Filter
Crazy Eyes
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Als jemand, der von Musik berührt und bewegt werden will, ist es eigentlich logisch, dass ich mit Industrial nicht viel anfangen kann (oder jemals konnte). Deshalb habe ich die Karriere von Filter nie verfolgt. Anders als bei Bon Jovis letztem Schund kann ich in diesem Fall nicht einmal genau sagen, warum ich unbedingt über Crazy Eyes schreiben will, aber letzten Endes ist das auch egal. Ich mach´s einfach!
Wenn man sich mit dem siebten Output von Filter auseinandersetzt, ist zunächst Folgendes interessant: Der Hörgenuss steigt, je mehr man über die Hintergründe weiß. Etwa, dass Bandkopf Richard Patrick nach den eher melodischen letzten Arbeiten ganz bewusst zu den Anfängen zurückkehren wollte, sogar bis in die Zeit vor Filter.
Da landet man dann zwangsläufig bei den Industrial-Pionieren Nine Inch Nails, bei denen Patrick als Gitarrist tätig war. Er nimmt Elemente des NIN-Sounds und interpretiert sie auf seine Weise – und das 2016 so extrem wie seit 20 Jahren nicht.
Das setzt sich in den Inhalten fort. So geht der Albumtitel Crazy Eyes auf die starren, ausdruckslosen Augen eines Killers zurück. Einen Song gleichen Namens gibt es zwar nicht, aber man kann die Eröffnungsnummer „Mother E“ als Quasi-Titeltrack betrachten. Im Rock Hard sagte Patrick über die heftigen vier Minuten: „Ich möchte erfassen, wie der Kopf eines Massenmörders klingt. „Mother E“ ist der Soundtrack eines mehrfachen Killers.“ Das verdeutlicht, dass wir es hier mit einem verstörenden Album zu tun haben, das anstrengend ist, das gewiss nicht jedem gefällt und das auch gar nicht will. „Unbequem“ charakterisiert diese 51 Minuten besser. Die Wechsel aus Melodie und Gedröhne sind reizvoll, auch wenn vieles nicht meinen Geschmack trifft. Phasenweise, wenn die Elektronik-Sounds zu lange zu viel Raum einnehmen, etwa bei „Pride Flag“, empfinde ich die Musik als enervierend. Da jedoch alles so umgesetzt wurde, wie es geplant war, kann ich nicht sagen, dass es schlecht ist, sondern nur, dass es mir nicht gefällt.
Dieses Hin- und Hergerissensein kann man an Richard Patricks Gesang festmachen: Insgesamt ist mir seine Stimme zu sehr „behandelt“, vervielfältigt, verfremdet, verzerrt. Ist sie dagegen nur mit einem einzigen Instrument zusammen zu hören, wie in „Your Bullets“ oder „Take me to Heaven“, ist sofort mehr Tiefe drin.
Gar nicht meins ist das zähe letzte Viertel, das sich zieht wie Kaugummi: „Your Bullets“ ist mir dann doch zu noisig, das bis auf vereinzelte „Aaahs“ instrumentale „Under the Tongue“ als „Filter goes Tribe After Tribe“ allenfalls rhythmisch interessant und in „(Can´t she see) Head of Fire, Part 2“ passiert überhaupt nichts. Was soll das?
Wer die melodiöse Seite der Amis liebt, findet auf diesem für Mastermind Richard Patrick so wichtigen Album nur wenige Stellen, die ihm zusagen und wird Crazy Eyes sicher nicht oft hören. Filter-Puristen dagegen bekommen mit diesem Silberling genau die Platte, auf die sie seit Jahren sehnsüchtig warten.
In meinen Ohren klingt Richard Patricks Herzenssache kalkuliert. Es will mir einfach nicht gelingen, diesen Widerspruch aufzulösen, und das vergällt mir letztlich die Freude an Crazy Eyes. Objektiv betrachtet bewegen sich die 12 bewusst Neunziger-mäßig gestylten Songs trotz des schwachen Ausklangs auf einem soliden Level und sind mir 12 Punkte wert.
Michael Schübeler
Trackliste |
1 | Mother E | 3:54 |
2 |
Nothing In My Hands | 4:34 |
3 |
Pride Flag | 3:48 |
4 |
The City Of Blinding Riots | 4:16 |
5 |
Take Me To Heaven | 3:37 |
6 |
Welcome To The Suck (Destiny Not Luck) | 3:13 |
7 |
Head Of Fire | 5:00 |
8 |
Tremors | 3:43 |
9 |
Kid Blue From The Short Bus, Drunk Bunk | 3:56 |
10 |
Your Bullets | 4:37 |
11 |
Under The Tongue | 6:10 |
12 |
(Can´t She See) Head Of Fire, Part 2 | 3:47 |
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Besetzung |
Richard Patrick (Voc, Git)
Oumi Kapila (Git)
Ashley Dzerigian (B)
Chris Reeve (Dr)
Bobby Miller (Keys)
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