens in der Berliner Set-List.
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Von den "Burgherren" sind oft nur die Köpfe zu sehen. Martin "Phil Collins" Levac und David "Tony Banks" Myers hinter ihren
Instrumenten. |
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Aber The Musical Box reproduzieren nicht nur schlicht die alten Genesis-Songs. Für die frühen
Konzerten erfand der eigentlich schüchterne Peter Gabriel skurrile Ansagen und kleine Geschichten, die er
zwischen den Songs erzählte, um seine Nervosität zu überspielen, während er darauf wartete, dass die
anderen Bandmitglieder ihre Instrumente gewechselt oder nachgestimmt hatten. Alle diese Zwischentexte
wurden von The Musical Box bis in die Mimik und Gestik hinein studiert und haarklein nachgestellt.
Das Selbe gilt für den kompletten Bühnenaufbau, Peter Gabriels Kostümierung, die Lichtanlage und die
aufwendige Dia-Show. Möglich ist das nur durch den Zugang zu „The Farm“, dem Genesis-Tonstudio, in dem
auch noch viele Requisiten der Vergangenheit lagern. The Musical Box haben zudem die offizielle
Erlaubnis von Peter Gabriel und Genesis, ihr Programm so nachzuproduzieren. “So gut waren wir nie,“
witzelte Mike Rutherford nachdem er eine Show angesehen hat. In London stand vor einiger Zeit Steve Hackett
bei der Zugabe höchspersönlich mit auf der Bühne. In Berlin war diesmal immerhin die Original Gitarren-Sitar dabei, die in den 70er bei den Aufnahmen zu Selling England by the Pound benutzt worden ist. Die Kontakte der Franco-Kanadier zu „The Farm“ machten es möglich.
Aber auch „The Farm“ konnte nicht überall helfen. Für die Projektion eines Flammenmeers zum Ende der
Show bedurfte es eines besonderen Projektors, der selbst in diesem Studio nicht mehr vorhanden war. Aber
der Perfektionswunsch der Band wurde belohnt. Es gelang tatsächlich ein Originalgerät des selben 30 Jahren
alten Typs aufzutreiben, um die Show originalgetreu aufzuführen.
Und so tauchte die Berliner Arena ab ca. 20 Uhr 20 weit in die 70er Jahre ab. Statt den heute üblichen Videoscreens wurde die weiße Bühnenbespannung von der Rückseite her mit Dias ausgeleuchtet. Statt Lasershow verwandelte eine Disco-Kugel den Saal in ein Sternenmeer. Selbst das gute alte Stroboskop kam zu neuen Ehren.
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Im mystischen Halbdunkel begann die Show. Sebastian „Mike Rutherford" Lamothe und Denis „Peter Gabriel" Gagné beherrschten
in der Regel die Bühne. |
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Im mystischen Halbdunkel erschien der “Watcher of the Skies“ auf der schwarz-grün ausgeleuchteten Bühne – von Schwarzlichtlampen zusätzlich dämonisiert. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Ein Hit nach dem anderen wurde erkannt und begeistert begrüßt. Sound und Licht stand glasklar. Ob auch das 1973 so war ? Nur bei “Firth of Fifth“ dröhnte der Sound sehr basslastig.
Und dann rastet das Publikum aus. Standing Ovations für “The Musical Box“, den klaren Höhepunkt des Konzertes.
Nach “The Battle of Epping Forest“, bereits dem dritten 10-Minuten-plus-Song des Abends, gab es ein skurriles halb gespieltes Lied über die Reaktion der Würmer auf fallende Regentropfen. Dann wurde, obwohl es noch recht früh war, das letzte Stück angekündigt. Aber das war dann auch das 25-minütige magnum opus “Supper's ready“.
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Denis „Steve Hackett"Champoux und Sebastian „Mike Rutherford" Lamothe sorgten für die "Saiten-Klänge". |
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Die Frage was The Musical Box machen würden, wenn es damals beim Originalkonzert eine
Zugabe gegeben hatte, und heute im Jahre 2003 niemand nach einer verlangen würde, stellte sich nun wirklich
nicht. Selbst die verbohrtesten Zugabenverweigerer hätten sich von dem frenetischen Jubel wohl noch einmal
auf die Bühne zurück locken lassen. Das durchaus im soliden gesettelten Alter befindliche Publikum tobte wie
eine Teenie-Horde. Kein Wunder, ein guter Teil der Arena-Audience war ja gerade wieder in seine Teenagerzeit zurückbefördert worden. Mit “The Knife“ stand meine Wunschzugabe als Sahnehäubchen am Ende eines Superabends. Ich hätte zwar gerne noch “Harold the Barrel“, „The Return of the Giant Hogweed“ und “Get 'em out by Friday“ gehört. Aber man kann nicht alles haben.
Ist das noch zu toppen ? Möglicherweise ja. Zum einen gab/gibt es bereits die Foxtrot-Tour nach gleichem Muster. Und zur Zeit ist die Band dabei Selbiges für The Lamb lies down on Broadway zu produzieren. Da sehen wir uns dann mit Sicherheit.
Besetzung |
| Denis Gagné | „Peter Gabriel“ | Leadvocals, Flute, Piano |
| Martin Levac | „Phil Collins“ | Drums, Percussion, Vocals |
| Denis Champoux | „Steve Hackett“ | Guitars |
| Sebastian Lamothe | „Mike Rutherford“ | Bass, Guitars, Vocals |
| David Myers | „Tony Banks“ | Keyboards, Guitars, Vocals |
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Set List |
Watcher of the Skies
Dancing with the Moonlight Knight
Cinema Show
I know what I like
Firth of Fifth
The Musical Box
More fool me
The Battle of Epping Forest
(Little Worm Song)
Supper's ready
* Zugabe *
The Knife
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Norbert von Fransecky
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