Bach, J. S. (Tavsanli, S.)

Inner Spaces


Info
Musikrichtung: Barock / Klavier

VÖ: 20.10.2023

(Solo Musica / Naxos / CD / DDD / 2023 / SM 434)

Gesamtspielzeit: 66:05



DIE FREIHEIT DER ZWISCHENTÖNE

Für die aus Istanbul stammende Pianistin Serra Tavsanli war und ist die Klaviermusik von J. S. Bach ein Raum der inneren und äußeren Freiheit. Das Werk des Komponisten begleitet sie seit ihrer Kindheit; er wurde ihr ein imaginärer Mentor auf ihrem Lebensweg, der sie aus ihrer Heimat nach Deutschland führte und dort auch, durch das Allein- und Einsam-Sein, in der steten Beschäftigung mit seiner Musik, zu sich selbst.

Diese Erfahrung möchte sie mit ihrem Publikum mit ihrem neuen Album „Inner Spaces“ teilen und hat dafür vier Werke Bachs ausgewählt: zwei Partiten, eine Toccata und die „Französische Ouvertüre“, deren Tonarten den Namen B-A-C-H ergeben und für die Interpretin zugleich für Glaube, Hoffnung, Liebe und die Gegenwart stehen. Damit wird dem Album eine programmatische Aufladung vorangestellt, die so wahr, gut und richtig klingt, dass die Gefahr besteht, dass darüber die Musik nur noch Vehikel einer persönlichen Botschaft wird. Wer mag angesichts dieses humanen, alle Menschen einladenden Intros schon widersprechen?

Erfreulicherweise vermag die Einspielung auch ohne diesen Überbau musikalisch zu überzeugen. Tavsanlis Zugang zu dieser Musik ist in der Tat frei und ungezwungen. Sie versucht nicht, das Cembalo auf dem Klavier zu imitieren oder besonders „barock“ zu klingen. Vom strengen Übervater Bach, dem "5. Evangelisten" gar hört man nichts.
Vielmehr erleben wir einen sensibel und vielschichtig ausgehörten Bach, der eine Musik der Zwischentöne komponiert hat. Ohne die Musik einzuebnen, verlagert Tavsanli sie doch eher nach innen, bevorzugt einen introspektiven Ton, der heftige Akzente und dynamische Spitzen nach oben vermeidet, dafür warm und verbindlich, in gutem Sinne harmonisch und abgerundet klingt.

Das Zusammenspiel der Stimmen erscheint sehr gleichberechtigt, kommunikativ aufeinander bezogen, aber nicht weichgezeichnet oder komplikationslos. Trotz der feinen agogischen Nuancierungen tritt die Musik weder auf der Stelle noch verliert sie sich im Detail. Es gibt immer eine klaren, nach vorne gerichteten Impuls. Zugleich bleibt genügend Zeit, sich dem Moment zu überlassen, Nebenstimmen zu würdigen, Verzierungen organisch einzuflechten und die Musik atmen zu lassen. Tavsanli verzichtet im Übrigen auf die Wiederholungen in den Suiten, das Programm hätte sonst wohl kaum auf einer CD Platz gefunden.

Von daher: Die Umsetzung beglaubigt die Identifikation der Interpretin mit der Musik durch eine musikalisch stimmige Umsetzung. Diese kommt zu ihrem Recht und nicht unter das „Gute-Gemeint“ einer schönen humanen Botschaft. Man hört und erlebt mit, was Tavsanli an diesem "inklusiven" Bach schätzt, und lässt sich als Zuhörender auch gerne mit "einstimmen".



Georg Henkel



Trackliste
Partiten BWV 825 & 827, Toccata BWV 911; Französische Ouvertüre BWV 831
Besetzung

Serra Tavsanli, Klavier


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