Donna Brown (S) - Sally Bruce-Payne (A) - Peter Butterfield (T) - Gerald Finley (B) / Monteverdi Chor - English Baroque Soloists / John Eliot Gardiner
Dass es bei den sechs Messen, die Joseph Haydn zwischen 1796 und 1802 jeweils zum Namenstag der Fürstin Esterházy komponierte, nicht um vergängliche Gelegenheitswerke handelt, sondern um die avancierten Höhepunkte klassisch-österreichischer Messvertonungen, läßt sich sehr eindrucksvoll in der auf drei Folgen angelegten Gesamteinspielung unter John Eliot Gardiner erhören. Nach der Schöpfungs- und Harmoniemesse folgen mit Teil II. die Nelson- und Theresienmesse.
Der trompeten- und paukengeschärfte, mitunter düstere Klang der sogenannten ‚Nelsonmesse', die von Haydn selbst den Titel ‚Missa in angustii' (Messe in Zeiten großer Not) erhielt, erscheint wie ein musikalisches Echo auf die Schrecken der napoleonischen Kriege, die zur Entstehungszeit Europa überrollten. Kriegsbedingte Sparmaßnahmen am Hofe Esterházy erlaubten dem Komponisten nur ein eingeschränktes Instrumentarium. Um so erstaunlicher ist es, wie Haydn aus seinem Orchester ein Maximum an Farben und Ausdruckswerten herausholt, wie er auf engstem Raum ein Kaleidoskop musikalische Ideen entfaltet, die den liturgischen Rahmen subtil ausdeuten und zugleich sprengen - diese Musik bedarf keines Gottesdienstes mehr, um zu ihrer großartigen Wirkung zu gelangen.
Dafür, dass diese geniale Synthese aus ebenso kühnen wie eingängigen klanglichen Mitteln, aus sinfonischem Schwung und tänzerischem Kontrapunkt mit der nötigen Differenzierung, Dramatik und Präzision erklingt, sorgt J. E. Gardiner mit seinen vorzüglichen Musikern und Solisten. Den großen ‚romantischen' Orchesterklang wird man in dieser Einspielung allerdings ebenso wenig finden wie den üblichen opernhaften Einsatz der Solostimmen. Klangliche Konzentration und vokale Zurücknahme ermöglichen eine wesentlich größere Tiefenschärfe und strukturelle Klarheit, gehen aber auch auf Kosten eines mitreißenden emotionalen Überschwangs, der die älteren, konventionelleren Einspielungen mitunter beseelte. Der eher lyrischen Theresienmesse kommt Gardiners Ansatz allerdings uneingeschränkt zugute: Was hier häufig reichlich verzopft klingt, erscheint nun insbesondere in Klangfarbe und Rhythmik ungemein aufgefrischt. Auch die sensible vokale Aktion des Solistenquartetts überzeugt dabei rundum. Beide Werke profitieren sehr von dem räumlichen und zugleich präsenten Klangbild.
Bleibt also nur, eine Empfehlung auszusprechen ...
Allerdings: Sowohl Trackliste (Nr. 12), Booklettext und Produktionsinfo erwähnen neben den beiden Messen ein drittes Werk, das sich eigentlich auf CD 1 der neuen Einspielung befinden sollte: das Te Deum, Hob. Nr 23c:2. Für jede Messe ist eine CD vorgesehen. CD 1 ist mit gerade 38 Minuten allerdings nur zur Hälfte bespielt, von CD 2 werden 42 Minuten benötigt. Das knapp achtminütige Te Deum wäre also eine angemessene Zugabe gewesen - ansonsten hätte man sich die Doppel-CD auch sparen können, Spielzeiten von bis zu 81 Minuten können heute auf einer CD untergebracht werden. Offenbar handelt es sich um einen Fehler bei der Pressung. Meine diesbezüglichen Anfragen an Label bzw. Hersteller blieben jedoch bislang unbeantwortet. Immerhin bekommt man die beiden CDs zum Preis von einer, der Mangel läßt sich also verschmerzen.
18 von 20 Punkte
Georg Henkel