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Musik an sich
 
Luigi Cherubini: Medea / Maria Callas
Bereits erschienen (EMI)
Oper
Cover
 

Gino Penno - Fedora Barbieri - Maria Luisa Nache - Guiseppe Modesti / Orchestra e Coro del Teatro alla Scala, Milano / Leonard Bernstein

Medea-Callas. Callas-Medea. Kaum je hat die Erfindung der Schallplatte die Identifikation von Sängerin und Rolle im Hörergedächtnis so absolut befördert, wie in diesem Fall. Jede Neuproduktion an Opernhäusern, jede Neuaufnahme der Plattenfirmen hat sich dem schrecklichen, weil chancenlosen Vergleich zu stellen. Die Callas ist Medea. Dies geht so weit, dass man die Musik passagenweise als solche, als einen vom Komponisten erdachten und notierten ‚Code', gar nicht mehr wahrnimmt: Sie ist so vollkommen von der Sängerin inkorporiert, so vollkommen in subjektiven stimmlichen Ausdruck verwandelt worden, dass sie als Träger-Medium gleichsam verschwindet. Hier wird dann keine Komposition mehr aufgeführt, sondern es scheint, als entstände die Musik genau in diesem Augenblick, in und durch die Stimme der Callas.

Diese zur Legende gewordene Assimilation (oder auch: Okkupation) verdankt den Live-Aufnahmen der Künstlerin mehr als der Studioproduktion von 1957. Hier gab sich die Sängerin in der Rolle der verlassenen Geliebten und Kindsmörderin aus Rache geradezu enttäuschend maßvoll-kontrolliert. Tullio Serafins klassizistisch-kühles Dirigat tat dabei ein Übriges. Ein Jahr später sang die Callas die Medea in Dallas, und zwar gleich im Anschluß an ihren spektakulären Rauswurf aus dem Ensemble der Metropolitan Opera in New York. Damals bedeutete so etwas noch das Ende einer Karriere. Ihre Wut über diese Behandlung sublimierte die Künstlerin in Gesang: Der blanke Haß und die hemmungslose Gewaltätigkeit, die während der Aufführung in Dallas von der Sängerin mit rein vokalen Mitteln entfesselt wurden, läßt auch dem heutigen Hörer je nach Typ wohlige Erregunsschauer über Rücken und Arme fließen ... oder das Blut in den Adern erstarren. Doch läßt sich hier auch schon die Konsequenz solcher Verausgabung ahnen. 1962, nachdem sie die Rolle bereits 29 Mal gesungen hat, übernahm die nun stimmlich unüberhörbar angeschlagene Sängerin die Partie zum letzten Mal.

1953 stand sie dagegen, ganz im Vollbesitz ihrer überwältigen vokalen Möglichkeiten, noch am Anfang ihrer Karriere. Der Mono-Mitschnitt der ‚Medea' aus der Mailänder Scala vom 10. Dezember dieses Jahres legt trotz seiner klanglichen Einschränkungen davon ein bewegendes, in seiner stimmlichen Entäußerung mitunter beängstigendes Zeugnis ab. Die Sängerin schien keine Grenzen zu kennen oder zu akzeptieren. Dabei stand ihr mit Leonard Bernstein, der hier als Vertretung für den erkrankten Victor de Sabata sein Opendebut gab, ein Dirigent zur Seite, der das packend agierende Orchester zu einem Partner der Sängerin machte. Auch das übrige Ensemble geriet nicht einfach zur Hintergrundstaffage. Der virile, kraftvoll-agile Giasone von Gino Penno läßt den verzweifelten Wahnsinn Medeas angesichts des Verrats ihrer Liebe zumindest plausibel werden.

Was die Aufnahmequalität dieses Dokuments angeht, so entzieht sie sich einer Bewertung: Trotz der vorbildlichen Restaurierung durch die Techniker der EMI darf man kein digitales Hochglanzprodukt erwarten. Das ursprüngliche Band war in seiner Substanz schadhaft, auch ist eine Aussteuerung damals offenbar unterblieben bzw. kapitulierte vor den Spitzentönen der Callas und dem Tuttiklang des Ensembles. Das schränkt den Hörgenuß ziemlich ein, besonders bei den dramatischen Höhepunkten. Eher amüsant sind da noch die mit Gnomenstimme geflüsterten Einsätze des Souffleurs. Andererseits verleihen die Mängel der Aufnahme eine eigentümlich archaische Aura. Unbeschadet davon bleibt die Interpretation der Callas einzigartig. Allein deswegen ist dieses Dokument anhörenswert und der späteren, technisch besseren Studioproduktion vorzuziehen. Fazit: Für Sammler und Fans der Callas unverzichtbar.

5 von 20 Punkte

Georg Henkel

 

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