Les Musiciens du Louvre - Marc Minkowski
Marc Minkowski setzt seine Offenbach-Expeditionen fort. Nach einem wundervollen, in puncto Eleganz und Humor sehr französischen "Orpheus in der Unterwelt" und einer kaum weniger amüsanten, ganz unbiederen "Schönen Helena" gibt's diesmal ein Potpourri mit Arien und Szenen aus wenig und gar nicht bekannten Werken. Wenig und gar nicht bekannt sind unter Offenbachs über 600 Kompositionen (!) nach wie vor die allermeisten. Und damit sich das ändert, wirft die schwedische Mezzosopranisten Anne Sofie von Otter ihren Solistenruhm in die Waagschale, während das produzierende Label Deutsche Grammophon weder werbewirksame Kosten noch Mühen (luxuriöses Booklet, eigene Website mit - verschwommenen - Video-Clips!) gescheut hat, um den insbesondere in Deutschland der nichtigen Operetten-Albernheit verdächtigen Komponisten als genialen Komponisten (O-Ton Booklet) zu rehabilitieren. Wobei letzteres ja eigentlich auch schon wieder sehr deutsch ist.
Der Livemitschnitt aus dem Pariser Théâtre du Châtelet war schon im Fernsehen (Arte) zu erleben, Wiederholungen sind für November und Dezember angekündigt. Der Witz der konzertanten Darbietung, die lediglich mit ein paar Requisiten und Kostümwechseln Bühnenatmosphäre erzeugt, überträgt sich auch per CD: Die Otter präsentiert die teils schwungvollen, teils elegischen und teils hemmungslos absurden Nummern des Programms mit unnachahmlicher Vielfalt des Ausdrucks und vor allem mit Humor. Ob sie den Schwips der Péricole mit vokalem Grimassieren in hörbare Magenverstimmungen umschlagen läßt (Nr. 15) oder als verliebter Fantasio den Mond mit einer sehnsuchtsvollen romantischen Ballade ansingt (Nr. 4), ob sie als Großherzogin von Gerolstein dem schneidigen General Fritz vor Erregung bebend ihre Liebe erklärt (Nr. 2) oder als Gabrielle im Finale von ‚La Vie parisienne' ihre Version von ‚Jodelling the Classics' zum Besten gibt: Man möchte gerne glauben, daß es genau so war, als noch Offenbachs eigene Star-Sängerin Hortense Schneider, von den Prisern hingebungsvoll ‚La Snédèr' genannt, ihre Zuschauer im 19. Jahrhundert begeisterte und betörte.
Angesichts diese Sing- und Spiellaune macht es auch nicht viel, wenn von Otters per se schon schlanker Stimme der frühere Glanz etwas abgeht, wenn die Töne mitunter hart oder etwas heiser herauskommen.
Deutlich wird das zum Beispiel beim Vergleich der Eingangszenen aus der ‚Schönen Helena' Auf Minkowski eigener Gesamteinspielung, die im vergangenen Jahr bei Virgin erschien, leiht Felicity Lott der schönsten Frau der Welt ihre Stimme. Sie singt kaum weniger expressiv als die Otter, sogar mit durchaus ‚reifer' Stimme, aber eben auch mit schönem, ausgeglichenem Timbre. Von Otters Stimme wirkt dagegen viel unruhiger. Chor und Orchester klingen, wohl auch aufnahme(ort)bedingt, gegenüber den beiden älteren Aufnahmen etwas kompakter. Dies macht sich besonders bei Offenbachs Märschen und größeren Ensemblen durch einen etwas erhöhten ‚Druck' bemerkbar. Ich muß zugeben, daß mir persönlich das Tschingerassa-Bumm auch sonst nicht sonderlich zusagt, selbst wenn es - wie im Fall der Großherzogin - als zackig-beschwingte Parodie auf den Militarismus daherkommt (Bismarck höchstselbst soll sich immerhin sehr über das Werk amüsiert haben).
Unter den Ausgrabungen sind zwei Stücke besonders erwähnenswert: Eine Wagnerparodie und eine ‚Ouverture à Grand Orchestre' aus Offenbachs Frühzeit. Mit über zwölf Minuten ist dieser Satz auch die längste Nummer auf der ansonsten sehr kurzweiligen CD. Minkowski läßt hier mit großem Gespür für Instrumentalfarben und feinste Schattierungen musizieren: Offenbach einmal als einfallsreicher Klangfarbenzauberer. Bei einigen Steigerungen wirkt das Stück durch die Detailarbeit allerdings etwas gebremst; angesichts der monochromen Motorik des Finales hätte man die Musik hier vielleicht weniger sensibel, dafür effektvoller ausspielen können.
Überraschend ist die Wagner-Parodie, eigentlich ein ‚wagnerisierter' Offenbach, bei dem der selbsternannte ‚Zukunftsmusiker' aus Deutschland einen Knallchargenauftritt hinlegen darf, den der echte Wagner Offenbach nie verziehen hat. In diesem Fall rezitiert der Sänger Laurent Naouri das platte Hochzeits-Melodram, in dem immerhin anspielungsreiche Details wie ‚Lackstiefelchen' unverständlich-schlüpfrige Akzente setzen, unterdessen sich die Musiciens du Louvre ein ein Avandgarde-Ensemble verwandeln, das bizarre Cluster-Klänge, Glissandi, kalkuliertes Chaos und Schnulzen-Effekte zum modernistischen Banalitäten-Cocktail auftürmt. Teutonische Wagner-Posaunen und einen typisch offenbachschen Orchestergalopp inklusive. Daß es dabei mitunter Dinge zu hören gibt, die man erst aus der Musik des 20. Jahrhunderts zu kennen glaubte, ist das eigentlich Verblüffende.
Neben solchen Überraschungen findet sich aber auch Konventionelleres, wie das Duett zwischen ‚Lieschen und Fritzchen', dessen gelegentlicher ‚Musikantenstadl-Charme' allerdings nicht jedermanns Sache sein dürfte ...
Obwohl das Programm auf die Otter zugeschnitten wurde, wäre die Produktion nichts durch das kaum weniger spielfreudige Team, das ihr in manchen Szenen sekundiert. Dabei stechen unter den Solisten stechen die leuchtenden Soprane von Magali Léger und Stéphanie d'Oustrac besonders heraus.
Rehabilitierung geglückt!
17 von 20 Punkte
Georg Henkel